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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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von der Schulpflicht zur Berufspflicht

Doch gibt es auch Berufe, wie Pflasterer, Packer, Transportarbeiter u. a.,
die nur eine geringe Fachbildung voraussetzen, und die sich daher vielfach mit
ungelernten Ersatzmannschaften behelfen. Wer aber kann behaupten, daß in
unserem gesunden Wirtschaftsleben die Grenzen dieser Berufe stets so eng
beschränkt bleiben werden? Aus den Hilfskräften der italienischen Steinbruchs¬
schläger haben sich die Terrazzoarbeiter als ein neuer Beruf gelöst, der diese
Technik heute in der ganzen Bauwelt an sich gerissen hat. Auch die genannten
Berufe haben Entwicklungsmöglichkeiten. Der Packer kann sehr wohl Erfinder
neuer Packmethoden und Verpackungsstoffe werden oder auch kaufmännischer
Vermittler, wenn er die volkswirtschaftliche Bedeutung seines Gewerbes über¬
sieht. Aus dem Pflasterer kann sich ein Aufseher, ein technischer Leiter fiir
Straßenreinigung und -Verbesserung entwickeln.

Viel kommt freilich auch auf die Fachschule an. Bei aller Anerkennung
für unfer gewerbliches Schulwesen darf man doch die Einseitigkeit nicht über¬
sehen, die in der Pflege nur der historischen Berufsarten liegt, während sich
diese vor unseren Augen dauernd verschieben und erweitern. Es vollziehen
sich hier Wandlungen, die auf eine Sprengung der historischen Berufe, bzw. auf
eine Erweiterung ihrer Stoffe und Techniken, die aber auch auf eine Trennung
in leitende und ausführende Kräfte hinauslaufen. Schon für die letzteren setzen
die Gewerbe eine gehobene Fachbildung voraus, bei der technische, künstlerische
und kaufmännische Kenninisse weite Entwicklungsmöglichkeiten bieten. Um wie¬
viel näher liegt es, solche auch in den Berufen zu schaffen, die zunächst noch
nicht eine enge Grenze ihrer gewerblichen Tätigkeit gezogen haben! Auch die
Fachschule sollte daher bestrebt sein, die Berufspflicht zu fordern.

Selbst die Sonderbedürfnisse der Industrie können diese Forderung nicht
erschüttern. Sie braucht gewiß noch vielfach ungelernte Arbeiter; aber inner¬
halb dieses Bedürfnisses vollziehen sich ebenfalls Wandlungen, die von jenen
eine Berufsvorbildung fordern, und die in einzelnen Großbetrieben schon zur
Einrichtung von besonderen Industrieschulen geführt haben. Der Bedarf an
ungelernten Arbeitern geht jedenfalls zurück. Nach einer, vor einigen Jahren
von dem Minister Delbrück im Abgeordnetenhause bekanntgegebenen Statistik
waren in einzelnen industriellen Regierungsbezirken neben ungelernten Ar¬
beitern tütig:

Im Handwerk In der Fabrik
ausgebildete Arbeiter ausgebildete Arbeiter
vor 1871......S416 376
von 1871-1831 .8160 6 466
" 1881--1891 .13 487 13 415
.. 1891--1901 .14 895 20 673
., 1901--1907 .4 715 23 284

Die Zahlen sind, trotzdem sie die ungelernten Arbeiter nicht einbegreifen, lehr¬
reich. Nach ihnen sinkt die Zahl der im Handwerke ausgebildeten Arbeiter
seit 1881 dauernd, während der Prozentsatz der in der Fabrik selbst aus-


Grenzboten II 1916 22
von der Schulpflicht zur Berufspflicht

Doch gibt es auch Berufe, wie Pflasterer, Packer, Transportarbeiter u. a.,
die nur eine geringe Fachbildung voraussetzen, und die sich daher vielfach mit
ungelernten Ersatzmannschaften behelfen. Wer aber kann behaupten, daß in
unserem gesunden Wirtschaftsleben die Grenzen dieser Berufe stets so eng
beschränkt bleiben werden? Aus den Hilfskräften der italienischen Steinbruchs¬
schläger haben sich die Terrazzoarbeiter als ein neuer Beruf gelöst, der diese
Technik heute in der ganzen Bauwelt an sich gerissen hat. Auch die genannten
Berufe haben Entwicklungsmöglichkeiten. Der Packer kann sehr wohl Erfinder
neuer Packmethoden und Verpackungsstoffe werden oder auch kaufmännischer
Vermittler, wenn er die volkswirtschaftliche Bedeutung seines Gewerbes über¬
sieht. Aus dem Pflasterer kann sich ein Aufseher, ein technischer Leiter fiir
Straßenreinigung und -Verbesserung entwickeln.

Viel kommt freilich auch auf die Fachschule an. Bei aller Anerkennung
für unfer gewerbliches Schulwesen darf man doch die Einseitigkeit nicht über¬
sehen, die in der Pflege nur der historischen Berufsarten liegt, während sich
diese vor unseren Augen dauernd verschieben und erweitern. Es vollziehen
sich hier Wandlungen, die auf eine Sprengung der historischen Berufe, bzw. auf
eine Erweiterung ihrer Stoffe und Techniken, die aber auch auf eine Trennung
in leitende und ausführende Kräfte hinauslaufen. Schon für die letzteren setzen
die Gewerbe eine gehobene Fachbildung voraus, bei der technische, künstlerische
und kaufmännische Kenninisse weite Entwicklungsmöglichkeiten bieten. Um wie¬
viel näher liegt es, solche auch in den Berufen zu schaffen, die zunächst noch
nicht eine enge Grenze ihrer gewerblichen Tätigkeit gezogen haben! Auch die
Fachschule sollte daher bestrebt sein, die Berufspflicht zu fordern.

Selbst die Sonderbedürfnisse der Industrie können diese Forderung nicht
erschüttern. Sie braucht gewiß noch vielfach ungelernte Arbeiter; aber inner¬
halb dieses Bedürfnisses vollziehen sich ebenfalls Wandlungen, die von jenen
eine Berufsvorbildung fordern, und die in einzelnen Großbetrieben schon zur
Einrichtung von besonderen Industrieschulen geführt haben. Der Bedarf an
ungelernten Arbeitern geht jedenfalls zurück. Nach einer, vor einigen Jahren
von dem Minister Delbrück im Abgeordnetenhause bekanntgegebenen Statistik
waren in einzelnen industriellen Regierungsbezirken neben ungelernten Ar¬
beitern tütig:

Im Handwerk In der Fabrik
ausgebildete Arbeiter ausgebildete Arbeiter
vor 1871......S416 376
von 1871-1831 .8160 6 466
„ 1881—1891 .13 487 13 415
.. 1891—1901 .14 895 20 673
., 1901—1907 .4 715 23 284

Die Zahlen sind, trotzdem sie die ungelernten Arbeiter nicht einbegreifen, lehr¬
reich. Nach ihnen sinkt die Zahl der im Handwerke ausgebildeten Arbeiter
seit 1881 dauernd, während der Prozentsatz der in der Fabrik selbst aus-


Grenzboten II 1916 22
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[0349] von der Schulpflicht zur Berufspflicht Doch gibt es auch Berufe, wie Pflasterer, Packer, Transportarbeiter u. a., die nur eine geringe Fachbildung voraussetzen, und die sich daher vielfach mit ungelernten Ersatzmannschaften behelfen. Wer aber kann behaupten, daß in unserem gesunden Wirtschaftsleben die Grenzen dieser Berufe stets so eng beschränkt bleiben werden? Aus den Hilfskräften der italienischen Steinbruchs¬ schläger haben sich die Terrazzoarbeiter als ein neuer Beruf gelöst, der diese Technik heute in der ganzen Bauwelt an sich gerissen hat. Auch die genannten Berufe haben Entwicklungsmöglichkeiten. Der Packer kann sehr wohl Erfinder neuer Packmethoden und Verpackungsstoffe werden oder auch kaufmännischer Vermittler, wenn er die volkswirtschaftliche Bedeutung seines Gewerbes über¬ sieht. Aus dem Pflasterer kann sich ein Aufseher, ein technischer Leiter fiir Straßenreinigung und -Verbesserung entwickeln. Viel kommt freilich auch auf die Fachschule an. Bei aller Anerkennung für unfer gewerbliches Schulwesen darf man doch die Einseitigkeit nicht über¬ sehen, die in der Pflege nur der historischen Berufsarten liegt, während sich diese vor unseren Augen dauernd verschieben und erweitern. Es vollziehen sich hier Wandlungen, die auf eine Sprengung der historischen Berufe, bzw. auf eine Erweiterung ihrer Stoffe und Techniken, die aber auch auf eine Trennung in leitende und ausführende Kräfte hinauslaufen. Schon für die letzteren setzen die Gewerbe eine gehobene Fachbildung voraus, bei der technische, künstlerische und kaufmännische Kenninisse weite Entwicklungsmöglichkeiten bieten. Um wie¬ viel näher liegt es, solche auch in den Berufen zu schaffen, die zunächst noch nicht eine enge Grenze ihrer gewerblichen Tätigkeit gezogen haben! Auch die Fachschule sollte daher bestrebt sein, die Berufspflicht zu fordern. Selbst die Sonderbedürfnisse der Industrie können diese Forderung nicht erschüttern. Sie braucht gewiß noch vielfach ungelernte Arbeiter; aber inner¬ halb dieses Bedürfnisses vollziehen sich ebenfalls Wandlungen, die von jenen eine Berufsvorbildung fordern, und die in einzelnen Großbetrieben schon zur Einrichtung von besonderen Industrieschulen geführt haben. Der Bedarf an ungelernten Arbeitern geht jedenfalls zurück. Nach einer, vor einigen Jahren von dem Minister Delbrück im Abgeordnetenhause bekanntgegebenen Statistik waren in einzelnen industriellen Regierungsbezirken neben ungelernten Ar¬ beitern tütig: Im Handwerk In der Fabrik ausgebildete Arbeiter ausgebildete Arbeiter vor 1871......S416 376 von 1871-1831 .8160 6 466 „ 1881—1891 .13 487 13 415 .. 1891—1901 .14 895 20 673 ., 1901—1907 .4 715 23 284 Die Zahlen sind, trotzdem sie die ungelernten Arbeiter nicht einbegreifen, lehr¬ reich. Nach ihnen sinkt die Zahl der im Handwerke ausgebildeten Arbeiter seit 1881 dauernd, während der Prozentsatz der in der Fabrik selbst aus- Grenzboten II 1916 22

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/349>, abgerufen am 01.09.2024.