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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Erinnerungen an Sachsens Besetzung durch Preußen jsgss

Bald kam Kunde von preußischen Siegen, und dann erschienen gefangene
Soldaten der Garnison, welche Preußen zur Erntearbeit beurlaubt hatte. Dies
machte einen sehr guten Eindruck, zumal diese Zurückkehrenden die Behandlung
vonseiten der Preußen lobten, dagegen über die schlechte Führung der Öster¬
reicher schimpften und namentlich über das heimtückische boshafte Benehmen
der tschechischen Bevölkerung in Böhmen. Da wurden sich erst die meisten
Sachsen darüber klar, daß Preußen durch und durch, Österreich aber nur zum
kleinsten Teil ein deutscher Staat sei. Jetzt fingen sie an, eine preußische
Niederlage in Böhmen zu fürchten, da dann katholische Tschechen, Slovaken
und Kroaten nach Sachsen kommen und die Greuel des dreißigjährigen Krieges
erneuern würden, ähnlich wie wohl jetzt auch den Vlamen von der Wieder-
eroberung Belgiens durch die Engländer und Franzosen bangt. So wurde
schon mitten im Kriege der preußische Feind zum Beschützer des Landes und
der evangelischen Konfession. Schon wurden Stimmen laut, die katholischen
Pfaffen hätten den König Johann verleitet, mit dem stockkatholischen Österreich
zu gehen. Doch voll Hoffnung richteten sich aller Augen auf den Kronprinzen
Albert, der wie sein Oheim Friedrich August der Vierte protestantenfreundlich
gesinnt wäre und durch seine umsichtige Kriegsführung sich die Achtung des
preußischen Generalstabes erworben hätte. Denn daß Sachsen eine preußische
Provinz würde, wünschten auch die meisten Preußenfreunde nicht. Und als
sich in Sachsen die Kunde von den preußischen Annexionen in Norddeutschland
verbreitete, sagte man: "S' heeßt nich mehr gemaust, 's heeßt jetzt annektiert."
Mit Freuden wurde daher der Friedensschluß begrüßt, der Sachsen als Glied
des Norddeutschen Bundes zwar Preußen besonders im Militär-, Post- und
Telegraphenwesen unterstellte, aber es ungeteilt als selbständiges Königreich mit
eigenem Heer beließ. Und als dann ein Regiment preußischer Ulanen auf der
Rückkehr aus dem Kriege durch meine Vaterstadt marschierte, wurden sie schon
als Bundesgenossen empfangen. Durch seine gute Manneszucht und weit vor¬
ausschauende Politik hat Preußen tatsächlich Sachsen moralisch erobert. Am
meisten von allen Veränderungen schmerzte die allgemeine Wehrpflicht die
sächsischen Bürger, aber auch in dieser Beziehung trat Preußen äußerst schonend
auf. Das Einjährigfreiwilligen-Examen war während der ersten Jahre in
Sachsen so leicht, daß es jeder ehemalige Bürgerschüler, der ein Jahr Privat-
smnden nahm, bestehen konnte, sodaß den Söhnen aus guten Bürgerfamilien
die Schande erspart blieb, als ganz gemeiner Soldat dienen zu müssen.

Die seit 1867 immer mehr erstarkende Preußenfreundlichkeit Sachsens be¬
zeugt am besten das gewaltige Anschwellen der nationalliberalen Partei, die
damals als Werbemittel die Verdächtigung benutzte, die Konservativen oder
eigentliche Partikularisten wollten Sachsen vom Norddeutschen Bunde wieder
losreißen. 1870 war zwar in Sachsen die Franzosenfreundschaft ganz ver¬
loschen, doch nicht die Franzosenfurcht. Sächsische Truppen äußerten 1370 auf
der Durchfahrt in Erfurt: "Mit denen wir gehen, die werden immer besiegt."


Erinnerungen an Sachsens Besetzung durch Preußen jsgss

Bald kam Kunde von preußischen Siegen, und dann erschienen gefangene
Soldaten der Garnison, welche Preußen zur Erntearbeit beurlaubt hatte. Dies
machte einen sehr guten Eindruck, zumal diese Zurückkehrenden die Behandlung
vonseiten der Preußen lobten, dagegen über die schlechte Führung der Öster¬
reicher schimpften und namentlich über das heimtückische boshafte Benehmen
der tschechischen Bevölkerung in Böhmen. Da wurden sich erst die meisten
Sachsen darüber klar, daß Preußen durch und durch, Österreich aber nur zum
kleinsten Teil ein deutscher Staat sei. Jetzt fingen sie an, eine preußische
Niederlage in Böhmen zu fürchten, da dann katholische Tschechen, Slovaken
und Kroaten nach Sachsen kommen und die Greuel des dreißigjährigen Krieges
erneuern würden, ähnlich wie wohl jetzt auch den Vlamen von der Wieder-
eroberung Belgiens durch die Engländer und Franzosen bangt. So wurde
schon mitten im Kriege der preußische Feind zum Beschützer des Landes und
der evangelischen Konfession. Schon wurden Stimmen laut, die katholischen
Pfaffen hätten den König Johann verleitet, mit dem stockkatholischen Österreich
zu gehen. Doch voll Hoffnung richteten sich aller Augen auf den Kronprinzen
Albert, der wie sein Oheim Friedrich August der Vierte protestantenfreundlich
gesinnt wäre und durch seine umsichtige Kriegsführung sich die Achtung des
preußischen Generalstabes erworben hätte. Denn daß Sachsen eine preußische
Provinz würde, wünschten auch die meisten Preußenfreunde nicht. Und als
sich in Sachsen die Kunde von den preußischen Annexionen in Norddeutschland
verbreitete, sagte man: „S' heeßt nich mehr gemaust, 's heeßt jetzt annektiert."
Mit Freuden wurde daher der Friedensschluß begrüßt, der Sachsen als Glied
des Norddeutschen Bundes zwar Preußen besonders im Militär-, Post- und
Telegraphenwesen unterstellte, aber es ungeteilt als selbständiges Königreich mit
eigenem Heer beließ. Und als dann ein Regiment preußischer Ulanen auf der
Rückkehr aus dem Kriege durch meine Vaterstadt marschierte, wurden sie schon
als Bundesgenossen empfangen. Durch seine gute Manneszucht und weit vor¬
ausschauende Politik hat Preußen tatsächlich Sachsen moralisch erobert. Am
meisten von allen Veränderungen schmerzte die allgemeine Wehrpflicht die
sächsischen Bürger, aber auch in dieser Beziehung trat Preußen äußerst schonend
auf. Das Einjährigfreiwilligen-Examen war während der ersten Jahre in
Sachsen so leicht, daß es jeder ehemalige Bürgerschüler, der ein Jahr Privat-
smnden nahm, bestehen konnte, sodaß den Söhnen aus guten Bürgerfamilien
die Schande erspart blieb, als ganz gemeiner Soldat dienen zu müssen.

Die seit 1867 immer mehr erstarkende Preußenfreundlichkeit Sachsens be¬
zeugt am besten das gewaltige Anschwellen der nationalliberalen Partei, die
damals als Werbemittel die Verdächtigung benutzte, die Konservativen oder
eigentliche Partikularisten wollten Sachsen vom Norddeutschen Bunde wieder
losreißen. 1870 war zwar in Sachsen die Franzosenfreundschaft ganz ver¬
loschen, doch nicht die Franzosenfurcht. Sächsische Truppen äußerten 1370 auf
der Durchfahrt in Erfurt: „Mit denen wir gehen, die werden immer besiegt."


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[0354] Erinnerungen an Sachsens Besetzung durch Preußen jsgss Bald kam Kunde von preußischen Siegen, und dann erschienen gefangene Soldaten der Garnison, welche Preußen zur Erntearbeit beurlaubt hatte. Dies machte einen sehr guten Eindruck, zumal diese Zurückkehrenden die Behandlung vonseiten der Preußen lobten, dagegen über die schlechte Führung der Öster¬ reicher schimpften und namentlich über das heimtückische boshafte Benehmen der tschechischen Bevölkerung in Böhmen. Da wurden sich erst die meisten Sachsen darüber klar, daß Preußen durch und durch, Österreich aber nur zum kleinsten Teil ein deutscher Staat sei. Jetzt fingen sie an, eine preußische Niederlage in Böhmen zu fürchten, da dann katholische Tschechen, Slovaken und Kroaten nach Sachsen kommen und die Greuel des dreißigjährigen Krieges erneuern würden, ähnlich wie wohl jetzt auch den Vlamen von der Wieder- eroberung Belgiens durch die Engländer und Franzosen bangt. So wurde schon mitten im Kriege der preußische Feind zum Beschützer des Landes und der evangelischen Konfession. Schon wurden Stimmen laut, die katholischen Pfaffen hätten den König Johann verleitet, mit dem stockkatholischen Österreich zu gehen. Doch voll Hoffnung richteten sich aller Augen auf den Kronprinzen Albert, der wie sein Oheim Friedrich August der Vierte protestantenfreundlich gesinnt wäre und durch seine umsichtige Kriegsführung sich die Achtung des preußischen Generalstabes erworben hätte. Denn daß Sachsen eine preußische Provinz würde, wünschten auch die meisten Preußenfreunde nicht. Und als sich in Sachsen die Kunde von den preußischen Annexionen in Norddeutschland verbreitete, sagte man: „S' heeßt nich mehr gemaust, 's heeßt jetzt annektiert." Mit Freuden wurde daher der Friedensschluß begrüßt, der Sachsen als Glied des Norddeutschen Bundes zwar Preußen besonders im Militär-, Post- und Telegraphenwesen unterstellte, aber es ungeteilt als selbständiges Königreich mit eigenem Heer beließ. Und als dann ein Regiment preußischer Ulanen auf der Rückkehr aus dem Kriege durch meine Vaterstadt marschierte, wurden sie schon als Bundesgenossen empfangen. Durch seine gute Manneszucht und weit vor¬ ausschauende Politik hat Preußen tatsächlich Sachsen moralisch erobert. Am meisten von allen Veränderungen schmerzte die allgemeine Wehrpflicht die sächsischen Bürger, aber auch in dieser Beziehung trat Preußen äußerst schonend auf. Das Einjährigfreiwilligen-Examen war während der ersten Jahre in Sachsen so leicht, daß es jeder ehemalige Bürgerschüler, der ein Jahr Privat- smnden nahm, bestehen konnte, sodaß den Söhnen aus guten Bürgerfamilien die Schande erspart blieb, als ganz gemeiner Soldat dienen zu müssen. Die seit 1867 immer mehr erstarkende Preußenfreundlichkeit Sachsens be¬ zeugt am besten das gewaltige Anschwellen der nationalliberalen Partei, die damals als Werbemittel die Verdächtigung benutzte, die Konservativen oder eigentliche Partikularisten wollten Sachsen vom Norddeutschen Bunde wieder losreißen. 1870 war zwar in Sachsen die Franzosenfreundschaft ganz ver¬ loschen, doch nicht die Franzosenfurcht. Sächsische Truppen äußerten 1370 auf der Durchfahrt in Erfurt: „Mit denen wir gehen, die werden immer besiegt."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/354>, abgerufen am 01.09.2024.