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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Der Apostel des deutschen Idealismus

stimme, eigentlich nur sozusagen eine zeitgemäße Neuauflage von ihm sei.
Luther hat ja vor ihm sein Werk ähnlich aufgefaßt. Fichte hat sich denn auch
bemüht, im einzelnen seine Übereinstimmung mit dem Johannesevangelium
nachzuweisen, wo er Jesu Lehre am reinsten überliefert zu finden glaubte.
Hingegen lehnte er den Paulus als einen Verderber der reinen Idee ab. In
der Tat geht ja, was am Christentum kirchlich ist, speziell auf Paulus zurück,
so daß es kein Wunder ist, wenn Fichte, der selbst das Zeug zum Kirchen¬
gründer in sich fühlte, den Stifter der bestehenden Kirche minder freundlich
betrachtete. Mit dem philosophisch gebildeten Johannes dagegen konnte er sich
gut vertragen. Es ist ein Versuch, die einmal vorhandene historische Macht
des Christentums in den Dienst seiner Sache zu stellen. Aber das johanneische
Christentum ist unter den im Neuen Testament vorliegenden Auffassungen
unserer Religion die esoterischste, die am wenigsten volkstümliche. Deswegen
lag es Fichte nahe, der mehr für die philosophisch Gebildeten als für die
Volksgesamtheit eine frohe Botschaft brachte.

Von größerer Bedeutung, als dieser Versuch an das Christentum anzu¬
knüpfen, ist zumal für unsere Zeit des Weltkrieges die religiöse Verklärung des
Deutschtums, die uns Fichte beschert hat. Denn nur auf religiöser Grundlage
konnte der Philosoph, der die Menschheit aufwärts führen wollte, den Weg
dazu über die Nationalerziehung des deutschen Volkes einschlagen. Dazu mußte
dieses Volk ein auserwähltes sein, mußte von Gott selber einen Beruf be¬
kommen haben, Bahnbrecher für den Aufstieg der Menschheit zu sein. Fichte
steht an der großen Wende der geistesgeschichtlichen Entwicklung, wo der
Menschheitsgedanke der Neuzeit bei den Denkern unseres Volkes aus sich selbst
heraus eine neue Nationalgesinnung gebiert (vergl. meinen Aufsatz "Der inter¬
nationale Gedanke", Grenzboten 1916 Ur. 10). Diesen Fichteschen Glauben,
daß uns für das künftige Heil der Menschheit ein Beruf gewiesen ist, möchte
man jetzt mehr denn je unseren Volksgenossen wünschen. Fichtes rationale
Religion ist nichts für die Mehrheit unseres Volkes und sein philosophisch-
klerikales Erziehungsprogramm ist eine große Utopie. Aber der Glaube an
den gottgewollten Menschheitsberuf der deutschen Nation, das wäre etwas!
Aus ihm können wir Kräfte ziehen, diesen Krieg zu ertragen und nach ihm
als ein Welterziehervolk gestützt auf das Vertrauen der Verbündeten zwischen
den älteren Weltvölkern groß zu werden, denen ein günstiges Schicksal vor uns
Macht in den Schoß geworfen hat. Es gehört viel Glaube dazu, in solchem
Sinne die deutsche Zukunft zu erhoffen. Dafür aber wäre es auch eine Zukunft
von einer menschlichen Bedeutung, wie sie seit den Griechen kein Volk wieder
gehabt hat. Lassen wir also den Redner an die deutsche Nation in der Tat
den Philosophen dieses Krieges sein! Lernen wir den einen Glauben von
ihm, daß Deutschsein heißt, einen Beruf für den Aufstieg der Menschheit haben!




Der Apostel des deutschen Idealismus

stimme, eigentlich nur sozusagen eine zeitgemäße Neuauflage von ihm sei.
Luther hat ja vor ihm sein Werk ähnlich aufgefaßt. Fichte hat sich denn auch
bemüht, im einzelnen seine Übereinstimmung mit dem Johannesevangelium
nachzuweisen, wo er Jesu Lehre am reinsten überliefert zu finden glaubte.
Hingegen lehnte er den Paulus als einen Verderber der reinen Idee ab. In
der Tat geht ja, was am Christentum kirchlich ist, speziell auf Paulus zurück,
so daß es kein Wunder ist, wenn Fichte, der selbst das Zeug zum Kirchen¬
gründer in sich fühlte, den Stifter der bestehenden Kirche minder freundlich
betrachtete. Mit dem philosophisch gebildeten Johannes dagegen konnte er sich
gut vertragen. Es ist ein Versuch, die einmal vorhandene historische Macht
des Christentums in den Dienst seiner Sache zu stellen. Aber das johanneische
Christentum ist unter den im Neuen Testament vorliegenden Auffassungen
unserer Religion die esoterischste, die am wenigsten volkstümliche. Deswegen
lag es Fichte nahe, der mehr für die philosophisch Gebildeten als für die
Volksgesamtheit eine frohe Botschaft brachte.

Von größerer Bedeutung, als dieser Versuch an das Christentum anzu¬
knüpfen, ist zumal für unsere Zeit des Weltkrieges die religiöse Verklärung des
Deutschtums, die uns Fichte beschert hat. Denn nur auf religiöser Grundlage
konnte der Philosoph, der die Menschheit aufwärts führen wollte, den Weg
dazu über die Nationalerziehung des deutschen Volkes einschlagen. Dazu mußte
dieses Volk ein auserwähltes sein, mußte von Gott selber einen Beruf be¬
kommen haben, Bahnbrecher für den Aufstieg der Menschheit zu sein. Fichte
steht an der großen Wende der geistesgeschichtlichen Entwicklung, wo der
Menschheitsgedanke der Neuzeit bei den Denkern unseres Volkes aus sich selbst
heraus eine neue Nationalgesinnung gebiert (vergl. meinen Aufsatz „Der inter¬
nationale Gedanke", Grenzboten 1916 Ur. 10). Diesen Fichteschen Glauben,
daß uns für das künftige Heil der Menschheit ein Beruf gewiesen ist, möchte
man jetzt mehr denn je unseren Volksgenossen wünschen. Fichtes rationale
Religion ist nichts für die Mehrheit unseres Volkes und sein philosophisch-
klerikales Erziehungsprogramm ist eine große Utopie. Aber der Glaube an
den gottgewollten Menschheitsberuf der deutschen Nation, das wäre etwas!
Aus ihm können wir Kräfte ziehen, diesen Krieg zu ertragen und nach ihm
als ein Welterziehervolk gestützt auf das Vertrauen der Verbündeten zwischen
den älteren Weltvölkern groß zu werden, denen ein günstiges Schicksal vor uns
Macht in den Schoß geworfen hat. Es gehört viel Glaube dazu, in solchem
Sinne die deutsche Zukunft zu erhoffen. Dafür aber wäre es auch eine Zukunft
von einer menschlichen Bedeutung, wie sie seit den Griechen kein Volk wieder
gehabt hat. Lassen wir also den Redner an die deutsche Nation in der Tat
den Philosophen dieses Krieges sein! Lernen wir den einen Glauben von
ihm, daß Deutschsein heißt, einen Beruf für den Aufstieg der Menschheit haben!




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[0279] Der Apostel des deutschen Idealismus stimme, eigentlich nur sozusagen eine zeitgemäße Neuauflage von ihm sei. Luther hat ja vor ihm sein Werk ähnlich aufgefaßt. Fichte hat sich denn auch bemüht, im einzelnen seine Übereinstimmung mit dem Johannesevangelium nachzuweisen, wo er Jesu Lehre am reinsten überliefert zu finden glaubte. Hingegen lehnte er den Paulus als einen Verderber der reinen Idee ab. In der Tat geht ja, was am Christentum kirchlich ist, speziell auf Paulus zurück, so daß es kein Wunder ist, wenn Fichte, der selbst das Zeug zum Kirchen¬ gründer in sich fühlte, den Stifter der bestehenden Kirche minder freundlich betrachtete. Mit dem philosophisch gebildeten Johannes dagegen konnte er sich gut vertragen. Es ist ein Versuch, die einmal vorhandene historische Macht des Christentums in den Dienst seiner Sache zu stellen. Aber das johanneische Christentum ist unter den im Neuen Testament vorliegenden Auffassungen unserer Religion die esoterischste, die am wenigsten volkstümliche. Deswegen lag es Fichte nahe, der mehr für die philosophisch Gebildeten als für die Volksgesamtheit eine frohe Botschaft brachte. Von größerer Bedeutung, als dieser Versuch an das Christentum anzu¬ knüpfen, ist zumal für unsere Zeit des Weltkrieges die religiöse Verklärung des Deutschtums, die uns Fichte beschert hat. Denn nur auf religiöser Grundlage konnte der Philosoph, der die Menschheit aufwärts führen wollte, den Weg dazu über die Nationalerziehung des deutschen Volkes einschlagen. Dazu mußte dieses Volk ein auserwähltes sein, mußte von Gott selber einen Beruf be¬ kommen haben, Bahnbrecher für den Aufstieg der Menschheit zu sein. Fichte steht an der großen Wende der geistesgeschichtlichen Entwicklung, wo der Menschheitsgedanke der Neuzeit bei den Denkern unseres Volkes aus sich selbst heraus eine neue Nationalgesinnung gebiert (vergl. meinen Aufsatz „Der inter¬ nationale Gedanke", Grenzboten 1916 Ur. 10). Diesen Fichteschen Glauben, daß uns für das künftige Heil der Menschheit ein Beruf gewiesen ist, möchte man jetzt mehr denn je unseren Volksgenossen wünschen. Fichtes rationale Religion ist nichts für die Mehrheit unseres Volkes und sein philosophisch- klerikales Erziehungsprogramm ist eine große Utopie. Aber der Glaube an den gottgewollten Menschheitsberuf der deutschen Nation, das wäre etwas! Aus ihm können wir Kräfte ziehen, diesen Krieg zu ertragen und nach ihm als ein Welterziehervolk gestützt auf das Vertrauen der Verbündeten zwischen den älteren Weltvölkern groß zu werden, denen ein günstiges Schicksal vor uns Macht in den Schoß geworfen hat. Es gehört viel Glaube dazu, in solchem Sinne die deutsche Zukunft zu erhoffen. Dafür aber wäre es auch eine Zukunft von einer menschlichen Bedeutung, wie sie seit den Griechen kein Volk wieder gehabt hat. Lassen wir also den Redner an die deutsche Nation in der Tat den Philosophen dieses Krieges sein! Lernen wir den einen Glauben von ihm, daß Deutschsein heißt, einen Beruf für den Aufstieg der Menschheit haben!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/279>, abgerufen am 01.09.2024.