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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Die türkischen Eisenbahnen

Steigungen leichter überwindet und deswegen die Linienführung durch die ge-
birgigen Provinzen d. h. über Sivas und Diabekr ermöglicht hätte. Unter
ähnlichen Verhältnissen hat man sich seiner Zeit auch in Bosnien und in der
Schweiz sür den schmalspurigen Bahnbau entschieden, obwohl man auch hier
sehr wohl wußte, daß nur die Vollbahn die wünschenswerte Höchstleistung
sichert. Die türkische Regierung vertrat den Standpunkt: entweder alles oder
nichts. So wurde das Bessere der Feind des Guten. Pressel wurde entlassen.
Die türkische Regierung schritt nun selbst an die schwierige Aufgabe heran,
saß aber nur zu bald bei der Geldbeschaffung fest. Als dann der finanzielle
Zusammenbruch, innere Unruhen und die Folgen des russisch-türkischen Krieges
das unglückliche Land heimsuchten, war natürlich von dem gewaltigen Unter¬
nehmen dieses Bahnbaues keine Rede mehr.

Erst in den achtziger Jahren begann die Erholung des Staatskörpers und
damit auch wieder das Interesse an der Frage, die in erster Linie geeignet war,
dem ermatteten Körper neue Kräfte zuzuführen. Es entstand zunächst die
Orientbahn, durch die Konstantinopel an das europäische Bahnnetz angeschlossen
wurde. Im Jahre 1388 war dieser Bau vollendet. Inzwischen waren auch
die Verhandlungen wegen der Bahnen in der asiatischen Türkei wieder aufge¬
nommen worden. Die Pforte hatte diesmal aber sofort die Heranziehung aus¬
ländischen Kapitals vorgesehen. Aus dem Wettkampf, der sich zwischen den
Gesellschaften der verschiedenen europäischen Großstaaten um den Bahnbau ent¬
wickelte, ging bekanntlich die Deutsche Bank unter Führung des genialen Siemers
siegreich hervor. Im Jahre 1891 schon hatten deutscher Fleiß und deutsches
Können die Strecke Konstantinopel (Haidar-Pascha)--Eskischehir in der Länge
von 313 Kilometer fertiggestellt. Im Jahre 1892 war die Strecke Eski-
schehir--Angora, im Jahre 1895 die von Eskischehir nach Koma vollendet. Die
deutsche Bank hat das von der Pforte in sie gesetzte Vertrauen also in vollstem
Maße gerechtfertigt. Daß die Ausführung in technischer Beziehung auf der
Höhe steht, weiß jeder, der jemals von dem herrlichen Bahnhof in Haidar-
Pascha eine Reise nach der asiatischen Türkei angetreten hat. Seit dem Jahre
1895 war hierdurch die wichtigste Provinz der asiatischen Türkei, Anatolien,
dem Verkehr erschlossen; die Bahn ist daher auch unter dem Namen "Anatolische
Bahn" allgemein bekannt geworden. Leider kam im Jahre 1893 die Strecke
Angora--Erzerum, deren Bau damals auch schon von der türkischen Regierung
genehmigt war, nicht zur Ausführung.' Rußland fürchtete, durch den Anschluß
Armeniens an das türkische Bahnnetz in seiner militärischen und wirtschaftlich¬
politischen Stellung in Transkaukasten, auch gegenüber Persten, geschwächt zu werden.

Aus demselben Grunde vereitelte die russische Regierung die nördliche
Linienführung der Bagdadbahn über Sivas--Diabekr, als der Plan zum Bau
dieser Bahn nach der glücklichen Beendigung des Griechisch-Türkischen Krieges
wieder aufgenommen wurde. Wieder begann ein heißer Kampf zwischen den
europäischen Großstaaten um die Erlangung der Bauerlaubnis. Welche Mittel


Die türkischen Eisenbahnen

Steigungen leichter überwindet und deswegen die Linienführung durch die ge-
birgigen Provinzen d. h. über Sivas und Diabekr ermöglicht hätte. Unter
ähnlichen Verhältnissen hat man sich seiner Zeit auch in Bosnien und in der
Schweiz sür den schmalspurigen Bahnbau entschieden, obwohl man auch hier
sehr wohl wußte, daß nur die Vollbahn die wünschenswerte Höchstleistung
sichert. Die türkische Regierung vertrat den Standpunkt: entweder alles oder
nichts. So wurde das Bessere der Feind des Guten. Pressel wurde entlassen.
Die türkische Regierung schritt nun selbst an die schwierige Aufgabe heran,
saß aber nur zu bald bei der Geldbeschaffung fest. Als dann der finanzielle
Zusammenbruch, innere Unruhen und die Folgen des russisch-türkischen Krieges
das unglückliche Land heimsuchten, war natürlich von dem gewaltigen Unter¬
nehmen dieses Bahnbaues keine Rede mehr.

Erst in den achtziger Jahren begann die Erholung des Staatskörpers und
damit auch wieder das Interesse an der Frage, die in erster Linie geeignet war,
dem ermatteten Körper neue Kräfte zuzuführen. Es entstand zunächst die
Orientbahn, durch die Konstantinopel an das europäische Bahnnetz angeschlossen
wurde. Im Jahre 1388 war dieser Bau vollendet. Inzwischen waren auch
die Verhandlungen wegen der Bahnen in der asiatischen Türkei wieder aufge¬
nommen worden. Die Pforte hatte diesmal aber sofort die Heranziehung aus¬
ländischen Kapitals vorgesehen. Aus dem Wettkampf, der sich zwischen den
Gesellschaften der verschiedenen europäischen Großstaaten um den Bahnbau ent¬
wickelte, ging bekanntlich die Deutsche Bank unter Führung des genialen Siemers
siegreich hervor. Im Jahre 1891 schon hatten deutscher Fleiß und deutsches
Können die Strecke Konstantinopel (Haidar-Pascha)—Eskischehir in der Länge
von 313 Kilometer fertiggestellt. Im Jahre 1892 war die Strecke Eski-
schehir—Angora, im Jahre 1895 die von Eskischehir nach Koma vollendet. Die
deutsche Bank hat das von der Pforte in sie gesetzte Vertrauen also in vollstem
Maße gerechtfertigt. Daß die Ausführung in technischer Beziehung auf der
Höhe steht, weiß jeder, der jemals von dem herrlichen Bahnhof in Haidar-
Pascha eine Reise nach der asiatischen Türkei angetreten hat. Seit dem Jahre
1895 war hierdurch die wichtigste Provinz der asiatischen Türkei, Anatolien,
dem Verkehr erschlossen; die Bahn ist daher auch unter dem Namen „Anatolische
Bahn" allgemein bekannt geworden. Leider kam im Jahre 1893 die Strecke
Angora—Erzerum, deren Bau damals auch schon von der türkischen Regierung
genehmigt war, nicht zur Ausführung.' Rußland fürchtete, durch den Anschluß
Armeniens an das türkische Bahnnetz in seiner militärischen und wirtschaftlich¬
politischen Stellung in Transkaukasten, auch gegenüber Persten, geschwächt zu werden.

Aus demselben Grunde vereitelte die russische Regierung die nördliche
Linienführung der Bagdadbahn über Sivas—Diabekr, als der Plan zum Bau
dieser Bahn nach der glücklichen Beendigung des Griechisch-Türkischen Krieges
wieder aufgenommen wurde. Wieder begann ein heißer Kampf zwischen den
europäischen Großstaaten um die Erlangung der Bauerlaubnis. Welche Mittel


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[0304] Die türkischen Eisenbahnen Steigungen leichter überwindet und deswegen die Linienführung durch die ge- birgigen Provinzen d. h. über Sivas und Diabekr ermöglicht hätte. Unter ähnlichen Verhältnissen hat man sich seiner Zeit auch in Bosnien und in der Schweiz sür den schmalspurigen Bahnbau entschieden, obwohl man auch hier sehr wohl wußte, daß nur die Vollbahn die wünschenswerte Höchstleistung sichert. Die türkische Regierung vertrat den Standpunkt: entweder alles oder nichts. So wurde das Bessere der Feind des Guten. Pressel wurde entlassen. Die türkische Regierung schritt nun selbst an die schwierige Aufgabe heran, saß aber nur zu bald bei der Geldbeschaffung fest. Als dann der finanzielle Zusammenbruch, innere Unruhen und die Folgen des russisch-türkischen Krieges das unglückliche Land heimsuchten, war natürlich von dem gewaltigen Unter¬ nehmen dieses Bahnbaues keine Rede mehr. Erst in den achtziger Jahren begann die Erholung des Staatskörpers und damit auch wieder das Interesse an der Frage, die in erster Linie geeignet war, dem ermatteten Körper neue Kräfte zuzuführen. Es entstand zunächst die Orientbahn, durch die Konstantinopel an das europäische Bahnnetz angeschlossen wurde. Im Jahre 1388 war dieser Bau vollendet. Inzwischen waren auch die Verhandlungen wegen der Bahnen in der asiatischen Türkei wieder aufge¬ nommen worden. Die Pforte hatte diesmal aber sofort die Heranziehung aus¬ ländischen Kapitals vorgesehen. Aus dem Wettkampf, der sich zwischen den Gesellschaften der verschiedenen europäischen Großstaaten um den Bahnbau ent¬ wickelte, ging bekanntlich die Deutsche Bank unter Führung des genialen Siemers siegreich hervor. Im Jahre 1891 schon hatten deutscher Fleiß und deutsches Können die Strecke Konstantinopel (Haidar-Pascha)—Eskischehir in der Länge von 313 Kilometer fertiggestellt. Im Jahre 1892 war die Strecke Eski- schehir—Angora, im Jahre 1895 die von Eskischehir nach Koma vollendet. Die deutsche Bank hat das von der Pforte in sie gesetzte Vertrauen also in vollstem Maße gerechtfertigt. Daß die Ausführung in technischer Beziehung auf der Höhe steht, weiß jeder, der jemals von dem herrlichen Bahnhof in Haidar- Pascha eine Reise nach der asiatischen Türkei angetreten hat. Seit dem Jahre 1895 war hierdurch die wichtigste Provinz der asiatischen Türkei, Anatolien, dem Verkehr erschlossen; die Bahn ist daher auch unter dem Namen „Anatolische Bahn" allgemein bekannt geworden. Leider kam im Jahre 1893 die Strecke Angora—Erzerum, deren Bau damals auch schon von der türkischen Regierung genehmigt war, nicht zur Ausführung.' Rußland fürchtete, durch den Anschluß Armeniens an das türkische Bahnnetz in seiner militärischen und wirtschaftlich¬ politischen Stellung in Transkaukasten, auch gegenüber Persten, geschwächt zu werden. Aus demselben Grunde vereitelte die russische Regierung die nördliche Linienführung der Bagdadbahn über Sivas—Diabekr, als der Plan zum Bau dieser Bahn nach der glücklichen Beendigung des Griechisch-Türkischen Krieges wieder aufgenommen wurde. Wieder begann ein heißer Kampf zwischen den europäischen Großstaaten um die Erlangung der Bauerlaubnis. Welche Mittel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/304>, abgerufen am 28.07.2024.