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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Zur Reichsbuchlvoche <Y^6

Diese Reichsbuchwoche wird und soll eine Kraftprobe werden zwischen
Materialismus und Idealismus. Darin liegt ihre schwerwiegende und weit
über Tag und Monat hinausweisende Bedeutung.

Vor dem Kriege war unser Volk nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich
stark in die Abhängigkeit einer materialistischen Lebensanschaung geraten. Und
die Daheimgebliebenen, das muß leider festgestellt werden, verharren trotz eines
nun bald zweijährigen Krieges teilweise noch heute darin. Wir sehen das an dem
Klage- und Wehegeschrei über zu geringe Butter- und Fleischmengen und in
unliebsamster und schärfster Ausprägung an der verderblichen Energie der
Nahrun gsmittelh a after.

Die Schwierigkeiten, die vielen eine^Vereinfachung der Lebenshaltung ver¬
ursacht, sind ein charakteristisches Zeichen. Wessen Gott der Bauch solange
gewesen ist, dem wird es schwer, ihm nur noch soviel zu gewähren, wie ihm
für seine Tätigkeit als Organ von rechtswegen gebührt.

Diese Überschätzung des Materiellen ist auch in dem Inhalt der Liebes¬
gabenpakete scharf zutage getreten. Man hat unseren Feldgrauen reichlich
Nahrungsmittel gesandt, die gewiß nicht unterschätzt werden sollen, jetzt aber
teilweise infolge Verbots der Fleischausfuhr nicht mehr in Betracht kommen.
Man hat ihnen Pulswärmer, Handschuhe und andere Wollsachen geschickt. Die
haben uns den Sieg über das nebelfeuchte flandrische Seeklima, den Gebirgs-
schnee der Vogesen und den russischen Frost mit gewinnen helfen. Man hat
aber mehr geschickt als nötig war und dadurch anderen Zwecken Mittel entzogen.

Viele meinten und meinen heute noch: Wurst, Schokolade, Zigarren,
Limonadenpulver, Seifen, Wollsachen -- dann wären unsere Soldaten mit
allem versehen, was sie brauchen. Und sie würden mit dieser Ansicht auch recht
haben, wenn unsere Feldgrauen nur Maschinen, nur Körper wären.

Aber Körper gewinnen keine Schlachten. Das haben wir an den russischen
Massenheeren gesehen. Der Geist muß in ihnen sein. Was aber hat man in
den Liebesgabensendungen bisher für ihn getan? Für ihn, der doch erst das
Durchhalten ermöglicht, der Initiative, Mut, schnelle Entschlußfähigkeit in ver¬
zweifelten Momenten schafft, Eigenschaften, die der einfache Mann ebenso gut
wie der Führer haben muß, wenn ein Erfolg errungen werden soll!

Erschreckend wenig, so muß die Antwort auf diese Frage lauten, ist bisher
dafür getan worden. Und warum? Weil die Daheimgebliebenen noch allzu
tief im Materialismus steckten. Weil sie kein Verständnis dafür hatten, daß in
vielen ihrer Volksgenossen draußen im Felde eine Umwandlung erfolgt ist.

Vor dem Feinde ist nicht der Ort, seinen lieben Leib zu pflegen. Er muß
sich unterordnen unter höhere Ziele. Die Idee gewann Macht über die grobe
Materie. Sie nahm seit dem I.August 1914 wieder Besitz von ihrem Führer¬
platz in der Weltgeschichte.

Unter dieser Erkenntnis muß die Reichsbuchwoche 1916 stehen, wenn wir
Daheimgebliebenen uns nicht als rückständig erweisen wollen. Es ist erstaun-


Zur Reichsbuchlvoche <Y^6

Diese Reichsbuchwoche wird und soll eine Kraftprobe werden zwischen
Materialismus und Idealismus. Darin liegt ihre schwerwiegende und weit
über Tag und Monat hinausweisende Bedeutung.

Vor dem Kriege war unser Volk nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich
stark in die Abhängigkeit einer materialistischen Lebensanschaung geraten. Und
die Daheimgebliebenen, das muß leider festgestellt werden, verharren trotz eines
nun bald zweijährigen Krieges teilweise noch heute darin. Wir sehen das an dem
Klage- und Wehegeschrei über zu geringe Butter- und Fleischmengen und in
unliebsamster und schärfster Ausprägung an der verderblichen Energie der
Nahrun gsmittelh a after.

Die Schwierigkeiten, die vielen eine^Vereinfachung der Lebenshaltung ver¬
ursacht, sind ein charakteristisches Zeichen. Wessen Gott der Bauch solange
gewesen ist, dem wird es schwer, ihm nur noch soviel zu gewähren, wie ihm
für seine Tätigkeit als Organ von rechtswegen gebührt.

Diese Überschätzung des Materiellen ist auch in dem Inhalt der Liebes¬
gabenpakete scharf zutage getreten. Man hat unseren Feldgrauen reichlich
Nahrungsmittel gesandt, die gewiß nicht unterschätzt werden sollen, jetzt aber
teilweise infolge Verbots der Fleischausfuhr nicht mehr in Betracht kommen.
Man hat ihnen Pulswärmer, Handschuhe und andere Wollsachen geschickt. Die
haben uns den Sieg über das nebelfeuchte flandrische Seeklima, den Gebirgs-
schnee der Vogesen und den russischen Frost mit gewinnen helfen. Man hat
aber mehr geschickt als nötig war und dadurch anderen Zwecken Mittel entzogen.

Viele meinten und meinen heute noch: Wurst, Schokolade, Zigarren,
Limonadenpulver, Seifen, Wollsachen — dann wären unsere Soldaten mit
allem versehen, was sie brauchen. Und sie würden mit dieser Ansicht auch recht
haben, wenn unsere Feldgrauen nur Maschinen, nur Körper wären.

Aber Körper gewinnen keine Schlachten. Das haben wir an den russischen
Massenheeren gesehen. Der Geist muß in ihnen sein. Was aber hat man in
den Liebesgabensendungen bisher für ihn getan? Für ihn, der doch erst das
Durchhalten ermöglicht, der Initiative, Mut, schnelle Entschlußfähigkeit in ver¬
zweifelten Momenten schafft, Eigenschaften, die der einfache Mann ebenso gut
wie der Führer haben muß, wenn ein Erfolg errungen werden soll!

Erschreckend wenig, so muß die Antwort auf diese Frage lauten, ist bisher
dafür getan worden. Und warum? Weil die Daheimgebliebenen noch allzu
tief im Materialismus steckten. Weil sie kein Verständnis dafür hatten, daß in
vielen ihrer Volksgenossen draußen im Felde eine Umwandlung erfolgt ist.

Vor dem Feinde ist nicht der Ort, seinen lieben Leib zu pflegen. Er muß
sich unterordnen unter höhere Ziele. Die Idee gewann Macht über die grobe
Materie. Sie nahm seit dem I.August 1914 wieder Besitz von ihrem Führer¬
platz in der Weltgeschichte.

Unter dieser Erkenntnis muß die Reichsbuchwoche 1916 stehen, wenn wir
Daheimgebliebenen uns nicht als rückständig erweisen wollen. Es ist erstaun-


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[0264] Zur Reichsbuchlvoche <Y^6 Diese Reichsbuchwoche wird und soll eine Kraftprobe werden zwischen Materialismus und Idealismus. Darin liegt ihre schwerwiegende und weit über Tag und Monat hinausweisende Bedeutung. Vor dem Kriege war unser Volk nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich stark in die Abhängigkeit einer materialistischen Lebensanschaung geraten. Und die Daheimgebliebenen, das muß leider festgestellt werden, verharren trotz eines nun bald zweijährigen Krieges teilweise noch heute darin. Wir sehen das an dem Klage- und Wehegeschrei über zu geringe Butter- und Fleischmengen und in unliebsamster und schärfster Ausprägung an der verderblichen Energie der Nahrun gsmittelh a after. Die Schwierigkeiten, die vielen eine^Vereinfachung der Lebenshaltung ver¬ ursacht, sind ein charakteristisches Zeichen. Wessen Gott der Bauch solange gewesen ist, dem wird es schwer, ihm nur noch soviel zu gewähren, wie ihm für seine Tätigkeit als Organ von rechtswegen gebührt. Diese Überschätzung des Materiellen ist auch in dem Inhalt der Liebes¬ gabenpakete scharf zutage getreten. Man hat unseren Feldgrauen reichlich Nahrungsmittel gesandt, die gewiß nicht unterschätzt werden sollen, jetzt aber teilweise infolge Verbots der Fleischausfuhr nicht mehr in Betracht kommen. Man hat ihnen Pulswärmer, Handschuhe und andere Wollsachen geschickt. Die haben uns den Sieg über das nebelfeuchte flandrische Seeklima, den Gebirgs- schnee der Vogesen und den russischen Frost mit gewinnen helfen. Man hat aber mehr geschickt als nötig war und dadurch anderen Zwecken Mittel entzogen. Viele meinten und meinen heute noch: Wurst, Schokolade, Zigarren, Limonadenpulver, Seifen, Wollsachen — dann wären unsere Soldaten mit allem versehen, was sie brauchen. Und sie würden mit dieser Ansicht auch recht haben, wenn unsere Feldgrauen nur Maschinen, nur Körper wären. Aber Körper gewinnen keine Schlachten. Das haben wir an den russischen Massenheeren gesehen. Der Geist muß in ihnen sein. Was aber hat man in den Liebesgabensendungen bisher für ihn getan? Für ihn, der doch erst das Durchhalten ermöglicht, der Initiative, Mut, schnelle Entschlußfähigkeit in ver¬ zweifelten Momenten schafft, Eigenschaften, die der einfache Mann ebenso gut wie der Führer haben muß, wenn ein Erfolg errungen werden soll! Erschreckend wenig, so muß die Antwort auf diese Frage lauten, ist bisher dafür getan worden. Und warum? Weil die Daheimgebliebenen noch allzu tief im Materialismus steckten. Weil sie kein Verständnis dafür hatten, daß in vielen ihrer Volksgenossen draußen im Felde eine Umwandlung erfolgt ist. Vor dem Feinde ist nicht der Ort, seinen lieben Leib zu pflegen. Er muß sich unterordnen unter höhere Ziele. Die Idee gewann Macht über die grobe Materie. Sie nahm seit dem I.August 1914 wieder Besitz von ihrem Führer¬ platz in der Weltgeschichte. Unter dieser Erkenntnis muß die Reichsbuchwoche 1916 stehen, wenn wir Daheimgebliebenen uns nicht als rückständig erweisen wollen. Es ist erstaun-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/264>, abgerufen am 01.09.2024.