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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Der Apostel des deutschen Idealismus

der Natur, von einem Sein außer dem Ich. Ein solches Sein aber erschien
Fichte "tot", die Philosophie der Ausklärung darum wie von Grabeshauch
umweht, von Lüge und Sündhaftigkeit erstickt. Denn mit dieser Lehre hatte
er einst Freiheit und Persönlichkeit vor seinem logischen Gewissen verleugnen
müssen, bis er durch Kant Erlösung fand. Darum bekämpfte er nun den auf¬
geklärten Rationalismus, weil er Vernunft und Freiheit in seinen Augen zur
Lüge machte. Und kein Wunder, wenn er religiösen Eifer an diesen Kampf
setzte! Es galt einer Anschauung, die ihm als Sünde wider den heiligen Geist
und darum als wahrhaft vollendete Sündhaftigkeit erschienen war. Solchem
Eifer war aller Skeptizismus verhaßt. Fichte wollte nicht eine Meinung neben
anderen Meinungen bieten, sondern die eine Wahrheit, die keine andere neben
sich duldet. Er war grundsätzlich intolerant. In Jena war er wie ein Despot
und Gewaltmensch aufgetreten und hatte seine Gegner mit den schärfsten
Worten getroffen. Aber auch nach seiner Niederlage im Atheismusstreit blieb
er immer geneigt, der Minderwertigkeit der Menschen die Schuld zu geben,
wenn seine Lehre nicht genügend Anerkennung fand. Fichte wollte Proselyten
machen; nicht wie einem Professor um seine Lehre war es ihm zu tun, sondern
wie einem Kirchengründer um eine Gemeinde, die nach dieser Lehre zu leben
sich entschließen sollte.

Dazu hat er es nun freilich nicht gebracht. Es fehlte seinem idealistischen
Nationalismus keineswegs an echter religiöser Kraft. Aber Fichte irrte sich
über die propagandistische Brauchbarkeit einer derart begründeten Religion.
Metaphysische Erkenntnis ist keine genügende religiöse Kost für ein Volk.
Fichte hat geglaubt, man müßte ihn verstehen, er hat den Titel "Sonnenklarer
Bericht" für eine seiner Schriften nicht gescheut, und man hat ihn doch nicht
verstanden, sondern den religiösen Eiferer als "Atheisten" verfolgt. Später
hat er seine Religion in Vorträgen gepredigt, die er für populär hielt. Die
"Reden an die deutsche Nation" und die "Anweisung zum seligen Leben" sind
solche Vortrüge. Aber niemand wird sagen können, daß sie so leicht verständ¬
lich wären, wie es ihrem Zwecke entspricht. Fichte hatte kein Verhältnis zum
breiten Volke, obwohl er ihm selber entstammte; er war ganz zum Aristokraten
des Geistes geworden und brachte eine Religion, die auf das theoretische Ge¬
wissen der philosophisch Gebildeten zugeschnitten war. Die logischen Köpfe
haben aber noch niemals die Mehrheit eines Volkes ausgemacht, und die
Meisten Menschen wollen von ganz anderem Gewissensdruck erlöst sein als von
einem theoretischen!

So hat es Fichte nicht zu einer Gemeinde, sondern nur zu einem Programm
gebracht. Es stellt sich dar als das Programm einer Nationalerziehung, geht
"der über das Ziel bloßer Staatsgesiunung weit hinaus und fordert vielmehr
die Schaffung eines religiös-ethischen Gemeinschaftsgeistes, also eines Kirchen¬
ideals. Das pflegt man gewöhnlich bei Fichte zu übersehen, es wird aber ganz
deutlich an dem Ideal des Gelehrten, das unserem Philosophen vorschwebt.


Der Apostel des deutschen Idealismus

der Natur, von einem Sein außer dem Ich. Ein solches Sein aber erschien
Fichte „tot", die Philosophie der Ausklärung darum wie von Grabeshauch
umweht, von Lüge und Sündhaftigkeit erstickt. Denn mit dieser Lehre hatte
er einst Freiheit und Persönlichkeit vor seinem logischen Gewissen verleugnen
müssen, bis er durch Kant Erlösung fand. Darum bekämpfte er nun den auf¬
geklärten Rationalismus, weil er Vernunft und Freiheit in seinen Augen zur
Lüge machte. Und kein Wunder, wenn er religiösen Eifer an diesen Kampf
setzte! Es galt einer Anschauung, die ihm als Sünde wider den heiligen Geist
und darum als wahrhaft vollendete Sündhaftigkeit erschienen war. Solchem
Eifer war aller Skeptizismus verhaßt. Fichte wollte nicht eine Meinung neben
anderen Meinungen bieten, sondern die eine Wahrheit, die keine andere neben
sich duldet. Er war grundsätzlich intolerant. In Jena war er wie ein Despot
und Gewaltmensch aufgetreten und hatte seine Gegner mit den schärfsten
Worten getroffen. Aber auch nach seiner Niederlage im Atheismusstreit blieb
er immer geneigt, der Minderwertigkeit der Menschen die Schuld zu geben,
wenn seine Lehre nicht genügend Anerkennung fand. Fichte wollte Proselyten
machen; nicht wie einem Professor um seine Lehre war es ihm zu tun, sondern
wie einem Kirchengründer um eine Gemeinde, die nach dieser Lehre zu leben
sich entschließen sollte.

Dazu hat er es nun freilich nicht gebracht. Es fehlte seinem idealistischen
Nationalismus keineswegs an echter religiöser Kraft. Aber Fichte irrte sich
über die propagandistische Brauchbarkeit einer derart begründeten Religion.
Metaphysische Erkenntnis ist keine genügende religiöse Kost für ein Volk.
Fichte hat geglaubt, man müßte ihn verstehen, er hat den Titel „Sonnenklarer
Bericht" für eine seiner Schriften nicht gescheut, und man hat ihn doch nicht
verstanden, sondern den religiösen Eiferer als „Atheisten" verfolgt. Später
hat er seine Religion in Vorträgen gepredigt, die er für populär hielt. Die
„Reden an die deutsche Nation" und die „Anweisung zum seligen Leben" sind
solche Vortrüge. Aber niemand wird sagen können, daß sie so leicht verständ¬
lich wären, wie es ihrem Zwecke entspricht. Fichte hatte kein Verhältnis zum
breiten Volke, obwohl er ihm selber entstammte; er war ganz zum Aristokraten
des Geistes geworden und brachte eine Religion, die auf das theoretische Ge¬
wissen der philosophisch Gebildeten zugeschnitten war. Die logischen Köpfe
haben aber noch niemals die Mehrheit eines Volkes ausgemacht, und die
Meisten Menschen wollen von ganz anderem Gewissensdruck erlöst sein als von
einem theoretischen!

So hat es Fichte nicht zu einer Gemeinde, sondern nur zu einem Programm
gebracht. Es stellt sich dar als das Programm einer Nationalerziehung, geht
«der über das Ziel bloßer Staatsgesiunung weit hinaus und fordert vielmehr
die Schaffung eines religiös-ethischen Gemeinschaftsgeistes, also eines Kirchen¬
ideals. Das pflegt man gewöhnlich bei Fichte zu übersehen, es wird aber ganz
deutlich an dem Ideal des Gelehrten, das unserem Philosophen vorschwebt.


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[0277] Der Apostel des deutschen Idealismus der Natur, von einem Sein außer dem Ich. Ein solches Sein aber erschien Fichte „tot", die Philosophie der Ausklärung darum wie von Grabeshauch umweht, von Lüge und Sündhaftigkeit erstickt. Denn mit dieser Lehre hatte er einst Freiheit und Persönlichkeit vor seinem logischen Gewissen verleugnen müssen, bis er durch Kant Erlösung fand. Darum bekämpfte er nun den auf¬ geklärten Rationalismus, weil er Vernunft und Freiheit in seinen Augen zur Lüge machte. Und kein Wunder, wenn er religiösen Eifer an diesen Kampf setzte! Es galt einer Anschauung, die ihm als Sünde wider den heiligen Geist und darum als wahrhaft vollendete Sündhaftigkeit erschienen war. Solchem Eifer war aller Skeptizismus verhaßt. Fichte wollte nicht eine Meinung neben anderen Meinungen bieten, sondern die eine Wahrheit, die keine andere neben sich duldet. Er war grundsätzlich intolerant. In Jena war er wie ein Despot und Gewaltmensch aufgetreten und hatte seine Gegner mit den schärfsten Worten getroffen. Aber auch nach seiner Niederlage im Atheismusstreit blieb er immer geneigt, der Minderwertigkeit der Menschen die Schuld zu geben, wenn seine Lehre nicht genügend Anerkennung fand. Fichte wollte Proselyten machen; nicht wie einem Professor um seine Lehre war es ihm zu tun, sondern wie einem Kirchengründer um eine Gemeinde, die nach dieser Lehre zu leben sich entschließen sollte. Dazu hat er es nun freilich nicht gebracht. Es fehlte seinem idealistischen Nationalismus keineswegs an echter religiöser Kraft. Aber Fichte irrte sich über die propagandistische Brauchbarkeit einer derart begründeten Religion. Metaphysische Erkenntnis ist keine genügende religiöse Kost für ein Volk. Fichte hat geglaubt, man müßte ihn verstehen, er hat den Titel „Sonnenklarer Bericht" für eine seiner Schriften nicht gescheut, und man hat ihn doch nicht verstanden, sondern den religiösen Eiferer als „Atheisten" verfolgt. Später hat er seine Religion in Vorträgen gepredigt, die er für populär hielt. Die „Reden an die deutsche Nation" und die „Anweisung zum seligen Leben" sind solche Vortrüge. Aber niemand wird sagen können, daß sie so leicht verständ¬ lich wären, wie es ihrem Zwecke entspricht. Fichte hatte kein Verhältnis zum breiten Volke, obwohl er ihm selber entstammte; er war ganz zum Aristokraten des Geistes geworden und brachte eine Religion, die auf das theoretische Ge¬ wissen der philosophisch Gebildeten zugeschnitten war. Die logischen Köpfe haben aber noch niemals die Mehrheit eines Volkes ausgemacht, und die Meisten Menschen wollen von ganz anderem Gewissensdruck erlöst sein als von einem theoretischen! So hat es Fichte nicht zu einer Gemeinde, sondern nur zu einem Programm gebracht. Es stellt sich dar als das Programm einer Nationalerziehung, geht «der über das Ziel bloßer Staatsgesiunung weit hinaus und fordert vielmehr die Schaffung eines religiös-ethischen Gemeinschaftsgeistes, also eines Kirchen¬ ideals. Das pflegt man gewöhnlich bei Fichte zu übersehen, es wird aber ganz deutlich an dem Ideal des Gelehrten, das unserem Philosophen vorschwebt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/277>, abgerufen am 28.07.2024.