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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Bausteine zur Geschichte des Baltenlandes

Von wesentlichem, ungünstigem Einfluß auf die Geschicke des Landes ist
die Entwicklung in Preußen und Polen-Litauen. Durch die Christianisierung
werden weitere Kreuzzüge nach Litauen unmöglich und der verewigte polnisch¬
litauische Staat wird zu einer starken Gefahr für beide Teile des Ordens.
Der livländische Orden hat in den Kämpfen zwischen Preußen und Polen-
Litauen eine erhebliche Rolle gespielt. Zwar kommen seine Kräfte zur Schlacht
von Tannenberg zu spät, aber seine von dem Landmarschall Hevelmann ge¬
führten Truppen treiben zusammen mit den Getreuen des Landes die polnischen
Truppen aus Ostpreußen heraus. Infolgedessen erstarkt die polenfeindliche
Stimmung des Landes weiter und nach der erfolglosen Belagerung von Marien¬
burg räumt Jagiello am 1. Oktober 1410 das Ordensgebiet. Auch im Jahre
1422 unterstützt Livland den Meister von Rußdorf, wenngleich vergeblich, bei
seinen Unternehmungen gegen Jagiello und Witold. Nach dem Tode Witolds
treibt der livlänoische Orden im Gegensatz zum preußischen eine weitsichtige
Politik, indem er Switrigailo, der Litauen wieder von Polen abhängig zu
machen sucht und dabei vom preußischen Orden im Stich gelassen wird, unter¬
stützt. Allerdings wird das livländisch-litauische Heer bei Wilkomir an der
Swienta 1435 geschlagen. Der livländische Orden läßt Switrigailo im Frieden
von Brest fallen und verpflichtet sich, als Großfürsten von Litauen den an¬
zuerkennen, der von: König von Polen bestätigt ist. Die Gelegenheit, beide
Reiche zu trennen, ist damit verpaßt. Auch in dem 1454 ausbrechenden
preußisch-polnischen Kriege unterstützt der livländische Orden tatkräftig den
preußischen, indem er Memel besetzt und eine Kriegssteuer, aus der Geld¬
beihilfen geleistet werden, ausschreibt. Dieser Krieg lockert für die Folge die
Beziehungen zwischen beiden Ordensprovinzen: einerseits verzichtet der Hoch¬
meister 1459 auf die eftläudischen Gebiete, deren Rückkauf er sich 1347 vor¬
behalten hatte, andererseits tritt er 1466 durch den Thorner Frieden mit dem
preußischen Gebiete unter polnische Lehnshoheit; Livland dagegen bleibt selbständig.

Livland sollte nicht gegen Polen-Litauen, sondern gegen Rußland, das in
Iwan dem Dritten (1462--1505) einen bedeutenden Herrscher hatte, seine
Waffen wenden. Iwan unterwirft 1479 Nowgorod endgültig und schließt 1494
das Kondor des deutschen Kaufmanns daselbst, ein schwerer Schlag nicht nur
für den Handel der deutschen Städte insbesondere Lübecks, sondern auch für die
livländischen, vor allem für Neval und Dorpat. Es war natürlich, daß der
Orden diese Einbuße nötigenfalls durch Kampf wieder rückgängig zu machen
suchte. Die Führung hat der neugewählte Meister Walter von Plettenberg,
einer der Großen baltischer Geschichte, der tapfer, uneigennützig und von lang¬
wütiger Friedensliebe dem Lande durch seine erfolgreichen Nussenkämpfe eine Reihe
von Jahren selbständigen Lebens geschenkt und dennoch durch treues Festhalten
am Überkommenen die Stunde versäumt hat, in der allein das baltische poli¬
tische Leben in neue Form gegossen werden konnte. Er verbündet sich mit
Litauen, daß sich allerdings als ein unzuverlässiger Mitstreiter erweist, fällt


Bausteine zur Geschichte des Baltenlandes

Von wesentlichem, ungünstigem Einfluß auf die Geschicke des Landes ist
die Entwicklung in Preußen und Polen-Litauen. Durch die Christianisierung
werden weitere Kreuzzüge nach Litauen unmöglich und der verewigte polnisch¬
litauische Staat wird zu einer starken Gefahr für beide Teile des Ordens.
Der livländische Orden hat in den Kämpfen zwischen Preußen und Polen-
Litauen eine erhebliche Rolle gespielt. Zwar kommen seine Kräfte zur Schlacht
von Tannenberg zu spät, aber seine von dem Landmarschall Hevelmann ge¬
führten Truppen treiben zusammen mit den Getreuen des Landes die polnischen
Truppen aus Ostpreußen heraus. Infolgedessen erstarkt die polenfeindliche
Stimmung des Landes weiter und nach der erfolglosen Belagerung von Marien¬
burg räumt Jagiello am 1. Oktober 1410 das Ordensgebiet. Auch im Jahre
1422 unterstützt Livland den Meister von Rußdorf, wenngleich vergeblich, bei
seinen Unternehmungen gegen Jagiello und Witold. Nach dem Tode Witolds
treibt der livlänoische Orden im Gegensatz zum preußischen eine weitsichtige
Politik, indem er Switrigailo, der Litauen wieder von Polen abhängig zu
machen sucht und dabei vom preußischen Orden im Stich gelassen wird, unter¬
stützt. Allerdings wird das livländisch-litauische Heer bei Wilkomir an der
Swienta 1435 geschlagen. Der livländische Orden läßt Switrigailo im Frieden
von Brest fallen und verpflichtet sich, als Großfürsten von Litauen den an¬
zuerkennen, der von: König von Polen bestätigt ist. Die Gelegenheit, beide
Reiche zu trennen, ist damit verpaßt. Auch in dem 1454 ausbrechenden
preußisch-polnischen Kriege unterstützt der livländische Orden tatkräftig den
preußischen, indem er Memel besetzt und eine Kriegssteuer, aus der Geld¬
beihilfen geleistet werden, ausschreibt. Dieser Krieg lockert für die Folge die
Beziehungen zwischen beiden Ordensprovinzen: einerseits verzichtet der Hoch¬
meister 1459 auf die eftläudischen Gebiete, deren Rückkauf er sich 1347 vor¬
behalten hatte, andererseits tritt er 1466 durch den Thorner Frieden mit dem
preußischen Gebiete unter polnische Lehnshoheit; Livland dagegen bleibt selbständig.

Livland sollte nicht gegen Polen-Litauen, sondern gegen Rußland, das in
Iwan dem Dritten (1462—1505) einen bedeutenden Herrscher hatte, seine
Waffen wenden. Iwan unterwirft 1479 Nowgorod endgültig und schließt 1494
das Kondor des deutschen Kaufmanns daselbst, ein schwerer Schlag nicht nur
für den Handel der deutschen Städte insbesondere Lübecks, sondern auch für die
livländischen, vor allem für Neval und Dorpat. Es war natürlich, daß der
Orden diese Einbuße nötigenfalls durch Kampf wieder rückgängig zu machen
suchte. Die Führung hat der neugewählte Meister Walter von Plettenberg,
einer der Großen baltischer Geschichte, der tapfer, uneigennützig und von lang¬
wütiger Friedensliebe dem Lande durch seine erfolgreichen Nussenkämpfe eine Reihe
von Jahren selbständigen Lebens geschenkt und dennoch durch treues Festhalten
am Überkommenen die Stunde versäumt hat, in der allein das baltische poli¬
tische Leben in neue Form gegossen werden konnte. Er verbündet sich mit
Litauen, daß sich allerdings als ein unzuverlässiger Mitstreiter erweist, fällt


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[0283] Bausteine zur Geschichte des Baltenlandes Von wesentlichem, ungünstigem Einfluß auf die Geschicke des Landes ist die Entwicklung in Preußen und Polen-Litauen. Durch die Christianisierung werden weitere Kreuzzüge nach Litauen unmöglich und der verewigte polnisch¬ litauische Staat wird zu einer starken Gefahr für beide Teile des Ordens. Der livländische Orden hat in den Kämpfen zwischen Preußen und Polen- Litauen eine erhebliche Rolle gespielt. Zwar kommen seine Kräfte zur Schlacht von Tannenberg zu spät, aber seine von dem Landmarschall Hevelmann ge¬ führten Truppen treiben zusammen mit den Getreuen des Landes die polnischen Truppen aus Ostpreußen heraus. Infolgedessen erstarkt die polenfeindliche Stimmung des Landes weiter und nach der erfolglosen Belagerung von Marien¬ burg räumt Jagiello am 1. Oktober 1410 das Ordensgebiet. Auch im Jahre 1422 unterstützt Livland den Meister von Rußdorf, wenngleich vergeblich, bei seinen Unternehmungen gegen Jagiello und Witold. Nach dem Tode Witolds treibt der livlänoische Orden im Gegensatz zum preußischen eine weitsichtige Politik, indem er Switrigailo, der Litauen wieder von Polen abhängig zu machen sucht und dabei vom preußischen Orden im Stich gelassen wird, unter¬ stützt. Allerdings wird das livländisch-litauische Heer bei Wilkomir an der Swienta 1435 geschlagen. Der livländische Orden läßt Switrigailo im Frieden von Brest fallen und verpflichtet sich, als Großfürsten von Litauen den an¬ zuerkennen, der von: König von Polen bestätigt ist. Die Gelegenheit, beide Reiche zu trennen, ist damit verpaßt. Auch in dem 1454 ausbrechenden preußisch-polnischen Kriege unterstützt der livländische Orden tatkräftig den preußischen, indem er Memel besetzt und eine Kriegssteuer, aus der Geld¬ beihilfen geleistet werden, ausschreibt. Dieser Krieg lockert für die Folge die Beziehungen zwischen beiden Ordensprovinzen: einerseits verzichtet der Hoch¬ meister 1459 auf die eftläudischen Gebiete, deren Rückkauf er sich 1347 vor¬ behalten hatte, andererseits tritt er 1466 durch den Thorner Frieden mit dem preußischen Gebiete unter polnische Lehnshoheit; Livland dagegen bleibt selbständig. Livland sollte nicht gegen Polen-Litauen, sondern gegen Rußland, das in Iwan dem Dritten (1462—1505) einen bedeutenden Herrscher hatte, seine Waffen wenden. Iwan unterwirft 1479 Nowgorod endgültig und schließt 1494 das Kondor des deutschen Kaufmanns daselbst, ein schwerer Schlag nicht nur für den Handel der deutschen Städte insbesondere Lübecks, sondern auch für die livländischen, vor allem für Neval und Dorpat. Es war natürlich, daß der Orden diese Einbuße nötigenfalls durch Kampf wieder rückgängig zu machen suchte. Die Führung hat der neugewählte Meister Walter von Plettenberg, einer der Großen baltischer Geschichte, der tapfer, uneigennützig und von lang¬ wütiger Friedensliebe dem Lande durch seine erfolgreichen Nussenkämpfe eine Reihe von Jahren selbständigen Lebens geschenkt und dennoch durch treues Festhalten am Überkommenen die Stunde versäumt hat, in der allein das baltische poli¬ tische Leben in neue Form gegossen werden konnte. Er verbündet sich mit Litauen, daß sich allerdings als ein unzuverlässiger Mitstreiter erweist, fällt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/283>, abgerufen am 28.07.2024.