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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Liberale Sammlung

sehenden Gewalten in nicht minder schroffem Gegensatz zu allen demokratischen
Strömungen standen. Nicht die Liberalen haben das allgemeine gleiche Wahl¬
recht für das neue Reich verlangt, sondern Bismarck hat es gegen ihre Nei¬
gung eingeführt, weil er sich von ihm konservative Wirkungen versprach. Na¬
türlich darf man nun nicht meinen, daß deswegen auch die heutigen Liberalen
geheime Gegner des allgemeinen Wahlrechts wären oder eigentlich sein müßten.
Sie sind überzeugt, daß dieses und noch manches andere demokratische Zuge¬
ständnis eine Notwendigkeit ist. Auch wenn mehr oder weniger sozialistische
Institutionen auf diesem oder jenem Gebiete notwendig sein sollten, so wird
sie der Liberalismus gutheißen können. Nicht darin besteht das unliberale
Moment, daß man demokratische oder sozialistische Einrichtungen im einzelnen
Falle anerkennt. Der sachlichen Notwendigkeit und der vaterländischen Pflicht
wird sich eine gute liberale Politik stets ehrlichen Herzens beugen, so wie sich
die Nationalliberalen einstmals vor dem Werke Bismarcks gebeugt haben. Aber
da wo demokratische und sozialistische Politik zur grundsätzlichen Programm¬
forderung wird, wo sie aufhört, Mittel zu sein und selber Zweck wird, da hört
der Liberalismus ganz selbstverständlich auf. Das ist bei Naumann der Fall,
und je mehr sein Einfluß steigt, desto mehr hört die Fortschrittliche Volkspartei
auf, eine liberale Partei zu sein, und wird eine demokratische und sozialistische Partei.

Wie gesagt besteht keine Aussicht, daß nach dem Kriege die unliberals
Entwicklung der Fortschrittler aufhören werde. Im Gegenteil liefert der Krieg
vielfach Wasser auf die Mühlen der Naumannschen Ideen. Um so weniger ist
einzusehen, welche gute Frucht eine Vereinigung dieser Partei mit den National¬
liberalen bringen sollte, so wie es die bayerischen Liberalen gern haben möchten.
Großblockoptimisten könnten vielleicht hoffen, die Nationalliberalen würden auch
für die demokratischen Grundsätze zu gewinnen sein, zumal wenn man ihnen
dafür, -- was Naumann ohne weiteres tun könnte, -- auf imperalistischem
Gebiete Zugeständnisse machte. Dann käme allerdings eine einheitliche Partei
zustande, aber es wäre keine liberale Partei mehr, sondern eine nationaldemo¬
kratische oder nationalsozialistische. Nun sind jedoch innerhalb der National¬
liberalen Partei die Elemente, die ein grundsätzliches Bekenntnis zur Demokratie
ablehnen, nach wie vor so stark und können sich so sehr auf das Wesen und
die Vergangenheit ihrer Partei als einer liberalen berufen, daß eine Entwick¬
lung in Naumanns Sinne nicht wahrscheinlich ist.

Sie ist auch außerhalb des nationalliberalen Parteistandpunktes nicht
wünschenswert. Denn Naumanns Nationaldemokratie geht einer großen Gefahr
entgegen, die in der Entwicklung der Sozialdemokratie begründet ist. Solange
diese Partei sich in allen nationalpolitischen Fragen im wesentlichen negativ
verhielt, vertrat Naumann den berechtigten besonderen Typus der nationalen
Demokratie gegenüber der Partei der internationalen Demokratie. Es ist nun
heute schon als leicht möglich anzuerkennen, daß die Sozialdemokratie nach dem
Kriege eine fortschreitend positive Haltung zu den nationalpolitischen und aus-


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sehenden Gewalten in nicht minder schroffem Gegensatz zu allen demokratischen
Strömungen standen. Nicht die Liberalen haben das allgemeine gleiche Wahl¬
recht für das neue Reich verlangt, sondern Bismarck hat es gegen ihre Nei¬
gung eingeführt, weil er sich von ihm konservative Wirkungen versprach. Na¬
türlich darf man nun nicht meinen, daß deswegen auch die heutigen Liberalen
geheime Gegner des allgemeinen Wahlrechts wären oder eigentlich sein müßten.
Sie sind überzeugt, daß dieses und noch manches andere demokratische Zuge¬
ständnis eine Notwendigkeit ist. Auch wenn mehr oder weniger sozialistische
Institutionen auf diesem oder jenem Gebiete notwendig sein sollten, so wird
sie der Liberalismus gutheißen können. Nicht darin besteht das unliberale
Moment, daß man demokratische oder sozialistische Einrichtungen im einzelnen
Falle anerkennt. Der sachlichen Notwendigkeit und der vaterländischen Pflicht
wird sich eine gute liberale Politik stets ehrlichen Herzens beugen, so wie sich
die Nationalliberalen einstmals vor dem Werke Bismarcks gebeugt haben. Aber
da wo demokratische und sozialistische Politik zur grundsätzlichen Programm¬
forderung wird, wo sie aufhört, Mittel zu sein und selber Zweck wird, da hört
der Liberalismus ganz selbstverständlich auf. Das ist bei Naumann der Fall,
und je mehr sein Einfluß steigt, desto mehr hört die Fortschrittliche Volkspartei
auf, eine liberale Partei zu sein, und wird eine demokratische und sozialistische Partei.

Wie gesagt besteht keine Aussicht, daß nach dem Kriege die unliberals
Entwicklung der Fortschrittler aufhören werde. Im Gegenteil liefert der Krieg
vielfach Wasser auf die Mühlen der Naumannschen Ideen. Um so weniger ist
einzusehen, welche gute Frucht eine Vereinigung dieser Partei mit den National¬
liberalen bringen sollte, so wie es die bayerischen Liberalen gern haben möchten.
Großblockoptimisten könnten vielleicht hoffen, die Nationalliberalen würden auch
für die demokratischen Grundsätze zu gewinnen sein, zumal wenn man ihnen
dafür, — was Naumann ohne weiteres tun könnte, — auf imperalistischem
Gebiete Zugeständnisse machte. Dann käme allerdings eine einheitliche Partei
zustande, aber es wäre keine liberale Partei mehr, sondern eine nationaldemo¬
kratische oder nationalsozialistische. Nun sind jedoch innerhalb der National¬
liberalen Partei die Elemente, die ein grundsätzliches Bekenntnis zur Demokratie
ablehnen, nach wie vor so stark und können sich so sehr auf das Wesen und
die Vergangenheit ihrer Partei als einer liberalen berufen, daß eine Entwick¬
lung in Naumanns Sinne nicht wahrscheinlich ist.

Sie ist auch außerhalb des nationalliberalen Parteistandpunktes nicht
wünschenswert. Denn Naumanns Nationaldemokratie geht einer großen Gefahr
entgegen, die in der Entwicklung der Sozialdemokratie begründet ist. Solange
diese Partei sich in allen nationalpolitischen Fragen im wesentlichen negativ
verhielt, vertrat Naumann den berechtigten besonderen Typus der nationalen
Demokratie gegenüber der Partei der internationalen Demokratie. Es ist nun
heute schon als leicht möglich anzuerkennen, daß die Sozialdemokratie nach dem
Kriege eine fortschreitend positive Haltung zu den nationalpolitischen und aus-


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[0368] Liberale Sammlung sehenden Gewalten in nicht minder schroffem Gegensatz zu allen demokratischen Strömungen standen. Nicht die Liberalen haben das allgemeine gleiche Wahl¬ recht für das neue Reich verlangt, sondern Bismarck hat es gegen ihre Nei¬ gung eingeführt, weil er sich von ihm konservative Wirkungen versprach. Na¬ türlich darf man nun nicht meinen, daß deswegen auch die heutigen Liberalen geheime Gegner des allgemeinen Wahlrechts wären oder eigentlich sein müßten. Sie sind überzeugt, daß dieses und noch manches andere demokratische Zuge¬ ständnis eine Notwendigkeit ist. Auch wenn mehr oder weniger sozialistische Institutionen auf diesem oder jenem Gebiete notwendig sein sollten, so wird sie der Liberalismus gutheißen können. Nicht darin besteht das unliberale Moment, daß man demokratische oder sozialistische Einrichtungen im einzelnen Falle anerkennt. Der sachlichen Notwendigkeit und der vaterländischen Pflicht wird sich eine gute liberale Politik stets ehrlichen Herzens beugen, so wie sich die Nationalliberalen einstmals vor dem Werke Bismarcks gebeugt haben. Aber da wo demokratische und sozialistische Politik zur grundsätzlichen Programm¬ forderung wird, wo sie aufhört, Mittel zu sein und selber Zweck wird, da hört der Liberalismus ganz selbstverständlich auf. Das ist bei Naumann der Fall, und je mehr sein Einfluß steigt, desto mehr hört die Fortschrittliche Volkspartei auf, eine liberale Partei zu sein, und wird eine demokratische und sozialistische Partei. Wie gesagt besteht keine Aussicht, daß nach dem Kriege die unliberals Entwicklung der Fortschrittler aufhören werde. Im Gegenteil liefert der Krieg vielfach Wasser auf die Mühlen der Naumannschen Ideen. Um so weniger ist einzusehen, welche gute Frucht eine Vereinigung dieser Partei mit den National¬ liberalen bringen sollte, so wie es die bayerischen Liberalen gern haben möchten. Großblockoptimisten könnten vielleicht hoffen, die Nationalliberalen würden auch für die demokratischen Grundsätze zu gewinnen sein, zumal wenn man ihnen dafür, — was Naumann ohne weiteres tun könnte, — auf imperalistischem Gebiete Zugeständnisse machte. Dann käme allerdings eine einheitliche Partei zustande, aber es wäre keine liberale Partei mehr, sondern eine nationaldemo¬ kratische oder nationalsozialistische. Nun sind jedoch innerhalb der National¬ liberalen Partei die Elemente, die ein grundsätzliches Bekenntnis zur Demokratie ablehnen, nach wie vor so stark und können sich so sehr auf das Wesen und die Vergangenheit ihrer Partei als einer liberalen berufen, daß eine Entwick¬ lung in Naumanns Sinne nicht wahrscheinlich ist. Sie ist auch außerhalb des nationalliberalen Parteistandpunktes nicht wünschenswert. Denn Naumanns Nationaldemokratie geht einer großen Gefahr entgegen, die in der Entwicklung der Sozialdemokratie begründet ist. Solange diese Partei sich in allen nationalpolitischen Fragen im wesentlichen negativ verhielt, vertrat Naumann den berechtigten besonderen Typus der nationalen Demokratie gegenüber der Partei der internationalen Demokratie. Es ist nun heute schon als leicht möglich anzuerkennen, daß die Sozialdemokratie nach dem Kriege eine fortschreitend positive Haltung zu den nationalpolitischen und aus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/368>, abgerufen am 28.07.2024.