Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.Vom natürlichen Stil ist ein Adverb und kann nicht als Adjektiv gebraucht werden; also muß man Zu den Verstößen gegen die Grammatik gehört auch das gleich¬ Die bloße Endung "-er" ist allerdings sehr zweckmäßig, sie gestattet kurze, Unnötige Umständlichkeiten, wie wir schon eingangs einige erwähnten, gibt Vom natürlichen Stil ist ein Adverb und kann nicht als Adjektiv gebraucht werden; also muß man Zu den Verstößen gegen die Grammatik gehört auch das gleich¬ Die bloße Endung „-er" ist allerdings sehr zweckmäßig, sie gestattet kurze, Unnötige Umständlichkeiten, wie wir schon eingangs einige erwähnten, gibt <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0036" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/330136"/> <fw type="header" place="top"> Vom natürlichen Stil</fw><lb/> <p xml:id="ID_71" prev="#ID_70"> ist ein Adverb und kann nicht als Adjektiv gebraucht werden; also muß man<lb/> sagen „es erfolgte teilweise eine Rückbildung", wenn man nicht „eine partielle<lb/> Rückbildung" sagen und somit ein Fremdwort gebrauchen will, das sich meist<lb/> nur in wissenschaftlichen Werken empfiehlt — man sagt „eine partielle Sonnen¬<lb/> finsternis" —, während im Französischen das gleichlautende Eigenschaftswort<lb/> zum eisernen Bestand der Sprache gehört. Ebenso gibt es keine „ruckweise<lb/> Bewegung", wohl aber kann eine Bewegung ruckweise erfolgen.</p><lb/> <p xml:id="ID_72"> Zu den Verstößen gegen die Grammatik gehört auch das gleich¬<lb/> falls gebräuchliche „nach aufwärts", „nach vorwärts"; das „nach" muß<lb/> wegbleiben, da schon das bloße „aufwärts" wie „rückwärts" und jede<lb/> Zusammensetzung mit „wärts" aus die Frage „wohin?" antwortet. Viel<lb/> gesündigt wird auch mit Endsilben wie „°lich", „°ter", ,,-risch" und anderen<lb/> mehr. „Antwortlich Ihres geehrten Schreibens" ist ja vollendeter Unsinn.<lb/> Aber auch „staatskundlich", „sremdwörterisch" und ähnliche ungewöhnliche Wort¬<lb/> bildungen sind schon recht bedenklich. „Verstaatlichung" ist wenigstens gram¬<lb/> matisch richtig gebildet, aber wie konnte man trotz berechtigten Widerspruches<lb/> „Verstaatlichung" beibehalten, wenn etwas städtisch gemacht oder von der Stadt<lb/> übernommen wird? Der Naturwissenschafter kann es sich entschieden verbitten,<lb/> „Naturwissenschaftler" genannt zu werden. Ist er auch nicht in jedem Falle<lb/> ein Naturforscher, so beschäftigt er sich mit seinem Fache doch ernsthaft; er<lb/> „wissenschaftelt" nicht, denn das wäre Spielerei.</p><lb/> <p xml:id="ID_73"> Die bloße Endung „-er" ist allerdings sehr zweckmäßig, sie gestattet kurze,<lb/> einwandfreie Wortbildungen und hat ihre Wurzel im deutschen Volksmund.<lb/> Ihm verdankt der „Eisenbahner" seine vortreffliche Bezeichnung, und nicht<lb/> minder wie „Funker" empfiehlt sich das jüngst in Vorschlag gebrachte Wort<lb/> „Krafter" für „Kraftwagenführer". „Wursterei" ist eine vortreffliche, meines<lb/> Wissens im Heere aufgekommene Wortbildung. Von oben her einzuführende<lb/> neue Wortbildungen dürfen eben nicht zu umständlich sein. Der „Süßigkeiten-<lb/> Hersteller" statt „Konditor" wird sich hoffentlich nicht einbürgern; wenn er nicht<lb/> einfach der „Süßer" sein soll, dann nenne man ihn „Zuckerbäcker", wie er<lb/> schon in den Kinderbüchern heißt.</p><lb/> <p xml:id="ID_74" next="#ID_75"> Unnötige Umständlichkeiten, wie wir schon eingangs einige erwähnten, gibt<lb/> es noch viele. „Worin besteht das Wesen dieser Verwundungen?" schreibt ein<lb/> Arzt, statt „was ist das Wesen . . ." oder „worin bestehen diese Verwun¬<lb/> dungen?". „Es kommt noch der Umstand hinzu, daß . . ."; besser „es kommt<lb/> noch hinzu, daß . . .". Das Wort „vermittels" kann stets durch „mittels"<lb/> und noch besser durch „mit" oder „durch" ersetzt werden; wie wenig es unserer<lb/> Sprache eigentümlich ist, beweist die häufige falsche Schreibart „vermittelst"<lb/> oder „mittelst". „Zwecks" und „behufs" ersetzt man meist vollkommen durch<lb/> „zum" oder „zur", „letzterer" durch „er" oder „der . . ." mit wiederholtem<lb/> Substantiv, ebenso „derselbe" mit „er" oder „der. . .". Das Wort „derselbe"<lb/> sollte man für den besonders deutlichen Hinweis auf die Identität vorbehalten,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0036]
Vom natürlichen Stil
ist ein Adverb und kann nicht als Adjektiv gebraucht werden; also muß man
sagen „es erfolgte teilweise eine Rückbildung", wenn man nicht „eine partielle
Rückbildung" sagen und somit ein Fremdwort gebrauchen will, das sich meist
nur in wissenschaftlichen Werken empfiehlt — man sagt „eine partielle Sonnen¬
finsternis" —, während im Französischen das gleichlautende Eigenschaftswort
zum eisernen Bestand der Sprache gehört. Ebenso gibt es keine „ruckweise
Bewegung", wohl aber kann eine Bewegung ruckweise erfolgen.
Zu den Verstößen gegen die Grammatik gehört auch das gleich¬
falls gebräuchliche „nach aufwärts", „nach vorwärts"; das „nach" muß
wegbleiben, da schon das bloße „aufwärts" wie „rückwärts" und jede
Zusammensetzung mit „wärts" aus die Frage „wohin?" antwortet. Viel
gesündigt wird auch mit Endsilben wie „°lich", „°ter", ,,-risch" und anderen
mehr. „Antwortlich Ihres geehrten Schreibens" ist ja vollendeter Unsinn.
Aber auch „staatskundlich", „sremdwörterisch" und ähnliche ungewöhnliche Wort¬
bildungen sind schon recht bedenklich. „Verstaatlichung" ist wenigstens gram¬
matisch richtig gebildet, aber wie konnte man trotz berechtigten Widerspruches
„Verstaatlichung" beibehalten, wenn etwas städtisch gemacht oder von der Stadt
übernommen wird? Der Naturwissenschafter kann es sich entschieden verbitten,
„Naturwissenschaftler" genannt zu werden. Ist er auch nicht in jedem Falle
ein Naturforscher, so beschäftigt er sich mit seinem Fache doch ernsthaft; er
„wissenschaftelt" nicht, denn das wäre Spielerei.
Die bloße Endung „-er" ist allerdings sehr zweckmäßig, sie gestattet kurze,
einwandfreie Wortbildungen und hat ihre Wurzel im deutschen Volksmund.
Ihm verdankt der „Eisenbahner" seine vortreffliche Bezeichnung, und nicht
minder wie „Funker" empfiehlt sich das jüngst in Vorschlag gebrachte Wort
„Krafter" für „Kraftwagenführer". „Wursterei" ist eine vortreffliche, meines
Wissens im Heere aufgekommene Wortbildung. Von oben her einzuführende
neue Wortbildungen dürfen eben nicht zu umständlich sein. Der „Süßigkeiten-
Hersteller" statt „Konditor" wird sich hoffentlich nicht einbürgern; wenn er nicht
einfach der „Süßer" sein soll, dann nenne man ihn „Zuckerbäcker", wie er
schon in den Kinderbüchern heißt.
Unnötige Umständlichkeiten, wie wir schon eingangs einige erwähnten, gibt
es noch viele. „Worin besteht das Wesen dieser Verwundungen?" schreibt ein
Arzt, statt „was ist das Wesen . . ." oder „worin bestehen diese Verwun¬
dungen?". „Es kommt noch der Umstand hinzu, daß . . ."; besser „es kommt
noch hinzu, daß . . .". Das Wort „vermittels" kann stets durch „mittels"
und noch besser durch „mit" oder „durch" ersetzt werden; wie wenig es unserer
Sprache eigentümlich ist, beweist die häufige falsche Schreibart „vermittelst"
oder „mittelst". „Zwecks" und „behufs" ersetzt man meist vollkommen durch
„zum" oder „zur", „letzterer" durch „er" oder „der . . ." mit wiederholtem
Substantiv, ebenso „derselbe" mit „er" oder „der. . .". Das Wort „derselbe"
sollte man für den besonders deutlichen Hinweis auf die Identität vorbehalten,
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