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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Rußlands Nachbarn

Landhunger gemacht wurde, verdankt das bißchen Selbständigkeit, das es bis
zum Kriege gehabt hat, den Mittelmächten. Allein das Vorhandensein der
deutschen Weltmacht genügte, um die beiden über Persien vorläufig einigen
Mächte von weiteren Schritten abzuhalten. Diejenigen Kreise, die für ihr Vater¬
land sorgten, erkannten, das nur der Anschluß an die Mittelmächte die Selb¬
ständigkeit Persiens für später verbürgen könne. Es fehlte aber an Organisation
und an wirklicher Macht. So konnte General Baratow tief bis nach Jspahan
hinunterbringen, und das Land, das sich mit Nußland nicht im Kriegszustande
befand, vergewaltigen. Vorher hatten die englischen Heerhaufen, die ohne
weiteres im Süden des neutralen Landes eingerückt waren, alles getan, um
die Perser auch über ihre britischen Freunde aufzuklären. Persiens Zukunft
hängt also ebenfalls vom Siege der Mittelmächte ab, ebenso wie schließlich die
von Afghanistan. Denn auch dieses Land läuft, wenn eS nicht stark bleibt
und feine Interessen jetzt wahrt, wo der günstige Moment gegeben ist, an dem¬
jenigen Tage Gefahr, von Großbritannien oder von Rußland verschlungen zu
werden, wo diese Staaten an dem Weiterbestehen dieses Pufferstaates das
Interesse verloren haben.

Bleibt für unsere Betrachtung der große Nachbar Rußlands im Osten,
Japan übrig. Zunächst einen Blick in die Vergangenheit. Für Japan war
der russische Drang nach dem warmen Wasser in dem Momente gefährlich ge¬
worden, als Rußland hartnäckig abgelehnt hatte, wegen Korea die gewünschten
Vereinbarungen zu treffen, vielmehr Anstalten machte, dort im fernen Osten
in unmittelbarer Nähe Japans ein Gibraltar zu gründen, das für die ganze
Zukunft Japans, vor allen für seine Beziehungen zu China, von vernichtender
Bedeutung sein konnte. Jto hatte noch im Jahre 1901 durch seinen Besuch in
Petersburg den vergeblichen Versuch gemacht, eine Verständigung mit Rußland
auf der Basis der absoluten Aktionsfreiheit Japans in Korea und Rußlands
in der Mandschurei zustande zu bringen. Die Schlußfolgerung aus dem Mi߬
lingen des Jtoschen Planes war das englisch-japanische Abkommen, das
Japan für den Fall eines Krieges mit Nußland die gewünschte Rückendeckung
gab. Es gelang Nußland nicht, Frankreich zu mehr als deklaratorischen
Schritten in bezug auf die russisch-ostasiatische Politik zu bekommen. Bewußt
lehnten die französischen Staatsmänner ab, das russisch-französische Bündnis
aus den fernen Osten auszudehnen. So stand Rußland in der Stunde der
Entscheidung einem von England gestützten Japan allein gegenüber. Rußland
verlor den Krieg. Die Engländer operierten sowohl beim Zustandekommen des
Friedensschlusses wie später äußerst geschickt. Es konnte nicht im englischen
Interesse liegen, daß Japan zu stark und Rußland zu schwach würde. Von
diesem Gesichtspunkte aus war die englische Politik diktiert, die im gegebenen
Moment auf den Frieden zwischen den beiden Gegnern hinarbeitete und nach
dem Frieden einer vorläufigen Verständigung nicht unfreundlich gegenüberstand.
Dem Frieden von Portsmouth (5. September 1905) folgte die Verständigung


Rußlands Nachbarn

Landhunger gemacht wurde, verdankt das bißchen Selbständigkeit, das es bis
zum Kriege gehabt hat, den Mittelmächten. Allein das Vorhandensein der
deutschen Weltmacht genügte, um die beiden über Persien vorläufig einigen
Mächte von weiteren Schritten abzuhalten. Diejenigen Kreise, die für ihr Vater¬
land sorgten, erkannten, das nur der Anschluß an die Mittelmächte die Selb¬
ständigkeit Persiens für später verbürgen könne. Es fehlte aber an Organisation
und an wirklicher Macht. So konnte General Baratow tief bis nach Jspahan
hinunterbringen, und das Land, das sich mit Nußland nicht im Kriegszustande
befand, vergewaltigen. Vorher hatten die englischen Heerhaufen, die ohne
weiteres im Süden des neutralen Landes eingerückt waren, alles getan, um
die Perser auch über ihre britischen Freunde aufzuklären. Persiens Zukunft
hängt also ebenfalls vom Siege der Mittelmächte ab, ebenso wie schließlich die
von Afghanistan. Denn auch dieses Land läuft, wenn eS nicht stark bleibt
und feine Interessen jetzt wahrt, wo der günstige Moment gegeben ist, an dem¬
jenigen Tage Gefahr, von Großbritannien oder von Rußland verschlungen zu
werden, wo diese Staaten an dem Weiterbestehen dieses Pufferstaates das
Interesse verloren haben.

Bleibt für unsere Betrachtung der große Nachbar Rußlands im Osten,
Japan übrig. Zunächst einen Blick in die Vergangenheit. Für Japan war
der russische Drang nach dem warmen Wasser in dem Momente gefährlich ge¬
worden, als Rußland hartnäckig abgelehnt hatte, wegen Korea die gewünschten
Vereinbarungen zu treffen, vielmehr Anstalten machte, dort im fernen Osten
in unmittelbarer Nähe Japans ein Gibraltar zu gründen, das für die ganze
Zukunft Japans, vor allen für seine Beziehungen zu China, von vernichtender
Bedeutung sein konnte. Jto hatte noch im Jahre 1901 durch seinen Besuch in
Petersburg den vergeblichen Versuch gemacht, eine Verständigung mit Rußland
auf der Basis der absoluten Aktionsfreiheit Japans in Korea und Rußlands
in der Mandschurei zustande zu bringen. Die Schlußfolgerung aus dem Mi߬
lingen des Jtoschen Planes war das englisch-japanische Abkommen, das
Japan für den Fall eines Krieges mit Nußland die gewünschte Rückendeckung
gab. Es gelang Nußland nicht, Frankreich zu mehr als deklaratorischen
Schritten in bezug auf die russisch-ostasiatische Politik zu bekommen. Bewußt
lehnten die französischen Staatsmänner ab, das russisch-französische Bündnis
aus den fernen Osten auszudehnen. So stand Rußland in der Stunde der
Entscheidung einem von England gestützten Japan allein gegenüber. Rußland
verlor den Krieg. Die Engländer operierten sowohl beim Zustandekommen des
Friedensschlusses wie später äußerst geschickt. Es konnte nicht im englischen
Interesse liegen, daß Japan zu stark und Rußland zu schwach würde. Von
diesem Gesichtspunkte aus war die englische Politik diktiert, die im gegebenen
Moment auf den Frieden zwischen den beiden Gegnern hinarbeitete und nach
dem Frieden einer vorläufigen Verständigung nicht unfreundlich gegenüberstand.
Dem Frieden von Portsmouth (5. September 1905) folgte die Verständigung


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[0337] Rußlands Nachbarn Landhunger gemacht wurde, verdankt das bißchen Selbständigkeit, das es bis zum Kriege gehabt hat, den Mittelmächten. Allein das Vorhandensein der deutschen Weltmacht genügte, um die beiden über Persien vorläufig einigen Mächte von weiteren Schritten abzuhalten. Diejenigen Kreise, die für ihr Vater¬ land sorgten, erkannten, das nur der Anschluß an die Mittelmächte die Selb¬ ständigkeit Persiens für später verbürgen könne. Es fehlte aber an Organisation und an wirklicher Macht. So konnte General Baratow tief bis nach Jspahan hinunterbringen, und das Land, das sich mit Nußland nicht im Kriegszustande befand, vergewaltigen. Vorher hatten die englischen Heerhaufen, die ohne weiteres im Süden des neutralen Landes eingerückt waren, alles getan, um die Perser auch über ihre britischen Freunde aufzuklären. Persiens Zukunft hängt also ebenfalls vom Siege der Mittelmächte ab, ebenso wie schließlich die von Afghanistan. Denn auch dieses Land läuft, wenn eS nicht stark bleibt und feine Interessen jetzt wahrt, wo der günstige Moment gegeben ist, an dem¬ jenigen Tage Gefahr, von Großbritannien oder von Rußland verschlungen zu werden, wo diese Staaten an dem Weiterbestehen dieses Pufferstaates das Interesse verloren haben. Bleibt für unsere Betrachtung der große Nachbar Rußlands im Osten, Japan übrig. Zunächst einen Blick in die Vergangenheit. Für Japan war der russische Drang nach dem warmen Wasser in dem Momente gefährlich ge¬ worden, als Rußland hartnäckig abgelehnt hatte, wegen Korea die gewünschten Vereinbarungen zu treffen, vielmehr Anstalten machte, dort im fernen Osten in unmittelbarer Nähe Japans ein Gibraltar zu gründen, das für die ganze Zukunft Japans, vor allen für seine Beziehungen zu China, von vernichtender Bedeutung sein konnte. Jto hatte noch im Jahre 1901 durch seinen Besuch in Petersburg den vergeblichen Versuch gemacht, eine Verständigung mit Rußland auf der Basis der absoluten Aktionsfreiheit Japans in Korea und Rußlands in der Mandschurei zustande zu bringen. Die Schlußfolgerung aus dem Mi߬ lingen des Jtoschen Planes war das englisch-japanische Abkommen, das Japan für den Fall eines Krieges mit Nußland die gewünschte Rückendeckung gab. Es gelang Nußland nicht, Frankreich zu mehr als deklaratorischen Schritten in bezug auf die russisch-ostasiatische Politik zu bekommen. Bewußt lehnten die französischen Staatsmänner ab, das russisch-französische Bündnis aus den fernen Osten auszudehnen. So stand Rußland in der Stunde der Entscheidung einem von England gestützten Japan allein gegenüber. Rußland verlor den Krieg. Die Engländer operierten sowohl beim Zustandekommen des Friedensschlusses wie später äußerst geschickt. Es konnte nicht im englischen Interesse liegen, daß Japan zu stark und Rußland zu schwach würde. Von diesem Gesichtspunkte aus war die englische Politik diktiert, die im gegebenen Moment auf den Frieden zwischen den beiden Gegnern hinarbeitete und nach dem Frieden einer vorläufigen Verständigung nicht unfreundlich gegenüberstand. Dem Frieden von Portsmouth (5. September 1905) folgte die Verständigung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/337>, abgerufen am 23.12.2024.