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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Rußlands Nachbarn

von 1910, die durch die ungeschickten Schritte des amerikanischen Staatssekretärs
Knox herbeigeführt oder wenigstens beschleunigt worden war. Sie bedeutete
eine Verständigung der beiden Mächte in bezug auf ihre Interessensphären im
fernen Osten und betonte auch nach außen hin ihre Solidarität zwecks Aufrecht¬
erhaltung des statu8 quo in der Mandschurei auf Grund der früheren Ab¬
kommen. Die dem Abkommen folgende Annexion von Korea war das Er¬
gebnis für Japan nach außen hin, die Inangriffnahme des lebhafteren Ein¬
dringens Rußlands in die äußere Mongolei, von dem Rußland während dieses
Krieges die ersten Früchte geerntet hat, das Ergebnis für Rußland. Im
übrigen hatte Rußland eine dauernde Rückendeckung im Osten auch für den
Fall von Komplikationen im Westen erzielt -- insofern hatte das Abkommen
auch eine unleugbare Rückwirkung auf die europäische Politik. Was Japan
anlangt, fo hatte es allen Mächten gegenüber, die feinen Besitzstand auf dem
asiatischen Festlande irgendwie bedrohten, die Hände frei. Das Abkommen hatte
zweifellos eine offene Spitze gegen die Vereinigten Staaten, konnte aber eines
Tages auch für England von Bedeutung werden. Wenn es sich auch feinem
Wortlaute nach nur auf die Mandschurei bezog, so war es sicherlich entwicklungs¬
fähig in dem Sinne, daß, wenn es einmal gelang, zwischen Japan und Ru߬
land eine Vereinbarung über das Schicksal Chinas zu treffen, die auf irgend¬
eine Weise mit den politischen Interessen Englands kollidierte, es die Keime
für ein generelles Bündnis zwischen Nußland und Japan in sich barg. Doch
das war nur eine unterbewußte Möglichkeit.

So war die politische Lage zu Beginn des Weltkrieges. Das russisch¬
japanische Einvernehmen störte vorläufig in keiner Weise das japanisch-englische
Bündnis -- im Gegenteil: es erleichterte Rußland im Osten, beruhigte Japan
vollkommen über die Absichten Rußlands, und ließ dabei beiden Staaten in der
von England gewünschten Weise die Hände frei, gegen Deutschland zu marschieren.

Durch den Krieg wurden zunächst die Beziehungen zwischen Japan und
Rußland in keiner Weise berührt. Beide Staaten hatten zu tun. Japan zog
gegen Kiautschou, Rußland gegen Westen. Als der Krieg länger dauerte, als
man annehmen konnte, wandte Japan zunächst seine Hauptaufmerksamkeit nicht
den Beziehungen zu Rußland, sondern den chinesischen Dingen zu. England
und alle übrigen europäischen Mächte, die ein Interesse an der Aufrechterhaltung
des 8law8 quo in China haben, waren beschäftigt, Amerika hielt es nicht für
zweckmäßig einzugreifen, wandte vielmehr sein ganzes Augenmerk auf seinen
Notenwechsel mit Deutschland. Diesen Augenblick benutzte die japanische Politik.
Die einzelnen Phasen seiner Aktion gegen China sind bekannt. Japan verhinderte
die Wiedereinrichtung der Monarchie durch Juan, wobei es wahrscheinlich durch
geschickt ausgeübten Druck die Mächte der Entente mit vor seinen Wagen spannte.
Immerhin gelang es ihm nicht, das weite politische Programm, das es China
zunächst präsentierte -- und das auf eine Koreanisierung des Reiches der Mitte
ausging -- zu verwirklichen. Wir dürfen annehmen, daß hier die Politik


Rußlands Nachbarn

von 1910, die durch die ungeschickten Schritte des amerikanischen Staatssekretärs
Knox herbeigeführt oder wenigstens beschleunigt worden war. Sie bedeutete
eine Verständigung der beiden Mächte in bezug auf ihre Interessensphären im
fernen Osten und betonte auch nach außen hin ihre Solidarität zwecks Aufrecht¬
erhaltung des statu8 quo in der Mandschurei auf Grund der früheren Ab¬
kommen. Die dem Abkommen folgende Annexion von Korea war das Er¬
gebnis für Japan nach außen hin, die Inangriffnahme des lebhafteren Ein¬
dringens Rußlands in die äußere Mongolei, von dem Rußland während dieses
Krieges die ersten Früchte geerntet hat, das Ergebnis für Rußland. Im
übrigen hatte Rußland eine dauernde Rückendeckung im Osten auch für den
Fall von Komplikationen im Westen erzielt — insofern hatte das Abkommen
auch eine unleugbare Rückwirkung auf die europäische Politik. Was Japan
anlangt, fo hatte es allen Mächten gegenüber, die feinen Besitzstand auf dem
asiatischen Festlande irgendwie bedrohten, die Hände frei. Das Abkommen hatte
zweifellos eine offene Spitze gegen die Vereinigten Staaten, konnte aber eines
Tages auch für England von Bedeutung werden. Wenn es sich auch feinem
Wortlaute nach nur auf die Mandschurei bezog, so war es sicherlich entwicklungs¬
fähig in dem Sinne, daß, wenn es einmal gelang, zwischen Japan und Ru߬
land eine Vereinbarung über das Schicksal Chinas zu treffen, die auf irgend¬
eine Weise mit den politischen Interessen Englands kollidierte, es die Keime
für ein generelles Bündnis zwischen Nußland und Japan in sich barg. Doch
das war nur eine unterbewußte Möglichkeit.

So war die politische Lage zu Beginn des Weltkrieges. Das russisch¬
japanische Einvernehmen störte vorläufig in keiner Weise das japanisch-englische
Bündnis — im Gegenteil: es erleichterte Rußland im Osten, beruhigte Japan
vollkommen über die Absichten Rußlands, und ließ dabei beiden Staaten in der
von England gewünschten Weise die Hände frei, gegen Deutschland zu marschieren.

Durch den Krieg wurden zunächst die Beziehungen zwischen Japan und
Rußland in keiner Weise berührt. Beide Staaten hatten zu tun. Japan zog
gegen Kiautschou, Rußland gegen Westen. Als der Krieg länger dauerte, als
man annehmen konnte, wandte Japan zunächst seine Hauptaufmerksamkeit nicht
den Beziehungen zu Rußland, sondern den chinesischen Dingen zu. England
und alle übrigen europäischen Mächte, die ein Interesse an der Aufrechterhaltung
des 8law8 quo in China haben, waren beschäftigt, Amerika hielt es nicht für
zweckmäßig einzugreifen, wandte vielmehr sein ganzes Augenmerk auf seinen
Notenwechsel mit Deutschland. Diesen Augenblick benutzte die japanische Politik.
Die einzelnen Phasen seiner Aktion gegen China sind bekannt. Japan verhinderte
die Wiedereinrichtung der Monarchie durch Juan, wobei es wahrscheinlich durch
geschickt ausgeübten Druck die Mächte der Entente mit vor seinen Wagen spannte.
Immerhin gelang es ihm nicht, das weite politische Programm, das es China
zunächst präsentierte — und das auf eine Koreanisierung des Reiches der Mitte
ausging — zu verwirklichen. Wir dürfen annehmen, daß hier die Politik


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[0338] Rußlands Nachbarn von 1910, die durch die ungeschickten Schritte des amerikanischen Staatssekretärs Knox herbeigeführt oder wenigstens beschleunigt worden war. Sie bedeutete eine Verständigung der beiden Mächte in bezug auf ihre Interessensphären im fernen Osten und betonte auch nach außen hin ihre Solidarität zwecks Aufrecht¬ erhaltung des statu8 quo in der Mandschurei auf Grund der früheren Ab¬ kommen. Die dem Abkommen folgende Annexion von Korea war das Er¬ gebnis für Japan nach außen hin, die Inangriffnahme des lebhafteren Ein¬ dringens Rußlands in die äußere Mongolei, von dem Rußland während dieses Krieges die ersten Früchte geerntet hat, das Ergebnis für Rußland. Im übrigen hatte Rußland eine dauernde Rückendeckung im Osten auch für den Fall von Komplikationen im Westen erzielt — insofern hatte das Abkommen auch eine unleugbare Rückwirkung auf die europäische Politik. Was Japan anlangt, fo hatte es allen Mächten gegenüber, die feinen Besitzstand auf dem asiatischen Festlande irgendwie bedrohten, die Hände frei. Das Abkommen hatte zweifellos eine offene Spitze gegen die Vereinigten Staaten, konnte aber eines Tages auch für England von Bedeutung werden. Wenn es sich auch feinem Wortlaute nach nur auf die Mandschurei bezog, so war es sicherlich entwicklungs¬ fähig in dem Sinne, daß, wenn es einmal gelang, zwischen Japan und Ru߬ land eine Vereinbarung über das Schicksal Chinas zu treffen, die auf irgend¬ eine Weise mit den politischen Interessen Englands kollidierte, es die Keime für ein generelles Bündnis zwischen Nußland und Japan in sich barg. Doch das war nur eine unterbewußte Möglichkeit. So war die politische Lage zu Beginn des Weltkrieges. Das russisch¬ japanische Einvernehmen störte vorläufig in keiner Weise das japanisch-englische Bündnis — im Gegenteil: es erleichterte Rußland im Osten, beruhigte Japan vollkommen über die Absichten Rußlands, und ließ dabei beiden Staaten in der von England gewünschten Weise die Hände frei, gegen Deutschland zu marschieren. Durch den Krieg wurden zunächst die Beziehungen zwischen Japan und Rußland in keiner Weise berührt. Beide Staaten hatten zu tun. Japan zog gegen Kiautschou, Rußland gegen Westen. Als der Krieg länger dauerte, als man annehmen konnte, wandte Japan zunächst seine Hauptaufmerksamkeit nicht den Beziehungen zu Rußland, sondern den chinesischen Dingen zu. England und alle übrigen europäischen Mächte, die ein Interesse an der Aufrechterhaltung des 8law8 quo in China haben, waren beschäftigt, Amerika hielt es nicht für zweckmäßig einzugreifen, wandte vielmehr sein ganzes Augenmerk auf seinen Notenwechsel mit Deutschland. Diesen Augenblick benutzte die japanische Politik. Die einzelnen Phasen seiner Aktion gegen China sind bekannt. Japan verhinderte die Wiedereinrichtung der Monarchie durch Juan, wobei es wahrscheinlich durch geschickt ausgeübten Druck die Mächte der Entente mit vor seinen Wagen spannte. Immerhin gelang es ihm nicht, das weite politische Programm, das es China zunächst präsentierte — und das auf eine Koreanisierung des Reiches der Mitte ausging — zu verwirklichen. Wir dürfen annehmen, daß hier die Politik

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/338>, abgerufen am 28.07.2024.