Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die böhmische Frage

hundert nach dem Abzüge der germanischen Markomannen eingewandert waren.
Hier konnten sie mit ihren einfachen Ackergeräten bequem den Boden brechen
und Frucht gewinnen, die Urwälder und Randgebirge lockten sie nicht. Erst
die Deutschen drangen in die Schrecknisse der Waldeinsamkeit ein, röteten sie
aus grüner Wurzel und schufen sie um zu weitgedehnten Dörfern, Ackern und
Wiesengebreiten. Schon durch dieses Kulturwerk hat sich der Deutsche ein
ebenso gutes Anrecht auf den Boden erworben wie sein tschechischer Lands¬
mann. Er kann sich aber noch auf einen anderen Rechtsgrund berufen. Der
deutsche Bauer kam nicht als unbefugter Eindringling, wie es so gern von
Tschechen und Polen immer und immer wieder betont wird, sondern er wurde
gerufen und eingeladen unter vielen Zusicherungen von Freiheiten. Im elften
Jahrhundert schon beginnend, hat dies Einströmen deutscher Siedler bis ins
vierzehnte Jahrhundert angehalten. Die Klöster, die adligen Herren und das
Herzogshaus der Przemysliden selbst sind an diesem großen Siedlungswerk
beteiligt.

Mit dem deutschen Bauern kam der deutsche Bergmann. Böhmen wurde
im Mittelalter überschwenglich gepriesen wegen seines Reichtums an edlen
Metallen; ergiebiger erwiesen sich die Kupfer- und Zinnlager, -- das böhmische
Zinn tat bald nach seiner Erschließung dem englischen großen Abbruch. Erst
den deutschen Werkleuten und Knappen, die von den weitblickenden Przemys¬
liden ins Land gerufen wurden, war eine ertragreiche Förderung zu danken.

Die Krönung des deutschen Kulturwerkes aber bildet das Städtewesen.
Vor dem Beginn der Kolonisation hatten eigentlich städtische Siedlungen über¬
haupt nicht bestanden. Die Gründung Prags als Stadt durch Libussa gehört
ins Bereich der Sage. Auch Prag ist aus einer deutschen Kaufmannssiedlung
entstanden. Von den Städten aus hat dann der deutsche Geist das politische
und soziale Leben der Tschechen von Grund aus umgestaltet. Eine so tief¬
gehende Wirkung aber war nur möglich durch den korporativen Zusammen¬
schluß der Deutschen, den exklusiven Geist, der im Mittelalter auf allen Ge¬
bieten die Betätigung der Menschen charakterisiert. Darüber hinaus fand die
deutsche Kultur ein Bollwerk in der stark stammgleichen Bauernschaft, die in
innigem Zusammenhang mit dem Boden und im Zusammenschluß mit Stammes¬
genossen die heimische Art wahrte und vererbte. Dieser gegenseitigen Be¬
fruchtung von Stadt und Land hat es die Bevölkerung der Randgebiete Böhmens
mehr als irgendeinem Freibrief, mehr als Geld oder Gewalt zu danken, daß
sie sich durch alle Stürme hindurch körperlich und geistig ihre tüchtige Art
erhalten hat.

Im elften Jahrhundert hat Herzog Wradislaw bereits den Grundsatz an¬
erkannt, daß die Deutschen und Tschechen nach Gesetz und Gewohnheitsrecht
voneinander getrennt sein sollten. Der Deutsche, den man gerufen, verlangte
in stolzem Selbstgefühl nach eigenem Rechte zu leben, nicht in den Banden
der Halb- und Unfreiheit, die das Leben der Tschechen einengten. Deutsch


Die böhmische Frage

hundert nach dem Abzüge der germanischen Markomannen eingewandert waren.
Hier konnten sie mit ihren einfachen Ackergeräten bequem den Boden brechen
und Frucht gewinnen, die Urwälder und Randgebirge lockten sie nicht. Erst
die Deutschen drangen in die Schrecknisse der Waldeinsamkeit ein, röteten sie
aus grüner Wurzel und schufen sie um zu weitgedehnten Dörfern, Ackern und
Wiesengebreiten. Schon durch dieses Kulturwerk hat sich der Deutsche ein
ebenso gutes Anrecht auf den Boden erworben wie sein tschechischer Lands¬
mann. Er kann sich aber noch auf einen anderen Rechtsgrund berufen. Der
deutsche Bauer kam nicht als unbefugter Eindringling, wie es so gern von
Tschechen und Polen immer und immer wieder betont wird, sondern er wurde
gerufen und eingeladen unter vielen Zusicherungen von Freiheiten. Im elften
Jahrhundert schon beginnend, hat dies Einströmen deutscher Siedler bis ins
vierzehnte Jahrhundert angehalten. Die Klöster, die adligen Herren und das
Herzogshaus der Przemysliden selbst sind an diesem großen Siedlungswerk
beteiligt.

Mit dem deutschen Bauern kam der deutsche Bergmann. Böhmen wurde
im Mittelalter überschwenglich gepriesen wegen seines Reichtums an edlen
Metallen; ergiebiger erwiesen sich die Kupfer- und Zinnlager, — das böhmische
Zinn tat bald nach seiner Erschließung dem englischen großen Abbruch. Erst
den deutschen Werkleuten und Knappen, die von den weitblickenden Przemys¬
liden ins Land gerufen wurden, war eine ertragreiche Förderung zu danken.

Die Krönung des deutschen Kulturwerkes aber bildet das Städtewesen.
Vor dem Beginn der Kolonisation hatten eigentlich städtische Siedlungen über¬
haupt nicht bestanden. Die Gründung Prags als Stadt durch Libussa gehört
ins Bereich der Sage. Auch Prag ist aus einer deutschen Kaufmannssiedlung
entstanden. Von den Städten aus hat dann der deutsche Geist das politische
und soziale Leben der Tschechen von Grund aus umgestaltet. Eine so tief¬
gehende Wirkung aber war nur möglich durch den korporativen Zusammen¬
schluß der Deutschen, den exklusiven Geist, der im Mittelalter auf allen Ge¬
bieten die Betätigung der Menschen charakterisiert. Darüber hinaus fand die
deutsche Kultur ein Bollwerk in der stark stammgleichen Bauernschaft, die in
innigem Zusammenhang mit dem Boden und im Zusammenschluß mit Stammes¬
genossen die heimische Art wahrte und vererbte. Dieser gegenseitigen Be¬
fruchtung von Stadt und Land hat es die Bevölkerung der Randgebiete Böhmens
mehr als irgendeinem Freibrief, mehr als Geld oder Gewalt zu danken, daß
sie sich durch alle Stürme hindurch körperlich und geistig ihre tüchtige Art
erhalten hat.

Im elften Jahrhundert hat Herzog Wradislaw bereits den Grundsatz an¬
erkannt, daß die Deutschen und Tschechen nach Gesetz und Gewohnheitsrecht
voneinander getrennt sein sollten. Der Deutsche, den man gerufen, verlangte
in stolzem Selbstgefühl nach eigenem Rechte zu leben, nicht in den Banden
der Halb- und Unfreiheit, die das Leben der Tschechen einengten. Deutsch


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0310" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/330410"/>
          <fw type="header" place="top"> Die böhmische Frage</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1241" prev="#ID_1240"> hundert nach dem Abzüge der germanischen Markomannen eingewandert waren.<lb/>
Hier konnten sie mit ihren einfachen Ackergeräten bequem den Boden brechen<lb/>
und Frucht gewinnen, die Urwälder und Randgebirge lockten sie nicht. Erst<lb/>
die Deutschen drangen in die Schrecknisse der Waldeinsamkeit ein, röteten sie<lb/>
aus grüner Wurzel und schufen sie um zu weitgedehnten Dörfern, Ackern und<lb/>
Wiesengebreiten. Schon durch dieses Kulturwerk hat sich der Deutsche ein<lb/>
ebenso gutes Anrecht auf den Boden erworben wie sein tschechischer Lands¬<lb/>
mann. Er kann sich aber noch auf einen anderen Rechtsgrund berufen. Der<lb/>
deutsche Bauer kam nicht als unbefugter Eindringling, wie es so gern von<lb/>
Tschechen und Polen immer und immer wieder betont wird, sondern er wurde<lb/>
gerufen und eingeladen unter vielen Zusicherungen von Freiheiten. Im elften<lb/>
Jahrhundert schon beginnend, hat dies Einströmen deutscher Siedler bis ins<lb/>
vierzehnte Jahrhundert angehalten. Die Klöster, die adligen Herren und das<lb/>
Herzogshaus der Przemysliden selbst sind an diesem großen Siedlungswerk<lb/>
beteiligt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1242"> Mit dem deutschen Bauern kam der deutsche Bergmann. Böhmen wurde<lb/>
im Mittelalter überschwenglich gepriesen wegen seines Reichtums an edlen<lb/>
Metallen; ergiebiger erwiesen sich die Kupfer- und Zinnlager, &#x2014; das böhmische<lb/>
Zinn tat bald nach seiner Erschließung dem englischen großen Abbruch. Erst<lb/>
den deutschen Werkleuten und Knappen, die von den weitblickenden Przemys¬<lb/>
liden ins Land gerufen wurden, war eine ertragreiche Förderung zu danken.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1243"> Die Krönung des deutschen Kulturwerkes aber bildet das Städtewesen.<lb/>
Vor dem Beginn der Kolonisation hatten eigentlich städtische Siedlungen über¬<lb/>
haupt nicht bestanden. Die Gründung Prags als Stadt durch Libussa gehört<lb/>
ins Bereich der Sage. Auch Prag ist aus einer deutschen Kaufmannssiedlung<lb/>
entstanden. Von den Städten aus hat dann der deutsche Geist das politische<lb/>
und soziale Leben der Tschechen von Grund aus umgestaltet. Eine so tief¬<lb/>
gehende Wirkung aber war nur möglich durch den korporativen Zusammen¬<lb/>
schluß der Deutschen, den exklusiven Geist, der im Mittelalter auf allen Ge¬<lb/>
bieten die Betätigung der Menschen charakterisiert. Darüber hinaus fand die<lb/>
deutsche Kultur ein Bollwerk in der stark stammgleichen Bauernschaft, die in<lb/>
innigem Zusammenhang mit dem Boden und im Zusammenschluß mit Stammes¬<lb/>
genossen die heimische Art wahrte und vererbte. Dieser gegenseitigen Be¬<lb/>
fruchtung von Stadt und Land hat es die Bevölkerung der Randgebiete Böhmens<lb/>
mehr als irgendeinem Freibrief, mehr als Geld oder Gewalt zu danken, daß<lb/>
sie sich durch alle Stürme hindurch körperlich und geistig ihre tüchtige Art<lb/>
erhalten hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1244" next="#ID_1245"> Im elften Jahrhundert hat Herzog Wradislaw bereits den Grundsatz an¬<lb/>
erkannt, daß die Deutschen und Tschechen nach Gesetz und Gewohnheitsrecht<lb/>
voneinander getrennt sein sollten. Der Deutsche, den man gerufen, verlangte<lb/>
in stolzem Selbstgefühl nach eigenem Rechte zu leben, nicht in den Banden<lb/>
der Halb- und Unfreiheit, die das Leben der Tschechen einengten. Deutsch</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0310] Die böhmische Frage hundert nach dem Abzüge der germanischen Markomannen eingewandert waren. Hier konnten sie mit ihren einfachen Ackergeräten bequem den Boden brechen und Frucht gewinnen, die Urwälder und Randgebirge lockten sie nicht. Erst die Deutschen drangen in die Schrecknisse der Waldeinsamkeit ein, röteten sie aus grüner Wurzel und schufen sie um zu weitgedehnten Dörfern, Ackern und Wiesengebreiten. Schon durch dieses Kulturwerk hat sich der Deutsche ein ebenso gutes Anrecht auf den Boden erworben wie sein tschechischer Lands¬ mann. Er kann sich aber noch auf einen anderen Rechtsgrund berufen. Der deutsche Bauer kam nicht als unbefugter Eindringling, wie es so gern von Tschechen und Polen immer und immer wieder betont wird, sondern er wurde gerufen und eingeladen unter vielen Zusicherungen von Freiheiten. Im elften Jahrhundert schon beginnend, hat dies Einströmen deutscher Siedler bis ins vierzehnte Jahrhundert angehalten. Die Klöster, die adligen Herren und das Herzogshaus der Przemysliden selbst sind an diesem großen Siedlungswerk beteiligt. Mit dem deutschen Bauern kam der deutsche Bergmann. Böhmen wurde im Mittelalter überschwenglich gepriesen wegen seines Reichtums an edlen Metallen; ergiebiger erwiesen sich die Kupfer- und Zinnlager, — das böhmische Zinn tat bald nach seiner Erschließung dem englischen großen Abbruch. Erst den deutschen Werkleuten und Knappen, die von den weitblickenden Przemys¬ liden ins Land gerufen wurden, war eine ertragreiche Förderung zu danken. Die Krönung des deutschen Kulturwerkes aber bildet das Städtewesen. Vor dem Beginn der Kolonisation hatten eigentlich städtische Siedlungen über¬ haupt nicht bestanden. Die Gründung Prags als Stadt durch Libussa gehört ins Bereich der Sage. Auch Prag ist aus einer deutschen Kaufmannssiedlung entstanden. Von den Städten aus hat dann der deutsche Geist das politische und soziale Leben der Tschechen von Grund aus umgestaltet. Eine so tief¬ gehende Wirkung aber war nur möglich durch den korporativen Zusammen¬ schluß der Deutschen, den exklusiven Geist, der im Mittelalter auf allen Ge¬ bieten die Betätigung der Menschen charakterisiert. Darüber hinaus fand die deutsche Kultur ein Bollwerk in der stark stammgleichen Bauernschaft, die in innigem Zusammenhang mit dem Boden und im Zusammenschluß mit Stammes¬ genossen die heimische Art wahrte und vererbte. Dieser gegenseitigen Be¬ fruchtung von Stadt und Land hat es die Bevölkerung der Randgebiete Böhmens mehr als irgendeinem Freibrief, mehr als Geld oder Gewalt zu danken, daß sie sich durch alle Stürme hindurch körperlich und geistig ihre tüchtige Art erhalten hat. Im elften Jahrhundert hat Herzog Wradislaw bereits den Grundsatz an¬ erkannt, daß die Deutschen und Tschechen nach Gesetz und Gewohnheitsrecht voneinander getrennt sein sollten. Der Deutsche, den man gerufen, verlangte in stolzem Selbstgefühl nach eigenem Rechte zu leben, nicht in den Banden der Halb- und Unfreiheit, die das Leben der Tschechen einengten. Deutsch

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/310
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/310>, abgerufen am 28.07.2024.