Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Lduard von Hartmanns Vorschläge zur Wahlreform

die Jugend besitzt, sondern tatsächlich dem Staate schon mehr geleistet hat, so
soll die Jugend vom einundzwanzigsten bis fünfunddreißigsten Jahre eine
Stimme, der reifere Mann bis zum fünfundfünfzigsten Jahre zwei und der
noch ältere drei beanspruchen dürfen.

Der Bürger soll nicht nur seine Wahlstimme für sich abgeben, sondern
auch für seine Frau, für jeden seiner unmündigen Söhne oder nicht verheirateten
Töchter. Nur so würde das Wahlrecht wirklich allgemein sein. Auf den
Grundmauern der Familie beruht das Staatsgebäude. Ihre Existenz mit
erhöhten politischen Rechten zu verknüpfen wäre eine selbstverständliche moralische
Pflicht des Staates. Hier ist durch Hartmann auch ein Kompromiß geschaffen
mit den Forderungen der Frauenrechtlerinnen, ein Kompromiß, der die innere
Einhelligkeit der Familie freilich zur ethischen Voraussetzung hat. Es ist
vielleicht der glänzendste Vorschlag Eduard von Hartmanns, in seinem Wahl¬
system der Familie diese grundlegende Rolle zuzuweisen und die Hauptmacht
der Stimmabgabe auf ihre Solidarität zu gründen. Er sieht in der Familie
den Kern der nationalen Kräfte; mit der politischen Stützung ihrer geschlossenen
Einheit wäre gleichzeitig der individualistischen Atomisierung der modernen Ge¬
sellschaft von Staatswegen ein Riegel vorgeschoben.

Hiermit ist nach Eduard von Hartmann die Allgemeinheit des Wahlrechts
erreicht, die gleichzeitig aus dem Grundsatze der Proportionalität von Leistungen
und Rechten heraus folgt. Denn ein Familienvater erfüllt mehr staats¬
bürgerliche Pflichten (indirekte Steuern, Kindererziehung, Entlastung des Staates
und der Gemeinde vom Proletariat der unverehelichten Frauen, Erhöhung der
nationalen Wehrfähigkeit) als ein Familienloser. Infolge dieser erhöhten
politischen Leistung hat er das Recht, soviel Stimmen abzugeben, als seine von
ihm versorgte Familie Köpfe hat.

Die erste Grundsüule des Staates, die aus dem Fundament der Familie
herauswächst, ist die persönliche Teilnahme an der Vaterlandsverteidigung im
Frieden sowohl als im Krieg; auch das ist bisher in keinem Wahlgesetz zum
Ausdruck gelangt. Ein Ausgleich könnte nicht dadurch erfolgen, daß der Dienst¬
untaugliche eine Wehrsteuer zu zahlen hätte. Der Bürger also, der beim
Militär gedient hat, soll eine Zusatzstimme erhalten, denn es ist vorauszusetzen,
daß seine staatsbildende und staatserhaltende Kraft, sein politisches Verständnis
und seine Opferwilligkeit größer ist. "Die Feuerprobe liegt freilich erst in der
Einsetzung von Leben und Gesundheit bei der aktiven Vaterlandsverteidigung.
In dieser Feuerprobe schmelzen wenn irgendwo die Schlacken vaterlandsloser
Gesinnung und gemeiner kleinlicher Selbstsucht", so sagt vorausahnend Hart¬
mann. Für jeden mitgemachten Krieg soll also der Wähler eine weitere Zusatz¬
stimme erhalten. (Es besteht dabei natürlich die Gefahr, daß nach einem
gewaltigen Kriege wie dem gegenwärtigen, der alle wehrfähigen Männer zur
Dienstleistung gelangen ließ, im Verlauf von einigen Jahrzehnten ein zu starkes
Überwiegen der dann an Lebensjahren älteren Wühler hervorgerufen und der


Lduard von Hartmanns Vorschläge zur Wahlreform

die Jugend besitzt, sondern tatsächlich dem Staate schon mehr geleistet hat, so
soll die Jugend vom einundzwanzigsten bis fünfunddreißigsten Jahre eine
Stimme, der reifere Mann bis zum fünfundfünfzigsten Jahre zwei und der
noch ältere drei beanspruchen dürfen.

Der Bürger soll nicht nur seine Wahlstimme für sich abgeben, sondern
auch für seine Frau, für jeden seiner unmündigen Söhne oder nicht verheirateten
Töchter. Nur so würde das Wahlrecht wirklich allgemein sein. Auf den
Grundmauern der Familie beruht das Staatsgebäude. Ihre Existenz mit
erhöhten politischen Rechten zu verknüpfen wäre eine selbstverständliche moralische
Pflicht des Staates. Hier ist durch Hartmann auch ein Kompromiß geschaffen
mit den Forderungen der Frauenrechtlerinnen, ein Kompromiß, der die innere
Einhelligkeit der Familie freilich zur ethischen Voraussetzung hat. Es ist
vielleicht der glänzendste Vorschlag Eduard von Hartmanns, in seinem Wahl¬
system der Familie diese grundlegende Rolle zuzuweisen und die Hauptmacht
der Stimmabgabe auf ihre Solidarität zu gründen. Er sieht in der Familie
den Kern der nationalen Kräfte; mit der politischen Stützung ihrer geschlossenen
Einheit wäre gleichzeitig der individualistischen Atomisierung der modernen Ge¬
sellschaft von Staatswegen ein Riegel vorgeschoben.

Hiermit ist nach Eduard von Hartmann die Allgemeinheit des Wahlrechts
erreicht, die gleichzeitig aus dem Grundsatze der Proportionalität von Leistungen
und Rechten heraus folgt. Denn ein Familienvater erfüllt mehr staats¬
bürgerliche Pflichten (indirekte Steuern, Kindererziehung, Entlastung des Staates
und der Gemeinde vom Proletariat der unverehelichten Frauen, Erhöhung der
nationalen Wehrfähigkeit) als ein Familienloser. Infolge dieser erhöhten
politischen Leistung hat er das Recht, soviel Stimmen abzugeben, als seine von
ihm versorgte Familie Köpfe hat.

Die erste Grundsüule des Staates, die aus dem Fundament der Familie
herauswächst, ist die persönliche Teilnahme an der Vaterlandsverteidigung im
Frieden sowohl als im Krieg; auch das ist bisher in keinem Wahlgesetz zum
Ausdruck gelangt. Ein Ausgleich könnte nicht dadurch erfolgen, daß der Dienst¬
untaugliche eine Wehrsteuer zu zahlen hätte. Der Bürger also, der beim
Militär gedient hat, soll eine Zusatzstimme erhalten, denn es ist vorauszusetzen,
daß seine staatsbildende und staatserhaltende Kraft, sein politisches Verständnis
und seine Opferwilligkeit größer ist. „Die Feuerprobe liegt freilich erst in der
Einsetzung von Leben und Gesundheit bei der aktiven Vaterlandsverteidigung.
In dieser Feuerprobe schmelzen wenn irgendwo die Schlacken vaterlandsloser
Gesinnung und gemeiner kleinlicher Selbstsucht", so sagt vorausahnend Hart¬
mann. Für jeden mitgemachten Krieg soll also der Wähler eine weitere Zusatz¬
stimme erhalten. (Es besteht dabei natürlich die Gefahr, daß nach einem
gewaltigen Kriege wie dem gegenwärtigen, der alle wehrfähigen Männer zur
Dienstleistung gelangen ließ, im Verlauf von einigen Jahrzehnten ein zu starkes
Überwiegen der dann an Lebensjahren älteren Wühler hervorgerufen und der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0344" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/330444"/>
          <fw type="header" place="top"> Lduard von Hartmanns Vorschläge zur Wahlreform</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1487" prev="#ID_1486"> die Jugend besitzt, sondern tatsächlich dem Staate schon mehr geleistet hat, so<lb/>
soll die Jugend vom einundzwanzigsten bis fünfunddreißigsten Jahre eine<lb/>
Stimme, der reifere Mann bis zum fünfundfünfzigsten Jahre zwei und der<lb/>
noch ältere drei beanspruchen dürfen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1488"> Der Bürger soll nicht nur seine Wahlstimme für sich abgeben, sondern<lb/>
auch für seine Frau, für jeden seiner unmündigen Söhne oder nicht verheirateten<lb/>
Töchter. Nur so würde das Wahlrecht wirklich allgemein sein. Auf den<lb/>
Grundmauern der Familie beruht das Staatsgebäude. Ihre Existenz mit<lb/>
erhöhten politischen Rechten zu verknüpfen wäre eine selbstverständliche moralische<lb/>
Pflicht des Staates. Hier ist durch Hartmann auch ein Kompromiß geschaffen<lb/>
mit den Forderungen der Frauenrechtlerinnen, ein Kompromiß, der die innere<lb/>
Einhelligkeit der Familie freilich zur ethischen Voraussetzung hat. Es ist<lb/>
vielleicht der glänzendste Vorschlag Eduard von Hartmanns, in seinem Wahl¬<lb/>
system der Familie diese grundlegende Rolle zuzuweisen und die Hauptmacht<lb/>
der Stimmabgabe auf ihre Solidarität zu gründen. Er sieht in der Familie<lb/>
den Kern der nationalen Kräfte; mit der politischen Stützung ihrer geschlossenen<lb/>
Einheit wäre gleichzeitig der individualistischen Atomisierung der modernen Ge¬<lb/>
sellschaft von Staatswegen ein Riegel vorgeschoben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1489"> Hiermit ist nach Eduard von Hartmann die Allgemeinheit des Wahlrechts<lb/>
erreicht, die gleichzeitig aus dem Grundsatze der Proportionalität von Leistungen<lb/>
und Rechten heraus folgt. Denn ein Familienvater erfüllt mehr staats¬<lb/>
bürgerliche Pflichten (indirekte Steuern, Kindererziehung, Entlastung des Staates<lb/>
und der Gemeinde vom Proletariat der unverehelichten Frauen, Erhöhung der<lb/>
nationalen Wehrfähigkeit) als ein Familienloser. Infolge dieser erhöhten<lb/>
politischen Leistung hat er das Recht, soviel Stimmen abzugeben, als seine von<lb/>
ihm versorgte Familie Köpfe hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1490" next="#ID_1491"> Die erste Grundsüule des Staates, die aus dem Fundament der Familie<lb/>
herauswächst, ist die persönliche Teilnahme an der Vaterlandsverteidigung im<lb/>
Frieden sowohl als im Krieg; auch das ist bisher in keinem Wahlgesetz zum<lb/>
Ausdruck gelangt. Ein Ausgleich könnte nicht dadurch erfolgen, daß der Dienst¬<lb/>
untaugliche eine Wehrsteuer zu zahlen hätte. Der Bürger also, der beim<lb/>
Militär gedient hat, soll eine Zusatzstimme erhalten, denn es ist vorauszusetzen,<lb/>
daß seine staatsbildende und staatserhaltende Kraft, sein politisches Verständnis<lb/>
und seine Opferwilligkeit größer ist. &#x201E;Die Feuerprobe liegt freilich erst in der<lb/>
Einsetzung von Leben und Gesundheit bei der aktiven Vaterlandsverteidigung.<lb/>
In dieser Feuerprobe schmelzen wenn irgendwo die Schlacken vaterlandsloser<lb/>
Gesinnung und gemeiner kleinlicher Selbstsucht", so sagt vorausahnend Hart¬<lb/>
mann. Für jeden mitgemachten Krieg soll also der Wähler eine weitere Zusatz¬<lb/>
stimme erhalten. (Es besteht dabei natürlich die Gefahr, daß nach einem<lb/>
gewaltigen Kriege wie dem gegenwärtigen, der alle wehrfähigen Männer zur<lb/>
Dienstleistung gelangen ließ, im Verlauf von einigen Jahrzehnten ein zu starkes<lb/>
Überwiegen der dann an Lebensjahren älteren Wühler hervorgerufen und der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0344] Lduard von Hartmanns Vorschläge zur Wahlreform die Jugend besitzt, sondern tatsächlich dem Staate schon mehr geleistet hat, so soll die Jugend vom einundzwanzigsten bis fünfunddreißigsten Jahre eine Stimme, der reifere Mann bis zum fünfundfünfzigsten Jahre zwei und der noch ältere drei beanspruchen dürfen. Der Bürger soll nicht nur seine Wahlstimme für sich abgeben, sondern auch für seine Frau, für jeden seiner unmündigen Söhne oder nicht verheirateten Töchter. Nur so würde das Wahlrecht wirklich allgemein sein. Auf den Grundmauern der Familie beruht das Staatsgebäude. Ihre Existenz mit erhöhten politischen Rechten zu verknüpfen wäre eine selbstverständliche moralische Pflicht des Staates. Hier ist durch Hartmann auch ein Kompromiß geschaffen mit den Forderungen der Frauenrechtlerinnen, ein Kompromiß, der die innere Einhelligkeit der Familie freilich zur ethischen Voraussetzung hat. Es ist vielleicht der glänzendste Vorschlag Eduard von Hartmanns, in seinem Wahl¬ system der Familie diese grundlegende Rolle zuzuweisen und die Hauptmacht der Stimmabgabe auf ihre Solidarität zu gründen. Er sieht in der Familie den Kern der nationalen Kräfte; mit der politischen Stützung ihrer geschlossenen Einheit wäre gleichzeitig der individualistischen Atomisierung der modernen Ge¬ sellschaft von Staatswegen ein Riegel vorgeschoben. Hiermit ist nach Eduard von Hartmann die Allgemeinheit des Wahlrechts erreicht, die gleichzeitig aus dem Grundsatze der Proportionalität von Leistungen und Rechten heraus folgt. Denn ein Familienvater erfüllt mehr staats¬ bürgerliche Pflichten (indirekte Steuern, Kindererziehung, Entlastung des Staates und der Gemeinde vom Proletariat der unverehelichten Frauen, Erhöhung der nationalen Wehrfähigkeit) als ein Familienloser. Infolge dieser erhöhten politischen Leistung hat er das Recht, soviel Stimmen abzugeben, als seine von ihm versorgte Familie Köpfe hat. Die erste Grundsüule des Staates, die aus dem Fundament der Familie herauswächst, ist die persönliche Teilnahme an der Vaterlandsverteidigung im Frieden sowohl als im Krieg; auch das ist bisher in keinem Wahlgesetz zum Ausdruck gelangt. Ein Ausgleich könnte nicht dadurch erfolgen, daß der Dienst¬ untaugliche eine Wehrsteuer zu zahlen hätte. Der Bürger also, der beim Militär gedient hat, soll eine Zusatzstimme erhalten, denn es ist vorauszusetzen, daß seine staatsbildende und staatserhaltende Kraft, sein politisches Verständnis und seine Opferwilligkeit größer ist. „Die Feuerprobe liegt freilich erst in der Einsetzung von Leben und Gesundheit bei der aktiven Vaterlandsverteidigung. In dieser Feuerprobe schmelzen wenn irgendwo die Schlacken vaterlandsloser Gesinnung und gemeiner kleinlicher Selbstsucht", so sagt vorausahnend Hart¬ mann. Für jeden mitgemachten Krieg soll also der Wähler eine weitere Zusatz¬ stimme erhalten. (Es besteht dabei natürlich die Gefahr, daß nach einem gewaltigen Kriege wie dem gegenwärtigen, der alle wehrfähigen Männer zur Dienstleistung gelangen ließ, im Verlauf von einigen Jahrzehnten ein zu starkes Überwiegen der dann an Lebensjahren älteren Wühler hervorgerufen und der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/344
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/344>, abgerufen am 28.07.2024.