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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Die Entwicklung der französischen Presse zur Weltmacht

Brüssel Luft macht und dem Vertreter Deutschlands vorwirft, daß er seine
Pflichten gegen Amt und Rasse vergessen und die französisch-gesinnten Belgier
unterstützt habe.

Tatlos haben wir zugesehen, daß ein uns stammverwandtes Volk immer mehr
dem Banne des Fmnzosentums verfiel, und die übermächtige Presse Frankreichs
das gesamte öffentliche Leben in Belgien beherrschte.

Auch das italienische Zeitungswesen ist fast ausnahmslos ein Trabant des
französischen gewesen. Wie heute, so konnte man 1870 in Blättern wie die
"Mailänder Perseveranza", "Libertä", "Il Tribuno", "La Capitale", "Gazetta
ti Roma", "Riforma" u. a. lesen, daß der Krieg zwischen Frankreich und
Deutschland ein Nassenkrieg sei. Die Existenz der lateinischen Rasse, der das
barbarische Germanentum den Untergang geschworen, stehe auf dem Spiele und
müsse in gemeinsamer Abwehr verteidigt werden.*) Da las man täglich z. B.
in der "Liberty" haarsträubende Geschichten von den unerhörten Grausamkeiten,
die unsere Truppen in Frankreich verübt haben sollten. Da wurde im Bilde
dargestellt, wie der Hunnenherrscher Attila den König Wilhelm als würdigen Nach¬
folger begrüßt, wie Garibaldi den Preußenkönig vermittelst eines mit der Inschrift
"DiZione" (Dijon) bezeichneten Steines zu Boden wirft. Derartige geschmack¬
lose Frivolitäten, die noch zu den harmlosesten Leistungen auf dem Gebiete der
Schmähschriften gehören, waren würdige Vorläufer der gemeinen Zerrbilder, die
gegenwärtig in den Schaufenstern Roms die Stimmung der Bevölkerung auf¬
reizen. Die weitaus größte Mehrzahl der italienischen Zeitungsschreiber bestand
aus urteilslosen Nachbetern französischer Schlugphrasen. Die italienische Presse
entnahm ihre auswärtigen Nachrichten fast ausschließlich französischen Zeitungen,
die wiederum ihre Belehrung einzig den beiden offiziösen Agenturen "Havas" und
"Bullier" verdankten. An deutschen Korrespondenten und Blättern, die das
notwendige Gegengewicht hätten bilden können, fehlte es ganz.

Wie in Florenz und Rom, so fand auch in Rußland, in Petersburg und
Moskau die französische Presse schon lange vor dem Abschlüsse des russisch-
französischen Bündnisses eine große bereitwillige Gefolgschaft. Wir reden
immer noch von der traditionellen Freundschaft Rußlands. Wie viele von
denen, die diese Redensart im Munde führen, wissen, daß die moskowitische
Presse schon 1870 nur ein Echo der französischen war, daß damals mit Aus¬
nahme einer Monatsschrift des "Europäischen Boten" alle einflußreichen Zei¬
tungen, Blätter wie der "Golos", die "Börsenzeitung", die "Moskaner Zeitung"
dem preußisch-deutschen Staat, überhaupt allem, was deutsch war, den Krieg



*) Vergl. meinen Aufsatz "Deutschland und die italienische Presse in den Jahren 1370
und 71". Im "Tag" Ausgabe K Ur. 140 v. 13. Juni 1915.
Die Entwicklung der französischen Presse zur Weltmacht

Brüssel Luft macht und dem Vertreter Deutschlands vorwirft, daß er seine
Pflichten gegen Amt und Rasse vergessen und die französisch-gesinnten Belgier
unterstützt habe.

Tatlos haben wir zugesehen, daß ein uns stammverwandtes Volk immer mehr
dem Banne des Fmnzosentums verfiel, und die übermächtige Presse Frankreichs
das gesamte öffentliche Leben in Belgien beherrschte.

Auch das italienische Zeitungswesen ist fast ausnahmslos ein Trabant des
französischen gewesen. Wie heute, so konnte man 1870 in Blättern wie die
„Mailänder Perseveranza", „Libertä", „Il Tribuno", „La Capitale", „Gazetta
ti Roma", „Riforma" u. a. lesen, daß der Krieg zwischen Frankreich und
Deutschland ein Nassenkrieg sei. Die Existenz der lateinischen Rasse, der das
barbarische Germanentum den Untergang geschworen, stehe auf dem Spiele und
müsse in gemeinsamer Abwehr verteidigt werden.*) Da las man täglich z. B.
in der „Liberty" haarsträubende Geschichten von den unerhörten Grausamkeiten,
die unsere Truppen in Frankreich verübt haben sollten. Da wurde im Bilde
dargestellt, wie der Hunnenherrscher Attila den König Wilhelm als würdigen Nach¬
folger begrüßt, wie Garibaldi den Preußenkönig vermittelst eines mit der Inschrift
„DiZione" (Dijon) bezeichneten Steines zu Boden wirft. Derartige geschmack¬
lose Frivolitäten, die noch zu den harmlosesten Leistungen auf dem Gebiete der
Schmähschriften gehören, waren würdige Vorläufer der gemeinen Zerrbilder, die
gegenwärtig in den Schaufenstern Roms die Stimmung der Bevölkerung auf¬
reizen. Die weitaus größte Mehrzahl der italienischen Zeitungsschreiber bestand
aus urteilslosen Nachbetern französischer Schlugphrasen. Die italienische Presse
entnahm ihre auswärtigen Nachrichten fast ausschließlich französischen Zeitungen,
die wiederum ihre Belehrung einzig den beiden offiziösen Agenturen „Havas" und
„Bullier" verdankten. An deutschen Korrespondenten und Blättern, die das
notwendige Gegengewicht hätten bilden können, fehlte es ganz.

Wie in Florenz und Rom, so fand auch in Rußland, in Petersburg und
Moskau die französische Presse schon lange vor dem Abschlüsse des russisch-
französischen Bündnisses eine große bereitwillige Gefolgschaft. Wir reden
immer noch von der traditionellen Freundschaft Rußlands. Wie viele von
denen, die diese Redensart im Munde führen, wissen, daß die moskowitische
Presse schon 1870 nur ein Echo der französischen war, daß damals mit Aus¬
nahme einer Monatsschrift des „Europäischen Boten" alle einflußreichen Zei¬
tungen, Blätter wie der „Golos", die „Börsenzeitung", die „Moskaner Zeitung"
dem preußisch-deutschen Staat, überhaupt allem, was deutsch war, den Krieg



*) Vergl. meinen Aufsatz „Deutschland und die italienische Presse in den Jahren 1370
und 71". Im „Tag" Ausgabe K Ur. 140 v. 13. Juni 1915.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/33>, abgerufen am 01.09.2024.