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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Die böhmische Frage

verkündet worden, wesentlich im Anschluß an verwandte Strömungen im
damaligen Deutschland. Kollar hat seine Idee auch sofort in einem großen
Dichtwerk "Die Tochter der Slava" verherrlicht und es mutet wie eine Ironie
der Geschichte an, daß das Urbild seiner Slawengöttin ein deutsches Pfarrer¬
töchterlein, eine Studentenltebe aus Lobeda bei Jena, gewesen ist. Noch Franz
Palacky, der sich seines Tschechentums gewiß voll bewußt war, hat ja, als er
von Frankfurt aus eingeladen wurde, an den Vorarbeiten für das deutsche
Parlament teilzunehmen, sein Österreichertum in den berühmt gewordenen Worten
betont: "Wahrlich, existierte der österreichische Kaiserstaat nicht schon längst,
müßte man im Interesse Europas, im Interesse der Humanität selbst sich
beeilen, ihn zu schaffen." Als Palacky dies schrieb, war die Politisierung der
panslawistischen Idee bereits sehr vorgeschritten.

Aus dem Zickzackkurs der österreichischen Regierung in der böhmischen
Frage und dem wenig erquicklichen Streit der Parianrente seien nur einige
Marksteine hervorgehoben. Die erste Periode reicht von 1848 bis 1867, bis
zum Erlaß der Dezemberverfassung. Charakteristischer Weise stehen am Anfang
und Ende zwei vanslawistische Kundgebungen. 1848 tagte auf der Sophieninsel
bei Prag der erste Slawenkongreß, der in seiner babylonischen Sprachen¬
verwirrung ein burleskes Schauspiel bot und mit seinen phantastisch radikalen
Forderungen die Slawen auf einer politisch noch tieferen Stufe zeigte, als sie selbst
in der damaligen Zeit üblich war. Im April 1867 gab es eine viel ernsthaftere,
wirklich bedenkliche Demonstration: ein Pilgerzug der österreichischen Slawen mit
Ausnahme der Polen nach Moskau. Der Tscheche Rieger huldigt den Russen: Es
beginnt für euch die Offensive, euch kommt es zu, die Südslawen zu befreien.
Prag bereitet die slawische Zukunftsidee vor, und wir, feine hier versammelten
Kinder, bringen diese Idee aus Prag nach der Mutterstadt Moskau. Die
Dezemberverfafsung von 1867 kam den nationalen Strömungen sehr entgegen.
Art. 19 des Grundgesetzes über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger
besagt: "Alle Volksstämme des Staates sind gleichberechtigt und jeder Volks¬
stamm hat sein unverletzliches Recht auf Wahrung und Pflege seiner Nationalität
und Sprache. Die Gleichberechtigung aller landesüblichen Sprachen in Schule,
Amt und öffentlichem Leben wird vom Staate anerkannt."

Wie man dies Entgegenkommen in Böhmen auffaßte, mußte Kaiser Franz
Josef gleich 1868 erfahren, als er nach Prag zur Einweihung der Elisabeth¬
brücke kam und Plakate jeden Tschechen als Verräter brandmarkten, der sich an
dem Empfange beteiligen würde. Es bleibt doch wohl zu bezweifeln, ob die
Täuschung des Kaisers so weit ging, daß seine infolgedessen ja berechtigten
Worte: "Die Stadt machte einen völlig deutschen Eindruck", aufrichtig und ernst
gemeint waren.

Vorderhand blieb den Deutschen noch die Vorherrschaft im Staat. Es ist die
zweite Periode des konstitutionell regierten Osterreich, die dadurch genau zu
begrenzen ist, die Zeit von 1867 bis 1879. Die Tschechen hielten sich dem


Die böhmische Frage

verkündet worden, wesentlich im Anschluß an verwandte Strömungen im
damaligen Deutschland. Kollar hat seine Idee auch sofort in einem großen
Dichtwerk „Die Tochter der Slava" verherrlicht und es mutet wie eine Ironie
der Geschichte an, daß das Urbild seiner Slawengöttin ein deutsches Pfarrer¬
töchterlein, eine Studentenltebe aus Lobeda bei Jena, gewesen ist. Noch Franz
Palacky, der sich seines Tschechentums gewiß voll bewußt war, hat ja, als er
von Frankfurt aus eingeladen wurde, an den Vorarbeiten für das deutsche
Parlament teilzunehmen, sein Österreichertum in den berühmt gewordenen Worten
betont: „Wahrlich, existierte der österreichische Kaiserstaat nicht schon längst,
müßte man im Interesse Europas, im Interesse der Humanität selbst sich
beeilen, ihn zu schaffen." Als Palacky dies schrieb, war die Politisierung der
panslawistischen Idee bereits sehr vorgeschritten.

Aus dem Zickzackkurs der österreichischen Regierung in der böhmischen
Frage und dem wenig erquicklichen Streit der Parianrente seien nur einige
Marksteine hervorgehoben. Die erste Periode reicht von 1848 bis 1867, bis
zum Erlaß der Dezemberverfassung. Charakteristischer Weise stehen am Anfang
und Ende zwei vanslawistische Kundgebungen. 1848 tagte auf der Sophieninsel
bei Prag der erste Slawenkongreß, der in seiner babylonischen Sprachen¬
verwirrung ein burleskes Schauspiel bot und mit seinen phantastisch radikalen
Forderungen die Slawen auf einer politisch noch tieferen Stufe zeigte, als sie selbst
in der damaligen Zeit üblich war. Im April 1867 gab es eine viel ernsthaftere,
wirklich bedenkliche Demonstration: ein Pilgerzug der österreichischen Slawen mit
Ausnahme der Polen nach Moskau. Der Tscheche Rieger huldigt den Russen: Es
beginnt für euch die Offensive, euch kommt es zu, die Südslawen zu befreien.
Prag bereitet die slawische Zukunftsidee vor, und wir, feine hier versammelten
Kinder, bringen diese Idee aus Prag nach der Mutterstadt Moskau. Die
Dezemberverfafsung von 1867 kam den nationalen Strömungen sehr entgegen.
Art. 19 des Grundgesetzes über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger
besagt: „Alle Volksstämme des Staates sind gleichberechtigt und jeder Volks¬
stamm hat sein unverletzliches Recht auf Wahrung und Pflege seiner Nationalität
und Sprache. Die Gleichberechtigung aller landesüblichen Sprachen in Schule,
Amt und öffentlichem Leben wird vom Staate anerkannt."

Wie man dies Entgegenkommen in Böhmen auffaßte, mußte Kaiser Franz
Josef gleich 1868 erfahren, als er nach Prag zur Einweihung der Elisabeth¬
brücke kam und Plakate jeden Tschechen als Verräter brandmarkten, der sich an
dem Empfange beteiligen würde. Es bleibt doch wohl zu bezweifeln, ob die
Täuschung des Kaisers so weit ging, daß seine infolgedessen ja berechtigten
Worte: „Die Stadt machte einen völlig deutschen Eindruck", aufrichtig und ernst
gemeint waren.

Vorderhand blieb den Deutschen noch die Vorherrschaft im Staat. Es ist die
zweite Periode des konstitutionell regierten Osterreich, die dadurch genau zu
begrenzen ist, die Zeit von 1867 bis 1879. Die Tschechen hielten sich dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/316>, abgerufen am 28.07.2024.