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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Bausteine zur Geschichte des Balteulcmdes

1501 in das russische Gebiet ein und bringt den Russen 1502 an der Smolina
eine schwere Niederlage bei. Trotz dieses Sieges erweist sich die Uebermacht
der Nüssen als so groß, daß nicht diese, sondern Plettenberg, von Litauen und
Polen preisgegeben, genötigt ist, um Frieden zu bitten und zunächst einen
sechsjährigen, dann einen für weitere vierzehn Jahre verlängerten Waffen¬
stillstand erhält. Es zeigt sich dann bald, daß die Schließung des Kontors in
Nowgorod auf die Dauer keinen Schaden, sondern einen Vorteil für die lip°
ländischen Städte bedeutet: der freie Durchgangshandel der deutschen Städte,
zumal Lübecks, nach Rußland hört auf, und insbesondere Reval und Dorpat
blühen als Stapelplätze für den Handel mit Rußland auf. Aber gleichzeitig
erwacht eine starke Eifersucht gegen diese Plätze in den deutschen Handels¬
städten. Auf ihre Hilfe in den Stunden der Not ist nicht mehr zu rechnen.

Eine grundlegende Erschütterung aller Verhältnisse baltischen Lebens mußte
die Reformation mit sich bringen, gab es doch mit Ausnahme der Städte in
ganz Livland kein weltliches Gebiet. Die Reformation hat sich früh aus¬
gebreitet. Der Ruhm, in der Glaubensbewegung tatkräftig an erster Stelle
gestanden zu haben, gebührt den Städten. In Riga erscheint 1521 Knopken.
Seine und des feurigen Sylvester Tegetmeyer Beredsamkeit gewinnt den größten
Teil der Bürgerschaft von Riga rasch dem neuen Glauben. Bereits Ende 1522
kann die Stadt im wesentlichen als protestantisch gelten. Man tritt mit Luther
direkt in Verbindung. Auf einen an ihn gerichteten Brief antwortet er im
August 1523 mit einem Schreiben; er ist auch weiterhin mehrfach im Verkehr mit
baltischen Lutheranern geblieben. Auch Reval ist bereits Ende 1523 in seinen
einflußreichen Kreisen evangelisch. Ans einer Tagung der Ritterschaften eines
großen Teiles von Livland und Estland sowie der Städte bekennen sich auch
die Ritterschaften zur Lehre Luthers. Die drei Prediger der Stadt Reval:
Lange, Marsow und Haffe entwerfen eine Kirchenordnung, die dadurch be¬
deutsam ist, daß hier früher als im Heimatlande das Amt eines obersten Pastors --
Superintendenten -- und eine strenge Trennung zwischen den Spiritualieu und
Temporalien eingeführt wird, indem das Kirchengut und der "gemeine Kasten der
Armen" von dem Rat und den Gilden verwaltet werden. Bald wird auch Dorpat
demLuthertum gewonnen, das sich zuletzt in Kurland und im Bistum Ösel ausbreitet.

Im Jahre 1525 vertauscht Albrecht von Brandenburg, der letzte Hoch¬
meister, den Ordensmantel mit der Herzogskrone. Damit hatte die letzte Ver¬
bindung zwischen Preußen und Livland aufgehört. Sollte in Livland nicht ein
ähnlicher Schritt wie in Preußen möglich sein? War er in Anbetracht dessen,
daß die Mehrheit des Landes protestantisch war, nicht notwendig? Fast
scheinen die Verhältnisse sich dahin zu entwickeln. Die Stadt Riga hat ins¬
geheim mit Albrecht von Preußen angeknüpft in der Hoffnung, bei diesem
gegen ihren Todfeind, den streng katholischen Erzbischof von Riga, Blankenfeld,
Unterstützung zu finden. Mit Rücksicht auf das Vorgehen Rigas entschließt
sich Plettenberg, dem Wunsche der Stadt zu folgen, und die alleinige Ober-


Bausteine zur Geschichte des Balteulcmdes

1501 in das russische Gebiet ein und bringt den Russen 1502 an der Smolina
eine schwere Niederlage bei. Trotz dieses Sieges erweist sich die Uebermacht
der Nüssen als so groß, daß nicht diese, sondern Plettenberg, von Litauen und
Polen preisgegeben, genötigt ist, um Frieden zu bitten und zunächst einen
sechsjährigen, dann einen für weitere vierzehn Jahre verlängerten Waffen¬
stillstand erhält. Es zeigt sich dann bald, daß die Schließung des Kontors in
Nowgorod auf die Dauer keinen Schaden, sondern einen Vorteil für die lip°
ländischen Städte bedeutet: der freie Durchgangshandel der deutschen Städte,
zumal Lübecks, nach Rußland hört auf, und insbesondere Reval und Dorpat
blühen als Stapelplätze für den Handel mit Rußland auf. Aber gleichzeitig
erwacht eine starke Eifersucht gegen diese Plätze in den deutschen Handels¬
städten. Auf ihre Hilfe in den Stunden der Not ist nicht mehr zu rechnen.

Eine grundlegende Erschütterung aller Verhältnisse baltischen Lebens mußte
die Reformation mit sich bringen, gab es doch mit Ausnahme der Städte in
ganz Livland kein weltliches Gebiet. Die Reformation hat sich früh aus¬
gebreitet. Der Ruhm, in der Glaubensbewegung tatkräftig an erster Stelle
gestanden zu haben, gebührt den Städten. In Riga erscheint 1521 Knopken.
Seine und des feurigen Sylvester Tegetmeyer Beredsamkeit gewinnt den größten
Teil der Bürgerschaft von Riga rasch dem neuen Glauben. Bereits Ende 1522
kann die Stadt im wesentlichen als protestantisch gelten. Man tritt mit Luther
direkt in Verbindung. Auf einen an ihn gerichteten Brief antwortet er im
August 1523 mit einem Schreiben; er ist auch weiterhin mehrfach im Verkehr mit
baltischen Lutheranern geblieben. Auch Reval ist bereits Ende 1523 in seinen
einflußreichen Kreisen evangelisch. Ans einer Tagung der Ritterschaften eines
großen Teiles von Livland und Estland sowie der Städte bekennen sich auch
die Ritterschaften zur Lehre Luthers. Die drei Prediger der Stadt Reval:
Lange, Marsow und Haffe entwerfen eine Kirchenordnung, die dadurch be¬
deutsam ist, daß hier früher als im Heimatlande das Amt eines obersten Pastors —
Superintendenten — und eine strenge Trennung zwischen den Spiritualieu und
Temporalien eingeführt wird, indem das Kirchengut und der „gemeine Kasten der
Armen" von dem Rat und den Gilden verwaltet werden. Bald wird auch Dorpat
demLuthertum gewonnen, das sich zuletzt in Kurland und im Bistum Ösel ausbreitet.

Im Jahre 1525 vertauscht Albrecht von Brandenburg, der letzte Hoch¬
meister, den Ordensmantel mit der Herzogskrone. Damit hatte die letzte Ver¬
bindung zwischen Preußen und Livland aufgehört. Sollte in Livland nicht ein
ähnlicher Schritt wie in Preußen möglich sein? War er in Anbetracht dessen,
daß die Mehrheit des Landes protestantisch war, nicht notwendig? Fast
scheinen die Verhältnisse sich dahin zu entwickeln. Die Stadt Riga hat ins¬
geheim mit Albrecht von Preußen angeknüpft in der Hoffnung, bei diesem
gegen ihren Todfeind, den streng katholischen Erzbischof von Riga, Blankenfeld,
Unterstützung zu finden. Mit Rücksicht auf das Vorgehen Rigas entschließt
sich Plettenberg, dem Wunsche der Stadt zu folgen, und die alleinige Ober-


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[0284] Bausteine zur Geschichte des Balteulcmdes 1501 in das russische Gebiet ein und bringt den Russen 1502 an der Smolina eine schwere Niederlage bei. Trotz dieses Sieges erweist sich die Uebermacht der Nüssen als so groß, daß nicht diese, sondern Plettenberg, von Litauen und Polen preisgegeben, genötigt ist, um Frieden zu bitten und zunächst einen sechsjährigen, dann einen für weitere vierzehn Jahre verlängerten Waffen¬ stillstand erhält. Es zeigt sich dann bald, daß die Schließung des Kontors in Nowgorod auf die Dauer keinen Schaden, sondern einen Vorteil für die lip° ländischen Städte bedeutet: der freie Durchgangshandel der deutschen Städte, zumal Lübecks, nach Rußland hört auf, und insbesondere Reval und Dorpat blühen als Stapelplätze für den Handel mit Rußland auf. Aber gleichzeitig erwacht eine starke Eifersucht gegen diese Plätze in den deutschen Handels¬ städten. Auf ihre Hilfe in den Stunden der Not ist nicht mehr zu rechnen. Eine grundlegende Erschütterung aller Verhältnisse baltischen Lebens mußte die Reformation mit sich bringen, gab es doch mit Ausnahme der Städte in ganz Livland kein weltliches Gebiet. Die Reformation hat sich früh aus¬ gebreitet. Der Ruhm, in der Glaubensbewegung tatkräftig an erster Stelle gestanden zu haben, gebührt den Städten. In Riga erscheint 1521 Knopken. Seine und des feurigen Sylvester Tegetmeyer Beredsamkeit gewinnt den größten Teil der Bürgerschaft von Riga rasch dem neuen Glauben. Bereits Ende 1522 kann die Stadt im wesentlichen als protestantisch gelten. Man tritt mit Luther direkt in Verbindung. Auf einen an ihn gerichteten Brief antwortet er im August 1523 mit einem Schreiben; er ist auch weiterhin mehrfach im Verkehr mit baltischen Lutheranern geblieben. Auch Reval ist bereits Ende 1523 in seinen einflußreichen Kreisen evangelisch. Ans einer Tagung der Ritterschaften eines großen Teiles von Livland und Estland sowie der Städte bekennen sich auch die Ritterschaften zur Lehre Luthers. Die drei Prediger der Stadt Reval: Lange, Marsow und Haffe entwerfen eine Kirchenordnung, die dadurch be¬ deutsam ist, daß hier früher als im Heimatlande das Amt eines obersten Pastors — Superintendenten — und eine strenge Trennung zwischen den Spiritualieu und Temporalien eingeführt wird, indem das Kirchengut und der „gemeine Kasten der Armen" von dem Rat und den Gilden verwaltet werden. Bald wird auch Dorpat demLuthertum gewonnen, das sich zuletzt in Kurland und im Bistum Ösel ausbreitet. Im Jahre 1525 vertauscht Albrecht von Brandenburg, der letzte Hoch¬ meister, den Ordensmantel mit der Herzogskrone. Damit hatte die letzte Ver¬ bindung zwischen Preußen und Livland aufgehört. Sollte in Livland nicht ein ähnlicher Schritt wie in Preußen möglich sein? War er in Anbetracht dessen, daß die Mehrheit des Landes protestantisch war, nicht notwendig? Fast scheinen die Verhältnisse sich dahin zu entwickeln. Die Stadt Riga hat ins¬ geheim mit Albrecht von Preußen angeknüpft in der Hoffnung, bei diesem gegen ihren Todfeind, den streng katholischen Erzbischof von Riga, Blankenfeld, Unterstützung zu finden. Mit Rücksicht auf das Vorgehen Rigas entschließt sich Plettenberg, dem Wunsche der Stadt zu folgen, und die alleinige Ober-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/284>, abgerufen am 23.12.2024.