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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Eduard von Hartmanns Vorschläge zur Wahlreform

Jahren ist und keiner militärischen Dienstpflicht genügt hat. In diesen Vor¬
schlägen Eduard von Hartmanns fällt Zweckdienstlichkeit und Staatsraison mit
dem Grundsatz einer tunlichster Gerechtigkeit zusammen. Seine Vorschläge sind
von einer architektonischen Wucht. Sie fassen den Staat als ein organisch ge¬
gliedertes Bauwerk auf, dessen Grundlage die Familie und dessen Hauptstützen
militärische Dienstleistung, Bildung und Steuerkraft sind.

Die Schwierigkeiten, dies nur scheinbar komplizierte Wahlverfahren aus¬
zuführen, sind nur sehr gering. Sie besteht lediglich in der Erschwerung bei
der Herstellung der Wahllisten, die durch die polizeilichen Meldebehörden und
das Standesamt im Zusammenhang mit den übrigen Amtshandlungen geführt
werden können. Die Vermehrung dieser Arbeit wäre jedoch ausgeglichen,
wenn man die Legislaturperiode des Landtags auf zehn Jahre verlängert, wo¬
durch eine größere Gleichmäßigkeit der Politik erzielt würde. Gleichzeitig
könnte dieses Wahlgesetz auch auf die städtische Verwaltung ausgedehnt werden,
was eine weitere Arbeitsersparung in sich schließt. Übrigens soll die geographische
Einteilung der Wahlkreise bestehen bleiben. Es ist kein wesentlicher Unterschied
zwischen einer Stimmenvielheit, die sich auf einen Wähler erstreckt und den
Verhältnissen im deutschen Bundesrat, wo ein Staat mehrere Stimmen besitzt,
die er durch einen einzigen Vertreter führen lassen kann. Im übrigen schlägt
Hartmann selber eine Vereinfachung vor, indem er es gegebenenfalls nach
Maßgabe des Vorhergesagten bei einer Urstimme, einer Altersstimme, einer
Familienstimme, einer Militärstimme und einer Steuerstimme bewenden läßt
(wozu noch eine Kriegsteilnehmerstimme kommen müßte).

Ein den Gedanken Eduard von Hartmanns ähnliches allgemeines, direktes,
geheimes und ungleiches Wahlrecht könnte für den preußischen Landtag und
für die Kommunalverwaltungcn populär werden, weil es den Forderungen der
Kriegsteilnehmer und der Gebildeten gerecht wird und den Kern aller guten
Bestrebungen im Volke, selbst derer der Frauenrechtlerinnen, nützlich heraus¬
tost, ein Zusammenwirken aller Entwicklungskräfte gewährleistet und jeglicher
Schiebung bei der Wahlhandlung den Weg verlegt. Ich bin überzeugt, daß
auch die Sozialdemokratie sich mit diesem Wahlrecht befreunden würde, ohne
es lediglich als eine Übergangsform zum Wahlmodus des Reichstags zu be¬
trachten. Denn jedes Übergewicht des Kapitalismus und irgendwelcher ver¬
dummenden Mächte ist hier aufgehoben. Man sollte diese gewichtige Stimme
eines so national empfindenden Mannes wie Eduard von Hartmann, der bei
diesen Reformvorschlägen ein Sozialethiker ist und dem doch der altpreußische
Konservativismus von den bestehenden Parteimeinungen eigentlich am nächsten
war, in keinem politischen Lager ungehört verklingen lassen.




Eduard von Hartmanns Vorschläge zur Wahlreform

Jahren ist und keiner militärischen Dienstpflicht genügt hat. In diesen Vor¬
schlägen Eduard von Hartmanns fällt Zweckdienstlichkeit und Staatsraison mit
dem Grundsatz einer tunlichster Gerechtigkeit zusammen. Seine Vorschläge sind
von einer architektonischen Wucht. Sie fassen den Staat als ein organisch ge¬
gliedertes Bauwerk auf, dessen Grundlage die Familie und dessen Hauptstützen
militärische Dienstleistung, Bildung und Steuerkraft sind.

Die Schwierigkeiten, dies nur scheinbar komplizierte Wahlverfahren aus¬
zuführen, sind nur sehr gering. Sie besteht lediglich in der Erschwerung bei
der Herstellung der Wahllisten, die durch die polizeilichen Meldebehörden und
das Standesamt im Zusammenhang mit den übrigen Amtshandlungen geführt
werden können. Die Vermehrung dieser Arbeit wäre jedoch ausgeglichen,
wenn man die Legislaturperiode des Landtags auf zehn Jahre verlängert, wo¬
durch eine größere Gleichmäßigkeit der Politik erzielt würde. Gleichzeitig
könnte dieses Wahlgesetz auch auf die städtische Verwaltung ausgedehnt werden,
was eine weitere Arbeitsersparung in sich schließt. Übrigens soll die geographische
Einteilung der Wahlkreise bestehen bleiben. Es ist kein wesentlicher Unterschied
zwischen einer Stimmenvielheit, die sich auf einen Wähler erstreckt und den
Verhältnissen im deutschen Bundesrat, wo ein Staat mehrere Stimmen besitzt,
die er durch einen einzigen Vertreter führen lassen kann. Im übrigen schlägt
Hartmann selber eine Vereinfachung vor, indem er es gegebenenfalls nach
Maßgabe des Vorhergesagten bei einer Urstimme, einer Altersstimme, einer
Familienstimme, einer Militärstimme und einer Steuerstimme bewenden läßt
(wozu noch eine Kriegsteilnehmerstimme kommen müßte).

Ein den Gedanken Eduard von Hartmanns ähnliches allgemeines, direktes,
geheimes und ungleiches Wahlrecht könnte für den preußischen Landtag und
für die Kommunalverwaltungcn populär werden, weil es den Forderungen der
Kriegsteilnehmer und der Gebildeten gerecht wird und den Kern aller guten
Bestrebungen im Volke, selbst derer der Frauenrechtlerinnen, nützlich heraus¬
tost, ein Zusammenwirken aller Entwicklungskräfte gewährleistet und jeglicher
Schiebung bei der Wahlhandlung den Weg verlegt. Ich bin überzeugt, daß
auch die Sozialdemokratie sich mit diesem Wahlrecht befreunden würde, ohne
es lediglich als eine Übergangsform zum Wahlmodus des Reichstags zu be¬
trachten. Denn jedes Übergewicht des Kapitalismus und irgendwelcher ver¬
dummenden Mächte ist hier aufgehoben. Man sollte diese gewichtige Stimme
eines so national empfindenden Mannes wie Eduard von Hartmann, der bei
diesen Reformvorschlägen ein Sozialethiker ist und dem doch der altpreußische
Konservativismus von den bestehenden Parteimeinungen eigentlich am nächsten
war, in keinem politischen Lager ungehört verklingen lassen.




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[0346] Eduard von Hartmanns Vorschläge zur Wahlreform Jahren ist und keiner militärischen Dienstpflicht genügt hat. In diesen Vor¬ schlägen Eduard von Hartmanns fällt Zweckdienstlichkeit und Staatsraison mit dem Grundsatz einer tunlichster Gerechtigkeit zusammen. Seine Vorschläge sind von einer architektonischen Wucht. Sie fassen den Staat als ein organisch ge¬ gliedertes Bauwerk auf, dessen Grundlage die Familie und dessen Hauptstützen militärische Dienstleistung, Bildung und Steuerkraft sind. Die Schwierigkeiten, dies nur scheinbar komplizierte Wahlverfahren aus¬ zuführen, sind nur sehr gering. Sie besteht lediglich in der Erschwerung bei der Herstellung der Wahllisten, die durch die polizeilichen Meldebehörden und das Standesamt im Zusammenhang mit den übrigen Amtshandlungen geführt werden können. Die Vermehrung dieser Arbeit wäre jedoch ausgeglichen, wenn man die Legislaturperiode des Landtags auf zehn Jahre verlängert, wo¬ durch eine größere Gleichmäßigkeit der Politik erzielt würde. Gleichzeitig könnte dieses Wahlgesetz auch auf die städtische Verwaltung ausgedehnt werden, was eine weitere Arbeitsersparung in sich schließt. Übrigens soll die geographische Einteilung der Wahlkreise bestehen bleiben. Es ist kein wesentlicher Unterschied zwischen einer Stimmenvielheit, die sich auf einen Wähler erstreckt und den Verhältnissen im deutschen Bundesrat, wo ein Staat mehrere Stimmen besitzt, die er durch einen einzigen Vertreter führen lassen kann. Im übrigen schlägt Hartmann selber eine Vereinfachung vor, indem er es gegebenenfalls nach Maßgabe des Vorhergesagten bei einer Urstimme, einer Altersstimme, einer Familienstimme, einer Militärstimme und einer Steuerstimme bewenden läßt (wozu noch eine Kriegsteilnehmerstimme kommen müßte). Ein den Gedanken Eduard von Hartmanns ähnliches allgemeines, direktes, geheimes und ungleiches Wahlrecht könnte für den preußischen Landtag und für die Kommunalverwaltungcn populär werden, weil es den Forderungen der Kriegsteilnehmer und der Gebildeten gerecht wird und den Kern aller guten Bestrebungen im Volke, selbst derer der Frauenrechtlerinnen, nützlich heraus¬ tost, ein Zusammenwirken aller Entwicklungskräfte gewährleistet und jeglicher Schiebung bei der Wahlhandlung den Weg verlegt. Ich bin überzeugt, daß auch die Sozialdemokratie sich mit diesem Wahlrecht befreunden würde, ohne es lediglich als eine Übergangsform zum Wahlmodus des Reichstags zu be¬ trachten. Denn jedes Übergewicht des Kapitalismus und irgendwelcher ver¬ dummenden Mächte ist hier aufgehoben. Man sollte diese gewichtige Stimme eines so national empfindenden Mannes wie Eduard von Hartmann, der bei diesen Reformvorschlägen ein Sozialethiker ist und dem doch der altpreußische Konservativismus von den bestehenden Parteimeinungen eigentlich am nächsten war, in keinem politischen Lager ungehört verklingen lassen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/346>, abgerufen am 28.07.2024.