Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.Kriegerisches Proxhetentum Gewitter löst. Wir setzen dies in seiner dämonischen Großartigkeit einzigartige
(Jesaja 21, 1-10) Man steht hier, wie es überhaupt zum Prophetenwort kommt. Jedes "Worte, Worte. Worte!" sagt Hamlet. Wie kommt es aber, daß diese Kriegerisches Proxhetentum Gewitter löst. Wir setzen dies in seiner dämonischen Großartigkeit einzigartige
(Jesaja 21, 1-10) Man steht hier, wie es überhaupt zum Prophetenwort kommt. Jedes „Worte, Worte. Worte!" sagt Hamlet. Wie kommt es aber, daß diese <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0378" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/330478"/> <fw type="header" place="top"> Kriegerisches Proxhetentum</fw><lb/> <p xml:id="ID_1580" prev="#ID_1579"> Gewitter löst. Wir setzen dies in seiner dämonischen Großartigkeit einzigartige<lb/> Stück hierher:</p><lb/> <quote> <p xml:id="ID_1581"> Wie jagende Stürme vom Mittagsland,<lb/> So kommt's aus der Wüste, aus furchtbarem Land:<lb/> Ein grauses Gesicht ward mir kund:</p> <p xml:id="ID_1582"> „Der Räuber raubt, der Verwüster verwüstet!<lb/> Herauf, Elam! Belagere Medien!<lb/> Allem Gestöhn mach ich ein Ende!"</p> <p xml:id="ID_1583"> Darum zucken mir die Hüften in Krämpfen,<lb/> Wehen Packten mich wie die Wehen einer Gebärenden,<lb/> Vor Angst kann ich nicht mehr hören, vor Grausen nicht mehr sehen,<lb/> Es taumelt mein Herz, Schauer durchgraut mich,<lb/> Das Dunkel, das ich ersehne, macht er mir zum Beben.</p> <p xml:id="ID_1584"> „Den Tisch gedeckt!<lb/> Das Lager gebreitet!<lb/> Gegessen, getrunken!<lb/> Auf, ihr Fürsten, nun salbet den Schild!" -</p> <p xml:id="ID_1585"> Denn so sprach der Herr zu mir:<lb/> Auf, bestelle den Späher, was er sieht, soll er künden!<lb/> Und fleht er Reiter, zwei zu zwei,<lb/> Reiter auf Eseln, Reiter auf Kamelen,<lb/> So horche er, so horche er auf!</p> <p xml:id="ID_1586"> Da rief der Späher:</p> <p xml:id="ID_1587"> Auf der Warte stehe ich, Herr, stets bei Tage,<lb/> Und auf meiner Wacht harre ich alle Nächte hindurch:<lb/> Und richtig, da kommt es: Reiter, zwei zu zwei!</p> <p xml:id="ID_1588"> Da hub er an und sprach:</p> <p xml:id="ID_1589"> Gefallen, gefallen ist Babel,<lb/> All ihre Götzen zerschmiß er in den Staub!<lb/> O du mein Tennenkind, zerdroschenes Volk! —<lb/> Was ich gehört vom Herrn der Heerscharen,<lb/> Dem Gotte Israels, ich tat es euch kund!</p> </quote><lb/> <note type="bibl"> (Jesaja 21, 1-10)</note><lb/> <p xml:id="ID_1590"> Man steht hier, wie es überhaupt zum Prophetenwort kommt. Jedes<lb/> dieser Worte ist wie eine Sprengung, ist für den Seher selbst eine Befreiung<lb/> und wirkt deshalb auch so auf sein Volk, daher die unerhörte Macht, die es<lb/> gewiß zu seiner Zeit gehabt hat. Die mehrfach bei den Propheten vorkommenden<lb/> Begriffe „mit den Worten des Mundes schlagen" oder „mit dem Hauche der<lb/> Lippen töten" hatten damals einen nur zu lebendigen Sinn. Auf diese Weise<lb/> haben die Propheten eine Welt mit Worten zerstört und mit Worten eine neue<lb/> gebaut.</p><lb/> <p xml:id="ID_1591" next="#ID_1592"> „Worte, Worte. Worte!" sagt Hamlet. Wie kommt es aber, daß diese<lb/> Worte trotz ihrer Fülle und Unerschöpflichkeit doch nirgends wie ein Wort- und</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0378]
Kriegerisches Proxhetentum
Gewitter löst. Wir setzen dies in seiner dämonischen Großartigkeit einzigartige
Stück hierher:
Wie jagende Stürme vom Mittagsland,
So kommt's aus der Wüste, aus furchtbarem Land:
Ein grauses Gesicht ward mir kund:
„Der Räuber raubt, der Verwüster verwüstet!
Herauf, Elam! Belagere Medien!
Allem Gestöhn mach ich ein Ende!"
Darum zucken mir die Hüften in Krämpfen,
Wehen Packten mich wie die Wehen einer Gebärenden,
Vor Angst kann ich nicht mehr hören, vor Grausen nicht mehr sehen,
Es taumelt mein Herz, Schauer durchgraut mich,
Das Dunkel, das ich ersehne, macht er mir zum Beben.
„Den Tisch gedeckt!
Das Lager gebreitet!
Gegessen, getrunken!
Auf, ihr Fürsten, nun salbet den Schild!" -
Denn so sprach der Herr zu mir:
Auf, bestelle den Späher, was er sieht, soll er künden!
Und fleht er Reiter, zwei zu zwei,
Reiter auf Eseln, Reiter auf Kamelen,
So horche er, so horche er auf!
Da rief der Späher:
Auf der Warte stehe ich, Herr, stets bei Tage,
Und auf meiner Wacht harre ich alle Nächte hindurch:
Und richtig, da kommt es: Reiter, zwei zu zwei!
Da hub er an und sprach:
Gefallen, gefallen ist Babel,
All ihre Götzen zerschmiß er in den Staub!
O du mein Tennenkind, zerdroschenes Volk! —
Was ich gehört vom Herrn der Heerscharen,
Dem Gotte Israels, ich tat es euch kund!
(Jesaja 21, 1-10)
Man steht hier, wie es überhaupt zum Prophetenwort kommt. Jedes
dieser Worte ist wie eine Sprengung, ist für den Seher selbst eine Befreiung
und wirkt deshalb auch so auf sein Volk, daher die unerhörte Macht, die es
gewiß zu seiner Zeit gehabt hat. Die mehrfach bei den Propheten vorkommenden
Begriffe „mit den Worten des Mundes schlagen" oder „mit dem Hauche der
Lippen töten" hatten damals einen nur zu lebendigen Sinn. Auf diese Weise
haben die Propheten eine Welt mit Worten zerstört und mit Worten eine neue
gebaut.
„Worte, Worte. Worte!" sagt Hamlet. Wie kommt es aber, daß diese
Worte trotz ihrer Fülle und Unerschöpflichkeit doch nirgends wie ein Wort- und
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