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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Die türkischen Eisenbahnen

Gewehr und Geschütz muß deswegen auf mühseliger Karawanenstraße heran¬
geführt werden, wozu drei bis vier Wochen erforderlich sind. Armenien selbst,
ein Gebirgsland von etwa 1800 Meter Höhe, ist außerstande, eine Armee zu
ernähren. Die Schwierigkeiten, die die türkische Führung auf diesem Kriegs¬
schauplatze, besonders auch bei der Verteidigung von Erzerum zu überwinden
hatte, sind daher riesengroß gewesen.

Im Russisch-Türkischen Kriege 1877/78 lagen die Verhältnisse umgekehrt.
Damals beherrschte die türkische Flotte das Schwarze Meer. Die Versorgung
der Armee war daher nicht auf den Landweg angewiesen, sondern erfolgte von
der See her über Trapezunt. Rußland dagegen besaß noch keine Bahnen, die
über den Kaukasus führten. Man muß es unserem Gegner zugestehen, daß er
aus den Erfahrungen jenes Krieges gelernt hat und die Lehren in die Tat
umgesetzt hat. Der Beweis dafür sind die Bahnlinien in Transkaukasien, die
nicht ungeschickt an das Hauptbahnnetz Rußlands angeschlossen sind. Auch hier,
wie im fernen Osten, hat die Verkehrspolitik unseres östlichen Gegners ohne
Zweifel viel geleistet.

Die Pforte hat die Gefahren wohl erkannt, die für die Verteidigung der
armenischen Grenze durch die Entwicklung des russischen Bahnnetzes entstanden.
Sie war aber in den letzten Jahrzehnten, als Rußland durch den französischen
Goldsegen erstarkte, außerstande, aus eigenen Mitteln kostspielige Bahnlinien
nach den unwirtlichen und unwirtschaftlichen Grenzgebieten zu führen. Wie
wenig militärische Zwecke bei den Bahnbauten angesprochen haben, zeigt die
Tatsache, daß erst im Jahre 1909 das Arbeitsministerium bei der Hohen Pforte
den Auftrag erhielt, vor der Vergebung von Eisenbahnbauten grundsätzlich mit
dem Kriegsministerium in Verbindung zu treten. Bis dahin waren lediglich
die Forderungen des Handels und Verkehrs maßgebend gewesen. Hier aber
waren die vielfachen Beziehungen und Vorrechte fremder Staaten und Gesell¬
schaften ausschlaggebend.

Schon in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts entstand in England
der Plan, in der Türkei eine Bahnlinie zu bauen. Naturgemäß sollte sie lediglich
englischen Interessen dienen, d. h. sie sollte einen Verbindungsweg nach Indien
schaffen. Deswegen nahm nach diesem Bauplan die Bagdadbahn ihren Anfang
nicht in Konstantinopel, sondern an der syrischen Küste, wo ohnehin der eng¬
lische Handel schon Beziehungen hatte. Man muß sich vergegenwärtigen, daß
zu jener Zeit der Suezkanal noch nicht bestand, daß also der ganze Verkehr
nach Indien den langen Weg über das Kap lief. Eine Verbindung von der
syrischen Küste nach dem Persischen Golf durch eine leistungsfähige Bahn hätte
daher den Weg wesentlich gekürzt und beschleunigt. Deswegen erhielt der
Jrländer Kolonel Chesney den Auftrag, die Verhältnisse an Ort und Stelle zu
studieren. Als Jnselbewohner suchte er die Lösung des Verkehrsproblems vor¬
nehmlich in der Ausnutzung der Wasserstraßen. Von der Küste sollte eine
Bahn oder ein Kanal bis an den Euphrat geführt werden, dann aber sollte


Die türkischen Eisenbahnen

Gewehr und Geschütz muß deswegen auf mühseliger Karawanenstraße heran¬
geführt werden, wozu drei bis vier Wochen erforderlich sind. Armenien selbst,
ein Gebirgsland von etwa 1800 Meter Höhe, ist außerstande, eine Armee zu
ernähren. Die Schwierigkeiten, die die türkische Führung auf diesem Kriegs¬
schauplatze, besonders auch bei der Verteidigung von Erzerum zu überwinden
hatte, sind daher riesengroß gewesen.

Im Russisch-Türkischen Kriege 1877/78 lagen die Verhältnisse umgekehrt.
Damals beherrschte die türkische Flotte das Schwarze Meer. Die Versorgung
der Armee war daher nicht auf den Landweg angewiesen, sondern erfolgte von
der See her über Trapezunt. Rußland dagegen besaß noch keine Bahnen, die
über den Kaukasus führten. Man muß es unserem Gegner zugestehen, daß er
aus den Erfahrungen jenes Krieges gelernt hat und die Lehren in die Tat
umgesetzt hat. Der Beweis dafür sind die Bahnlinien in Transkaukasien, die
nicht ungeschickt an das Hauptbahnnetz Rußlands angeschlossen sind. Auch hier,
wie im fernen Osten, hat die Verkehrspolitik unseres östlichen Gegners ohne
Zweifel viel geleistet.

Die Pforte hat die Gefahren wohl erkannt, die für die Verteidigung der
armenischen Grenze durch die Entwicklung des russischen Bahnnetzes entstanden.
Sie war aber in den letzten Jahrzehnten, als Rußland durch den französischen
Goldsegen erstarkte, außerstande, aus eigenen Mitteln kostspielige Bahnlinien
nach den unwirtlichen und unwirtschaftlichen Grenzgebieten zu führen. Wie
wenig militärische Zwecke bei den Bahnbauten angesprochen haben, zeigt die
Tatsache, daß erst im Jahre 1909 das Arbeitsministerium bei der Hohen Pforte
den Auftrag erhielt, vor der Vergebung von Eisenbahnbauten grundsätzlich mit
dem Kriegsministerium in Verbindung zu treten. Bis dahin waren lediglich
die Forderungen des Handels und Verkehrs maßgebend gewesen. Hier aber
waren die vielfachen Beziehungen und Vorrechte fremder Staaten und Gesell¬
schaften ausschlaggebend.

Schon in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts entstand in England
der Plan, in der Türkei eine Bahnlinie zu bauen. Naturgemäß sollte sie lediglich
englischen Interessen dienen, d. h. sie sollte einen Verbindungsweg nach Indien
schaffen. Deswegen nahm nach diesem Bauplan die Bagdadbahn ihren Anfang
nicht in Konstantinopel, sondern an der syrischen Küste, wo ohnehin der eng¬
lische Handel schon Beziehungen hatte. Man muß sich vergegenwärtigen, daß
zu jener Zeit der Suezkanal noch nicht bestand, daß also der ganze Verkehr
nach Indien den langen Weg über das Kap lief. Eine Verbindung von der
syrischen Küste nach dem Persischen Golf durch eine leistungsfähige Bahn hätte
daher den Weg wesentlich gekürzt und beschleunigt. Deswegen erhielt der
Jrländer Kolonel Chesney den Auftrag, die Verhältnisse an Ort und Stelle zu
studieren. Als Jnselbewohner suchte er die Lösung des Verkehrsproblems vor¬
nehmlich in der Ausnutzung der Wasserstraßen. Von der Küste sollte eine
Bahn oder ein Kanal bis an den Euphrat geführt werden, dann aber sollte


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[0302] Die türkischen Eisenbahnen Gewehr und Geschütz muß deswegen auf mühseliger Karawanenstraße heran¬ geführt werden, wozu drei bis vier Wochen erforderlich sind. Armenien selbst, ein Gebirgsland von etwa 1800 Meter Höhe, ist außerstande, eine Armee zu ernähren. Die Schwierigkeiten, die die türkische Führung auf diesem Kriegs¬ schauplatze, besonders auch bei der Verteidigung von Erzerum zu überwinden hatte, sind daher riesengroß gewesen. Im Russisch-Türkischen Kriege 1877/78 lagen die Verhältnisse umgekehrt. Damals beherrschte die türkische Flotte das Schwarze Meer. Die Versorgung der Armee war daher nicht auf den Landweg angewiesen, sondern erfolgte von der See her über Trapezunt. Rußland dagegen besaß noch keine Bahnen, die über den Kaukasus führten. Man muß es unserem Gegner zugestehen, daß er aus den Erfahrungen jenes Krieges gelernt hat und die Lehren in die Tat umgesetzt hat. Der Beweis dafür sind die Bahnlinien in Transkaukasien, die nicht ungeschickt an das Hauptbahnnetz Rußlands angeschlossen sind. Auch hier, wie im fernen Osten, hat die Verkehrspolitik unseres östlichen Gegners ohne Zweifel viel geleistet. Die Pforte hat die Gefahren wohl erkannt, die für die Verteidigung der armenischen Grenze durch die Entwicklung des russischen Bahnnetzes entstanden. Sie war aber in den letzten Jahrzehnten, als Rußland durch den französischen Goldsegen erstarkte, außerstande, aus eigenen Mitteln kostspielige Bahnlinien nach den unwirtlichen und unwirtschaftlichen Grenzgebieten zu führen. Wie wenig militärische Zwecke bei den Bahnbauten angesprochen haben, zeigt die Tatsache, daß erst im Jahre 1909 das Arbeitsministerium bei der Hohen Pforte den Auftrag erhielt, vor der Vergebung von Eisenbahnbauten grundsätzlich mit dem Kriegsministerium in Verbindung zu treten. Bis dahin waren lediglich die Forderungen des Handels und Verkehrs maßgebend gewesen. Hier aber waren die vielfachen Beziehungen und Vorrechte fremder Staaten und Gesell¬ schaften ausschlaggebend. Schon in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts entstand in England der Plan, in der Türkei eine Bahnlinie zu bauen. Naturgemäß sollte sie lediglich englischen Interessen dienen, d. h. sie sollte einen Verbindungsweg nach Indien schaffen. Deswegen nahm nach diesem Bauplan die Bagdadbahn ihren Anfang nicht in Konstantinopel, sondern an der syrischen Küste, wo ohnehin der eng¬ lische Handel schon Beziehungen hatte. Man muß sich vergegenwärtigen, daß zu jener Zeit der Suezkanal noch nicht bestand, daß also der ganze Verkehr nach Indien den langen Weg über das Kap lief. Eine Verbindung von der syrischen Küste nach dem Persischen Golf durch eine leistungsfähige Bahn hätte daher den Weg wesentlich gekürzt und beschleunigt. Deswegen erhielt der Jrländer Kolonel Chesney den Auftrag, die Verhältnisse an Ort und Stelle zu studieren. Als Jnselbewohner suchte er die Lösung des Verkehrsproblems vor¬ nehmlich in der Ausnutzung der Wasserstraßen. Von der Küste sollte eine Bahn oder ein Kanal bis an den Euphrat geführt werden, dann aber sollte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/302>, abgerufen am 28.07.2024.