Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.Kriegerisches Prophetentum Die Wirkung solcher Untergangsorakel kann nicht stark genug gedacht werden. Daher kommt es, daß nirgends der prophetische Stil so sehr den Stempel Heute, o Tor! ruft Jesaja. Und bei Jeremias finden wir diejenigen Worte, die für diese In der Brust, in der Brust ist mir weh, Aus solcher Stimmung ist dann allein eine so unheimlich dunkel-wilde Kriegerisches Prophetentum Die Wirkung solcher Untergangsorakel kann nicht stark genug gedacht werden. Daher kommt es, daß nirgends der prophetische Stil so sehr den Stempel Heute, o Tor! ruft Jesaja. Und bei Jeremias finden wir diejenigen Worte, die für diese In der Brust, in der Brust ist mir weh, Aus solcher Stimmung ist dann allein eine so unheimlich dunkel-wilde <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0377" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/330477"/> <fw type="header" place="top"> Kriegerisches Prophetentum</fw><lb/> <p xml:id="ID_1576"> Die Wirkung solcher Untergangsorakel kann nicht stark genug gedacht werden.<lb/> Ganz vorstellen kann man sie sich nur, wenn man an die Macht denkt, die im<lb/> alten Israel damals das Wort hatte. In dieser Macht des Wortes liegt wohl<lb/> auch die tiefste Deutung der eigentümlichen Erscheinung des Prophetentums<lb/> überhaupt. Sie beruhte auf zweierlei: erstens ging das Handeln damals nicht<lb/> so schnell wie heute. Zwischen Entschluß und Tat klaffte eine Lücke. Heute<lb/> antwortet man im Kriege mit Taten. Damals mußte das Wort die Lücke<lb/> füllen. Das Wort war und das Wort allein konnte die erste Waffe sein, nach<lb/> der der Mensch griff. Das war wohl überall so in der biblischen Welt.<lb/> Zweitens aber war es ganz besonders so bei Israel und wir haben den Grund<lb/> dafür schon angedeutet: ein feurig veranlagtes Volk erlebt ein größtes Ge¬<lb/> schehen auf kleinsten Raum. Es erlebt den klaffenden Widerspruch, dieses<lb/> Weltgeschehen infolge feiner Ohnmacht nicht mit Taten, sondern nur mit dem<lb/> glühenden Herzen mitmachen zu dürfen. Man kann sich die Erregung wohl<lb/> vorstellen, in der das Volk und vor allem seine leidenschaftlichsten Söhne, die<lb/> Propheten, durch diesen Widerspruch versetzt wurden, zumal durch ein starkes<lb/> Geistesleben politische Ansprüche und Hoffnungen gefördert wurden. Wie anders<lb/> konnte sich da die Erregung Luft machen als in: Worte, im leidenschaftlich<lb/> hervorgestoßenen Worte?</p><lb/> <p xml:id="ID_1577"> Daher kommt es, daß nirgends der prophetische Stil so sehr den Stempel<lb/> des Sichlustmachens, des Explosiven, mit einem Worte, des Dämonischen trägt<lb/> wie hier: es ist eine Poesie der Aufschreie, des abgerissenen Gestöhns, der<lb/> Ausbrüche, der Seufzer, des Ho! und Ha!</p><lb/> <quote> Heute, o Tor!<lb/> Schreie, o Stadt!<lb/> Erhebe, Philisterland I</quote><lb/> <p xml:id="ID_1578"> ruft Jesaja. Und bei Jeremias finden wir diejenigen Worte, die für diese<lb/> Kriegsstimmung der Propheten überhaupt am bezeichnendsten find.</p><lb/> <quote> In der Brust, in der Brust ist mir weh,<lb/> In des Herzens Kammern.<lb/> Es ächzt meine Seele.<lb/> Ich kann nicht schweigen!<lb/> Posaunenschall hört meine Seele.<lb/> Kriegsgeschrei I<lb/> Wie lange muß ich das Banner sehen,<lb/> Den Posaunenschall hören?</quote><lb/> <p xml:id="ID_1579" next="#ID_1580"> Aus solcher Stimmung ist dann allein eine so unheimlich dunkel-wilde<lb/> Poesie verständlich, wie sie Jesajas Gesicht vom Falle Babels uns bietet:<lb/> erst das ferne Brausen, dann die Angst des Wahnsinns, erhöht durch den<lb/> Seitenblick auf das lachende Leben in seiner Sorglosigkeit, dann das angstvolle<lb/> Spähen von der Warte, das Näherkommen, bis plötzlich ein Donnerschlag das</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0377]
Kriegerisches Prophetentum
Die Wirkung solcher Untergangsorakel kann nicht stark genug gedacht werden.
Ganz vorstellen kann man sie sich nur, wenn man an die Macht denkt, die im
alten Israel damals das Wort hatte. In dieser Macht des Wortes liegt wohl
auch die tiefste Deutung der eigentümlichen Erscheinung des Prophetentums
überhaupt. Sie beruhte auf zweierlei: erstens ging das Handeln damals nicht
so schnell wie heute. Zwischen Entschluß und Tat klaffte eine Lücke. Heute
antwortet man im Kriege mit Taten. Damals mußte das Wort die Lücke
füllen. Das Wort war und das Wort allein konnte die erste Waffe sein, nach
der der Mensch griff. Das war wohl überall so in der biblischen Welt.
Zweitens aber war es ganz besonders so bei Israel und wir haben den Grund
dafür schon angedeutet: ein feurig veranlagtes Volk erlebt ein größtes Ge¬
schehen auf kleinsten Raum. Es erlebt den klaffenden Widerspruch, dieses
Weltgeschehen infolge feiner Ohnmacht nicht mit Taten, sondern nur mit dem
glühenden Herzen mitmachen zu dürfen. Man kann sich die Erregung wohl
vorstellen, in der das Volk und vor allem seine leidenschaftlichsten Söhne, die
Propheten, durch diesen Widerspruch versetzt wurden, zumal durch ein starkes
Geistesleben politische Ansprüche und Hoffnungen gefördert wurden. Wie anders
konnte sich da die Erregung Luft machen als in: Worte, im leidenschaftlich
hervorgestoßenen Worte?
Daher kommt es, daß nirgends der prophetische Stil so sehr den Stempel
des Sichlustmachens, des Explosiven, mit einem Worte, des Dämonischen trägt
wie hier: es ist eine Poesie der Aufschreie, des abgerissenen Gestöhns, der
Ausbrüche, der Seufzer, des Ho! und Ha!
Heute, o Tor!
Schreie, o Stadt!
Erhebe, Philisterland I
ruft Jesaja. Und bei Jeremias finden wir diejenigen Worte, die für diese
Kriegsstimmung der Propheten überhaupt am bezeichnendsten find.
In der Brust, in der Brust ist mir weh,
In des Herzens Kammern.
Es ächzt meine Seele.
Ich kann nicht schweigen!
Posaunenschall hört meine Seele.
Kriegsgeschrei I
Wie lange muß ich das Banner sehen,
Den Posaunenschall hören?
Aus solcher Stimmung ist dann allein eine so unheimlich dunkel-wilde
Poesie verständlich, wie sie Jesajas Gesicht vom Falle Babels uns bietet:
erst das ferne Brausen, dann die Angst des Wahnsinns, erhöht durch den
Seitenblick auf das lachende Leben in seiner Sorglosigkeit, dann das angstvolle
Spähen von der Warte, das Näherkommen, bis plötzlich ein Donnerschlag das
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |