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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Die böhmische Frage

Färbung durch den nationalen Gegensatz. Es war nur natürlich,
daß der Kampf des Adels gegen die Vorrechte der Städte bei diesem merk¬
würdig früh nationalbewußten Stamm leicht zu einem Kampf des Tschechen-
tums gegen das Deutschtum gestempelt werden konnte. Dem Hochadel war
es mehr um die politische Führung zu tun, dem Kleinadel, dessen Nahrungs¬
spielraum mit der zum Siege gelangenden Geldwirtschaft schon bedenklich ge¬
schmälert war, handelte es sich häufig um einen Daseinskampf.

Daß aber das Tschechentum zunächst so vollständig triumphieren und auf
lange Zeit das Deutschtum tyrannisieren konnte, ist eine unmittelbare Folge
des Auftretens von Johannes Hus. Palacky, der amtlich bestellte tschechische
Historiker, hat mit gutem Grunde gesagt: Ohne den Hussitismus wäre Böhmen
ein deutsches Land geworden wie Österreich und Schlesien. Wir bewundern
den heroischen Bekennermut Husens, der gerade vor einem halben Jahrtausend
auch in den Flammen des Scheiterhaufens sich bewährte. Aber als Deutsche
können und sollen wir auch nicht vergessen, daß Hus sich nicht nur als kirchlicher
Reformator, sondern als Tscheche gefühlt hat, daß sein Reformwerk unlöslich
mit der Volksbewegung verknüpft war, und daß er seine nationalen Ziele mit
Fanatismus verfolgte. Die Hussitenkriege erst haben das Tschechentum national
geeint und gefestet. Ströme deutschen Blutes sind geflossen, unter den anar¬
chischen Zuständen und dem folgenden zügellosen Adelsregiment wurden dann
die Reste des Deutschtums planmäßig verfolgt und entrechtet. Die Kodifizierung
des sogenannten böhmischen Rechts unter König Wladislaw im Jahre 1500
schien die deutsche Demütigung zu besiegeln.

An diesem Zustande änderte auch nichts der Übergang Böhmens an das
Haus Habsburg im Jahre 1526. Die Tschechen widersetzten sich erfolgreich
allen, mehr oder weniger konsequent gemachten Versuchen, ihr Land mit dem
Gesamtstaat zu vereinigen. Erst der dreißigjährige Krieg brachte einen Umschwung.

Wir stehen gewöhnlich und begreiflicherweise vom norddeutsch-protestantischen
Standpunkt aus mit unseren Sympathien ganz auf Seite der Böhmen, auch
wenn wir die Energie anerkennen, mit der die Kaiser die ihnen bedeutend
überlegene Macht der Wenzelskrone zu überwältigen verstanden. In der land¬
läufigen Geschichtsdarstellung kommt dabei wenig zur Geltung, daß die Nieder¬
werfung Böhmens zugleich die Niederwerfung der tschechischen Adelsoligarchie
bedeutete, und die erneuerten Landesordnungen für Böhmen und Mähren die
zwischen den einzelnen Habsburgischen Ländergruppen bestehenden Rechts¬
verschiedenheiten auszugleichen begannen. Damit soll natürlich nicht geleugnet
werden, daß die Schrecken der Gegenreformation das Land vieler seiner fähigsten
Männer beraubte und daß die grauenvollen Verheerungen der dreißig Kriegs¬
jahre Böhmen an den Rand des Verderbens brachten; die Bevölkerung ging
auf ein Viertel zurück.

Politisch aber bleibt für die Folgezeit die Hauptsache, daß der Sieg der
Gegenreformation die Niederlage der ständischen Libertät bedeutete, und sich


Die böhmische Frage

Färbung durch den nationalen Gegensatz. Es war nur natürlich,
daß der Kampf des Adels gegen die Vorrechte der Städte bei diesem merk¬
würdig früh nationalbewußten Stamm leicht zu einem Kampf des Tschechen-
tums gegen das Deutschtum gestempelt werden konnte. Dem Hochadel war
es mehr um die politische Führung zu tun, dem Kleinadel, dessen Nahrungs¬
spielraum mit der zum Siege gelangenden Geldwirtschaft schon bedenklich ge¬
schmälert war, handelte es sich häufig um einen Daseinskampf.

Daß aber das Tschechentum zunächst so vollständig triumphieren und auf
lange Zeit das Deutschtum tyrannisieren konnte, ist eine unmittelbare Folge
des Auftretens von Johannes Hus. Palacky, der amtlich bestellte tschechische
Historiker, hat mit gutem Grunde gesagt: Ohne den Hussitismus wäre Böhmen
ein deutsches Land geworden wie Österreich und Schlesien. Wir bewundern
den heroischen Bekennermut Husens, der gerade vor einem halben Jahrtausend
auch in den Flammen des Scheiterhaufens sich bewährte. Aber als Deutsche
können und sollen wir auch nicht vergessen, daß Hus sich nicht nur als kirchlicher
Reformator, sondern als Tscheche gefühlt hat, daß sein Reformwerk unlöslich
mit der Volksbewegung verknüpft war, und daß er seine nationalen Ziele mit
Fanatismus verfolgte. Die Hussitenkriege erst haben das Tschechentum national
geeint und gefestet. Ströme deutschen Blutes sind geflossen, unter den anar¬
chischen Zuständen und dem folgenden zügellosen Adelsregiment wurden dann
die Reste des Deutschtums planmäßig verfolgt und entrechtet. Die Kodifizierung
des sogenannten böhmischen Rechts unter König Wladislaw im Jahre 1500
schien die deutsche Demütigung zu besiegeln.

An diesem Zustande änderte auch nichts der Übergang Böhmens an das
Haus Habsburg im Jahre 1526. Die Tschechen widersetzten sich erfolgreich
allen, mehr oder weniger konsequent gemachten Versuchen, ihr Land mit dem
Gesamtstaat zu vereinigen. Erst der dreißigjährige Krieg brachte einen Umschwung.

Wir stehen gewöhnlich und begreiflicherweise vom norddeutsch-protestantischen
Standpunkt aus mit unseren Sympathien ganz auf Seite der Böhmen, auch
wenn wir die Energie anerkennen, mit der die Kaiser die ihnen bedeutend
überlegene Macht der Wenzelskrone zu überwältigen verstanden. In der land¬
läufigen Geschichtsdarstellung kommt dabei wenig zur Geltung, daß die Nieder¬
werfung Böhmens zugleich die Niederwerfung der tschechischen Adelsoligarchie
bedeutete, und die erneuerten Landesordnungen für Böhmen und Mähren die
zwischen den einzelnen Habsburgischen Ländergruppen bestehenden Rechts¬
verschiedenheiten auszugleichen begannen. Damit soll natürlich nicht geleugnet
werden, daß die Schrecken der Gegenreformation das Land vieler seiner fähigsten
Männer beraubte und daß die grauenvollen Verheerungen der dreißig Kriegs¬
jahre Böhmen an den Rand des Verderbens brachten; die Bevölkerung ging
auf ein Viertel zurück.

Politisch aber bleibt für die Folgezeit die Hauptsache, daß der Sieg der
Gegenreformation die Niederlage der ständischen Libertät bedeutete, und sich


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[0312] Die böhmische Frage Färbung durch den nationalen Gegensatz. Es war nur natürlich, daß der Kampf des Adels gegen die Vorrechte der Städte bei diesem merk¬ würdig früh nationalbewußten Stamm leicht zu einem Kampf des Tschechen- tums gegen das Deutschtum gestempelt werden konnte. Dem Hochadel war es mehr um die politische Führung zu tun, dem Kleinadel, dessen Nahrungs¬ spielraum mit der zum Siege gelangenden Geldwirtschaft schon bedenklich ge¬ schmälert war, handelte es sich häufig um einen Daseinskampf. Daß aber das Tschechentum zunächst so vollständig triumphieren und auf lange Zeit das Deutschtum tyrannisieren konnte, ist eine unmittelbare Folge des Auftretens von Johannes Hus. Palacky, der amtlich bestellte tschechische Historiker, hat mit gutem Grunde gesagt: Ohne den Hussitismus wäre Böhmen ein deutsches Land geworden wie Österreich und Schlesien. Wir bewundern den heroischen Bekennermut Husens, der gerade vor einem halben Jahrtausend auch in den Flammen des Scheiterhaufens sich bewährte. Aber als Deutsche können und sollen wir auch nicht vergessen, daß Hus sich nicht nur als kirchlicher Reformator, sondern als Tscheche gefühlt hat, daß sein Reformwerk unlöslich mit der Volksbewegung verknüpft war, und daß er seine nationalen Ziele mit Fanatismus verfolgte. Die Hussitenkriege erst haben das Tschechentum national geeint und gefestet. Ströme deutschen Blutes sind geflossen, unter den anar¬ chischen Zuständen und dem folgenden zügellosen Adelsregiment wurden dann die Reste des Deutschtums planmäßig verfolgt und entrechtet. Die Kodifizierung des sogenannten böhmischen Rechts unter König Wladislaw im Jahre 1500 schien die deutsche Demütigung zu besiegeln. An diesem Zustande änderte auch nichts der Übergang Böhmens an das Haus Habsburg im Jahre 1526. Die Tschechen widersetzten sich erfolgreich allen, mehr oder weniger konsequent gemachten Versuchen, ihr Land mit dem Gesamtstaat zu vereinigen. Erst der dreißigjährige Krieg brachte einen Umschwung. Wir stehen gewöhnlich und begreiflicherweise vom norddeutsch-protestantischen Standpunkt aus mit unseren Sympathien ganz auf Seite der Böhmen, auch wenn wir die Energie anerkennen, mit der die Kaiser die ihnen bedeutend überlegene Macht der Wenzelskrone zu überwältigen verstanden. In der land¬ läufigen Geschichtsdarstellung kommt dabei wenig zur Geltung, daß die Nieder¬ werfung Böhmens zugleich die Niederwerfung der tschechischen Adelsoligarchie bedeutete, und die erneuerten Landesordnungen für Böhmen und Mähren die zwischen den einzelnen Habsburgischen Ländergruppen bestehenden Rechts¬ verschiedenheiten auszugleichen begannen. Damit soll natürlich nicht geleugnet werden, daß die Schrecken der Gegenreformation das Land vieler seiner fähigsten Männer beraubte und daß die grauenvollen Verheerungen der dreißig Kriegs¬ jahre Böhmen an den Rand des Verderbens brachten; die Bevölkerung ging auf ein Viertel zurück. Politisch aber bleibt für die Folgezeit die Hauptsache, daß der Sieg der Gegenreformation die Niederlage der ständischen Libertät bedeutete, und sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/312>, abgerufen am 28.07.2024.