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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Rußlands Nachbarn

russische Bahnkonzesston Aigun--Tsitsikarmit einer Abschwenkung Merzen--Chardin
schafft zwar ein gewisses Gegengewicht, aber die Bahn existiert noch nicht und
Japan wird demgegenüber unbedingt sein eigenes Bahnnetz in der Süd¬
mandschurei zu strategischen Zwecken weiter entwickeln. Ist aber einmal Ru߬
land in der Mandschurei geschwächt, so hat dadurch auch seine Priamurbesitzung
den großen Rückhalt verloren, den sie bisher hatte, denn das russische See¬
gebiet würde sich allein mit der Amurbahn als Verbindungslinie von Sibirien
nach Wladiwostok kaum halten können. Es gewinnt daher den Anschein, als
ob Rußland unter dem Zwange der Verhältnisse dieses Weltkrieges daran geht,
vorläufig in Ostasien eine Politik der Entsagung durchzuführen.

Insofern hat die Abmachung zunächst nur nachbarliche Bedeutung: Japan
hätte einen Schritt der Sicherung seinem Nachbar gegenüber vorgenommen, der
für spätere Fälle, wenn einmal Rußland gezwungen sein sollte oder die Absicht
haben würde, sein Gesicht wieder dem Osten zuzukehren, in hohem Grade
Japans strategische Position verbessert.

Doch das ist nur eine Augenblickswirkung, die anderen Staaten, deren
Interessen wir oben besprachen, zeigt, was eine geschickte Politik erreichen
kann.

Genau aber wie das Abkommen von 1910 zwischen Japan und Rußland
eine weit über die Mandschurei hinausgehende Wirkung gehabt hat, so können
auch Keime zu größerer Wirkung in dem jetzt im Gange befindlichen russisch¬
japanischen Abkommen enthalten sein. Denn treibt Rußland dauernd in den
Japan benachbarten Ländern eine Politik rein defensiver Natur, die eher
noch die Tendenz hat, zuzugeben, daß die japanische Einflußsphäre sich
allmählich über die russische schiebt, wird es vielleicht von Japan dafür an
anderen Orten entschädigt, so erhält Japan ein für allemal seinen Rücken frei.
Aus der Abmachung könnte dann ein Bündnis werden, und das würde
Folgen auch anderen Staaten gegenüber haben.

England hat alles Interesse daran, eine solche Entwicklung zu hindern.
Solange die Verhandlungen zwischen Nußland und Japan rein nachbarlicher
Natur sind, mögen sie vom englischen Standpunkte aus hingehen, obwohl sie
auch so den Engländern nicht angenehm sind, die gewiß jede weitere Konsoli¬
dation der Japaner ungern sehen. Sobald sie aber genereller Natur sind und
sich auf China ausdehnen, oder die internationale Lage Japans beeinflussen,
werden sie für Englands Interessen abträglich. Es hat sich denn auch während
der Verhandlungen bereits in Ekgland eine gewisse Nervosität geltend gemacht,
die dazu führte, daß der bisherige japanische Premierminister Okuma öffentliche
Erklärungen in dem Sinne abgeben mußte, daß für die japanische Politik
nach wie vor das englische Bündnis die Grundlage sein müsse. Kato
hat vor der Ortsgruppe der Doftkai in Kioto neulich dasselbe gesagt
und folgendes hinzugefügt: "Was die russisch-japanischen Beziehungen betreffe,
so sei der Abschluß eines zeitgemäßen Bündnisses ebenfalls von


Rußlands Nachbarn

russische Bahnkonzesston Aigun—Tsitsikarmit einer Abschwenkung Merzen—Chardin
schafft zwar ein gewisses Gegengewicht, aber die Bahn existiert noch nicht und
Japan wird demgegenüber unbedingt sein eigenes Bahnnetz in der Süd¬
mandschurei zu strategischen Zwecken weiter entwickeln. Ist aber einmal Ru߬
land in der Mandschurei geschwächt, so hat dadurch auch seine Priamurbesitzung
den großen Rückhalt verloren, den sie bisher hatte, denn das russische See¬
gebiet würde sich allein mit der Amurbahn als Verbindungslinie von Sibirien
nach Wladiwostok kaum halten können. Es gewinnt daher den Anschein, als
ob Rußland unter dem Zwange der Verhältnisse dieses Weltkrieges daran geht,
vorläufig in Ostasien eine Politik der Entsagung durchzuführen.

Insofern hat die Abmachung zunächst nur nachbarliche Bedeutung: Japan
hätte einen Schritt der Sicherung seinem Nachbar gegenüber vorgenommen, der
für spätere Fälle, wenn einmal Rußland gezwungen sein sollte oder die Absicht
haben würde, sein Gesicht wieder dem Osten zuzukehren, in hohem Grade
Japans strategische Position verbessert.

Doch das ist nur eine Augenblickswirkung, die anderen Staaten, deren
Interessen wir oben besprachen, zeigt, was eine geschickte Politik erreichen
kann.

Genau aber wie das Abkommen von 1910 zwischen Japan und Rußland
eine weit über die Mandschurei hinausgehende Wirkung gehabt hat, so können
auch Keime zu größerer Wirkung in dem jetzt im Gange befindlichen russisch¬
japanischen Abkommen enthalten sein. Denn treibt Rußland dauernd in den
Japan benachbarten Ländern eine Politik rein defensiver Natur, die eher
noch die Tendenz hat, zuzugeben, daß die japanische Einflußsphäre sich
allmählich über die russische schiebt, wird es vielleicht von Japan dafür an
anderen Orten entschädigt, so erhält Japan ein für allemal seinen Rücken frei.
Aus der Abmachung könnte dann ein Bündnis werden, und das würde
Folgen auch anderen Staaten gegenüber haben.

England hat alles Interesse daran, eine solche Entwicklung zu hindern.
Solange die Verhandlungen zwischen Nußland und Japan rein nachbarlicher
Natur sind, mögen sie vom englischen Standpunkte aus hingehen, obwohl sie
auch so den Engländern nicht angenehm sind, die gewiß jede weitere Konsoli¬
dation der Japaner ungern sehen. Sobald sie aber genereller Natur sind und
sich auf China ausdehnen, oder die internationale Lage Japans beeinflussen,
werden sie für Englands Interessen abträglich. Es hat sich denn auch während
der Verhandlungen bereits in Ekgland eine gewisse Nervosität geltend gemacht,
die dazu führte, daß der bisherige japanische Premierminister Okuma öffentliche
Erklärungen in dem Sinne abgeben mußte, daß für die japanische Politik
nach wie vor das englische Bündnis die Grundlage sein müsse. Kato
hat vor der Ortsgruppe der Doftkai in Kioto neulich dasselbe gesagt
und folgendes hinzugefügt: „Was die russisch-japanischen Beziehungen betreffe,
so sei der Abschluß eines zeitgemäßen Bündnisses ebenfalls von


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[0340] Rußlands Nachbarn russische Bahnkonzesston Aigun—Tsitsikarmit einer Abschwenkung Merzen—Chardin schafft zwar ein gewisses Gegengewicht, aber die Bahn existiert noch nicht und Japan wird demgegenüber unbedingt sein eigenes Bahnnetz in der Süd¬ mandschurei zu strategischen Zwecken weiter entwickeln. Ist aber einmal Ru߬ land in der Mandschurei geschwächt, so hat dadurch auch seine Priamurbesitzung den großen Rückhalt verloren, den sie bisher hatte, denn das russische See¬ gebiet würde sich allein mit der Amurbahn als Verbindungslinie von Sibirien nach Wladiwostok kaum halten können. Es gewinnt daher den Anschein, als ob Rußland unter dem Zwange der Verhältnisse dieses Weltkrieges daran geht, vorläufig in Ostasien eine Politik der Entsagung durchzuführen. Insofern hat die Abmachung zunächst nur nachbarliche Bedeutung: Japan hätte einen Schritt der Sicherung seinem Nachbar gegenüber vorgenommen, der für spätere Fälle, wenn einmal Rußland gezwungen sein sollte oder die Absicht haben würde, sein Gesicht wieder dem Osten zuzukehren, in hohem Grade Japans strategische Position verbessert. Doch das ist nur eine Augenblickswirkung, die anderen Staaten, deren Interessen wir oben besprachen, zeigt, was eine geschickte Politik erreichen kann. Genau aber wie das Abkommen von 1910 zwischen Japan und Rußland eine weit über die Mandschurei hinausgehende Wirkung gehabt hat, so können auch Keime zu größerer Wirkung in dem jetzt im Gange befindlichen russisch¬ japanischen Abkommen enthalten sein. Denn treibt Rußland dauernd in den Japan benachbarten Ländern eine Politik rein defensiver Natur, die eher noch die Tendenz hat, zuzugeben, daß die japanische Einflußsphäre sich allmählich über die russische schiebt, wird es vielleicht von Japan dafür an anderen Orten entschädigt, so erhält Japan ein für allemal seinen Rücken frei. Aus der Abmachung könnte dann ein Bündnis werden, und das würde Folgen auch anderen Staaten gegenüber haben. England hat alles Interesse daran, eine solche Entwicklung zu hindern. Solange die Verhandlungen zwischen Nußland und Japan rein nachbarlicher Natur sind, mögen sie vom englischen Standpunkte aus hingehen, obwohl sie auch so den Engländern nicht angenehm sind, die gewiß jede weitere Konsoli¬ dation der Japaner ungern sehen. Sobald sie aber genereller Natur sind und sich auf China ausdehnen, oder die internationale Lage Japans beeinflussen, werden sie für Englands Interessen abträglich. Es hat sich denn auch während der Verhandlungen bereits in Ekgland eine gewisse Nervosität geltend gemacht, die dazu führte, daß der bisherige japanische Premierminister Okuma öffentliche Erklärungen in dem Sinne abgeben mußte, daß für die japanische Politik nach wie vor das englische Bündnis die Grundlage sein müsse. Kato hat vor der Ortsgruppe der Doftkai in Kioto neulich dasselbe gesagt und folgendes hinzugefügt: „Was die russisch-japanischen Beziehungen betreffe, so sei der Abschluß eines zeitgemäßen Bündnisses ebenfalls von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/340>, abgerufen am 28.07.2024.