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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Der Apostel des deutschen Idealismus

Schon diese Wissenschaftslehre ist, wie Bergmann sagt, "in ihrem metaphysi¬
schen Kern mehr Theologie als Philosophie, sie ist Theosophie, Gotteswissen¬
schaftslehre. Und dies nicht erst nach 1800." Die neue Erkenntnistheorie,
auf der sie aufgebaut war, war eben für Fichte eine Offenbarung, eine Er¬
lösung vom Determinismus, ein Evangelium der Freiheit vom Kausalzwang.
Das Erlöfungsbedürfnis der Menschen ist verschieden. Fichte gehörte zu denen,
die aus der Not ihres logischen Gewissens zu Gott kommen. Dieses hatte
ihn gegen die innerste Stimme seiner Persönlichkeit unter einen lastenden
Determinismus gebeugt, da er die Freiheit dieser Persönlichkeit theoretisch nicht
zu rechtfertigen vermochte, bis er bei Kant dieß Lösung fand. Mit religiöser
Leidenschaft aber hat Fichte die Transzendentalphilvsophie Kants erfaßt und
sich mit der Kraft des befreit aufjauchzenden logischen Gewissens einen Weg
zu Gott gebahnt. Auf dieser Grundlage konnte die Fichtesche Religion nur
den einen Charakter gewinnen: den des idealistischen Rationalismus. Er¬
kenntnis muß hier der Weg zum wahren Leben sein, aber nur eine Erkenntnis,
die von dem Fundamente der Freiheit des Ichs ausgeht. Damit stehen wir
im Kernpunkte der Fichteschen Religionslehre: Erlösung durch Erkenntnis in
der Freiheit vom empirischen Naturzusammenhange. Fichte sand damit einen
Zugang zu Gott, der nicht weit ab von denen lag, die vor ihm Platon und
Spinoza gefunden hatten. Er war von keinem der beiden ausgegangen, aber
in den Resultaten kam er in ihre Nähe. Hingegen entfernt blieb er stets von
den Wegen seines Zeitgenossen Schleiermacher, weil dieser der Religion eine
ausgesprochen irrationale Grundlage gab. Deswegen ging er auch mit Jacobi
und Schelling nicht zusammen. Auf die alte Frage: Was muß ich tun, daß
ich selig werde? antwortet Fichte nicht mit einem Hinweis auf die verborgenen
Schätze des Gefühls in den Tiefen der Seele, sondern mit einem hellenisch¬
klaren: Lerne erkennen! Die meisten Beurteiler der deutschen Romantik be¬
tonen ihre Gefühlsseite und übersehen ihre logische Leistung. Mögen sie
Fichte studieren: in ihm ist der romantische Intellektualismus verkörpertI
Lerne erkennen, daß der Mensch von der Natur frei und darum fähig ist, sich
selbst einen Weg zur Seligkeit zu bahnen! Wie ein Sotmtiker in einem pla¬
tonischen Dialog bezeichnete Fichte abermals das Philosophieren gewissermaßen
als die notwendigste Lebensaufgabe des Menschen. Freilich ist Transzendental¬
philosophie noch keine Lebensweisheit, aber sie allein ist die notwendige Grund¬
lage dafür, in ihr allein können wir die Werte finden, die als Sterne über
unserm Leben leuchten sollen.

Von dieseni Standpunkt aus ist Fichte niemals zu einer gerechten Würdi¬
gung der empirischen Erkenntnisse gelangt. Sie hatten ja mit dem wahren
Wesen des Seins nichts zu tun, sie dienten nicht dem Einen, das allein not
tut. Wem die Erkenntnis zur Gnosis wird, d. h. zum Zugang zu Gott, der
ist immer leicht in Gefahr, sie als Zugang zur Welt nicht mehr recht ge¬
brauchen zu können. Fichte, dem seine Philosophie eine Heilsbotschaft war,


Der Apostel des deutschen Idealismus

Schon diese Wissenschaftslehre ist, wie Bergmann sagt, „in ihrem metaphysi¬
schen Kern mehr Theologie als Philosophie, sie ist Theosophie, Gotteswissen¬
schaftslehre. Und dies nicht erst nach 1800." Die neue Erkenntnistheorie,
auf der sie aufgebaut war, war eben für Fichte eine Offenbarung, eine Er¬
lösung vom Determinismus, ein Evangelium der Freiheit vom Kausalzwang.
Das Erlöfungsbedürfnis der Menschen ist verschieden. Fichte gehörte zu denen,
die aus der Not ihres logischen Gewissens zu Gott kommen. Dieses hatte
ihn gegen die innerste Stimme seiner Persönlichkeit unter einen lastenden
Determinismus gebeugt, da er die Freiheit dieser Persönlichkeit theoretisch nicht
zu rechtfertigen vermochte, bis er bei Kant dieß Lösung fand. Mit religiöser
Leidenschaft aber hat Fichte die Transzendentalphilvsophie Kants erfaßt und
sich mit der Kraft des befreit aufjauchzenden logischen Gewissens einen Weg
zu Gott gebahnt. Auf dieser Grundlage konnte die Fichtesche Religion nur
den einen Charakter gewinnen: den des idealistischen Rationalismus. Er¬
kenntnis muß hier der Weg zum wahren Leben sein, aber nur eine Erkenntnis,
die von dem Fundamente der Freiheit des Ichs ausgeht. Damit stehen wir
im Kernpunkte der Fichteschen Religionslehre: Erlösung durch Erkenntnis in
der Freiheit vom empirischen Naturzusammenhange. Fichte sand damit einen
Zugang zu Gott, der nicht weit ab von denen lag, die vor ihm Platon und
Spinoza gefunden hatten. Er war von keinem der beiden ausgegangen, aber
in den Resultaten kam er in ihre Nähe. Hingegen entfernt blieb er stets von
den Wegen seines Zeitgenossen Schleiermacher, weil dieser der Religion eine
ausgesprochen irrationale Grundlage gab. Deswegen ging er auch mit Jacobi
und Schelling nicht zusammen. Auf die alte Frage: Was muß ich tun, daß
ich selig werde? antwortet Fichte nicht mit einem Hinweis auf die verborgenen
Schätze des Gefühls in den Tiefen der Seele, sondern mit einem hellenisch¬
klaren: Lerne erkennen! Die meisten Beurteiler der deutschen Romantik be¬
tonen ihre Gefühlsseite und übersehen ihre logische Leistung. Mögen sie
Fichte studieren: in ihm ist der romantische Intellektualismus verkörpertI
Lerne erkennen, daß der Mensch von der Natur frei und darum fähig ist, sich
selbst einen Weg zur Seligkeit zu bahnen! Wie ein Sotmtiker in einem pla¬
tonischen Dialog bezeichnete Fichte abermals das Philosophieren gewissermaßen
als die notwendigste Lebensaufgabe des Menschen. Freilich ist Transzendental¬
philosophie noch keine Lebensweisheit, aber sie allein ist die notwendige Grund¬
lage dafür, in ihr allein können wir die Werte finden, die als Sterne über
unserm Leben leuchten sollen.

Von dieseni Standpunkt aus ist Fichte niemals zu einer gerechten Würdi¬
gung der empirischen Erkenntnisse gelangt. Sie hatten ja mit dem wahren
Wesen des Seins nichts zu tun, sie dienten nicht dem Einen, das allein not
tut. Wem die Erkenntnis zur Gnosis wird, d. h. zum Zugang zu Gott, der
ist immer leicht in Gefahr, sie als Zugang zur Welt nicht mehr recht ge¬
brauchen zu können. Fichte, dem seine Philosophie eine Heilsbotschaft war,


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[0275] Der Apostel des deutschen Idealismus Schon diese Wissenschaftslehre ist, wie Bergmann sagt, „in ihrem metaphysi¬ schen Kern mehr Theologie als Philosophie, sie ist Theosophie, Gotteswissen¬ schaftslehre. Und dies nicht erst nach 1800." Die neue Erkenntnistheorie, auf der sie aufgebaut war, war eben für Fichte eine Offenbarung, eine Er¬ lösung vom Determinismus, ein Evangelium der Freiheit vom Kausalzwang. Das Erlöfungsbedürfnis der Menschen ist verschieden. Fichte gehörte zu denen, die aus der Not ihres logischen Gewissens zu Gott kommen. Dieses hatte ihn gegen die innerste Stimme seiner Persönlichkeit unter einen lastenden Determinismus gebeugt, da er die Freiheit dieser Persönlichkeit theoretisch nicht zu rechtfertigen vermochte, bis er bei Kant dieß Lösung fand. Mit religiöser Leidenschaft aber hat Fichte die Transzendentalphilvsophie Kants erfaßt und sich mit der Kraft des befreit aufjauchzenden logischen Gewissens einen Weg zu Gott gebahnt. Auf dieser Grundlage konnte die Fichtesche Religion nur den einen Charakter gewinnen: den des idealistischen Rationalismus. Er¬ kenntnis muß hier der Weg zum wahren Leben sein, aber nur eine Erkenntnis, die von dem Fundamente der Freiheit des Ichs ausgeht. Damit stehen wir im Kernpunkte der Fichteschen Religionslehre: Erlösung durch Erkenntnis in der Freiheit vom empirischen Naturzusammenhange. Fichte sand damit einen Zugang zu Gott, der nicht weit ab von denen lag, die vor ihm Platon und Spinoza gefunden hatten. Er war von keinem der beiden ausgegangen, aber in den Resultaten kam er in ihre Nähe. Hingegen entfernt blieb er stets von den Wegen seines Zeitgenossen Schleiermacher, weil dieser der Religion eine ausgesprochen irrationale Grundlage gab. Deswegen ging er auch mit Jacobi und Schelling nicht zusammen. Auf die alte Frage: Was muß ich tun, daß ich selig werde? antwortet Fichte nicht mit einem Hinweis auf die verborgenen Schätze des Gefühls in den Tiefen der Seele, sondern mit einem hellenisch¬ klaren: Lerne erkennen! Die meisten Beurteiler der deutschen Romantik be¬ tonen ihre Gefühlsseite und übersehen ihre logische Leistung. Mögen sie Fichte studieren: in ihm ist der romantische Intellektualismus verkörpertI Lerne erkennen, daß der Mensch von der Natur frei und darum fähig ist, sich selbst einen Weg zur Seligkeit zu bahnen! Wie ein Sotmtiker in einem pla¬ tonischen Dialog bezeichnete Fichte abermals das Philosophieren gewissermaßen als die notwendigste Lebensaufgabe des Menschen. Freilich ist Transzendental¬ philosophie noch keine Lebensweisheit, aber sie allein ist die notwendige Grund¬ lage dafür, in ihr allein können wir die Werte finden, die als Sterne über unserm Leben leuchten sollen. Von dieseni Standpunkt aus ist Fichte niemals zu einer gerechten Würdi¬ gung der empirischen Erkenntnisse gelangt. Sie hatten ja mit dem wahren Wesen des Seins nichts zu tun, sie dienten nicht dem Einen, das allein not tut. Wem die Erkenntnis zur Gnosis wird, d. h. zum Zugang zu Gott, der ist immer leicht in Gefahr, sie als Zugang zur Welt nicht mehr recht ge¬ brauchen zu können. Fichte, dem seine Philosophie eine Heilsbotschaft war,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/275>, abgerufen am 28.07.2024.