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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Wilhelm und Raroline von Humboldt in ihren Briefen

ist der Geist im ganzen, im allgemeinen, seine Einfachheit und seine Fülle,
seine Stärke und seine Zartheit, seine Natürlichkeit und seine Größe... Es ist
unglaublich, was dem Menschen entgeht, wenn ihm die Alten nicht nahe und
immer zugänglich sind. . . Man hat eine ganz andere Kraft, dem Schicksal zu
begegnen, und eine ganz andere Lust, ihm durch seine Höhen und Tiefen zu
folgen. Wem es fehlt, dem mangelt bald Zartheit, bald Freiheit." Vielen
sind diese Worte aus dem Herzen gesprochen, vielen aber auch der verständnisvoll
großzügige Schluß dieses Briefes, in welchem er die Ausbildung seines jüngsten
Sohnes mit der Gattin durchgesprochen hatte. "Man muß indes sehen. Der
Geist im Menschen kommt doch eigentlich immer zum gleichen Ziel, und ist ein
Weg versperrt, bildet er sich einen neuen."

Beide brauchten sich vor keiner öden Gegenwart in den Griechenhain zu
flüchten, ungewöhnlich abwechselungsreich war ihr Leben, mit den interessantesten
Menschen Europas haben sie verkehrt. Merkwürdig ist ihr Verhältnis zu Schiller
und Goethe; fast will es scheinen, als hätte damals bei vielen die heiße Liebe
zu Schiller, der Würdigung Goethes im Wege gestanden. Schiller stand ihnen
näher, über einige harte Beurteilungen Goethes muß man hinweglesen, ehe in
den letzten Bänden die endgültige Eroberung stattfindet, die wahre Bewunderung
sich zeigt.

Die Eheleute erzählen sich von ihren Besuchen und Begegnungen, von den
mannigfachen Vorkommnissen des Tages. Er, der Philologe und Politiker und
Gesandte beschreibt mit leichter Grazie seine Haushaltsführung. Daß er in den
Teuerungszeiten von 1809 sich nicht täglich den von ihm besonders geschätzten
aber zu kostspieligen Kaffeegenuß erlaubt, berührt heute eigen, auch wenn er
1826 erwähnt, daß das Pfund Kalbfleisch einen Silbergroschen kostet. Stolz
berichtet er, daß durch seine geschickte Anordnung der Musselin zu neuen Vor¬
hängen fast garnicht verschnitten wurde. Langeweile kennt er nicht, diese ist
ihm "im Grunde die einzige Empfindung, wofür ich keine Sympathie habe."
"Es geht mir mit den Lagen des Lebens, wie mit den Städten, ich liebe immer
die, in der ich bin." Gar manches mißfiel ihm am Hauptquartierleben, aber
"es ist mir unmöglich länger als eine halbe Stunde in einem Gefühl der Un¬
zufriedenheit mit einer äußeren Lage zu bleiben. Ich gewinne gleich mein
Gleichgewicht wieder, siebte mich an und bin wie immer." Nach einer Reihen¬
folge ärgerlicher Zufälligkeiten setzt er sich müde und hungrig "hin zu arbeiten,
und war nach einer Stunde Beschäftigung so heiter geworden, daß ich über alle
meine Unglücksfälle für mich lachte.. . . Glück ist mit Freude und Genuß so
wenig gleichbedeutend, daß es ja oft in Schmerz und Entbehrung gesucht und
empfunden wird, es hängt lange nicht so von den Dingen ab. denen man es
zuschreibt, als von der Kraft und der Neigung der Seele, sich aus seiner äußeren
Lage seine innere Bestimmung zu machen."

Am allerwenigsten war, selner Überzeugung nach, Glück mit der Jugend
verknüpft. Erst in späteren Jahren lerne man im "höheren Grade menschlich


Wilhelm und Raroline von Humboldt in ihren Briefen

ist der Geist im ganzen, im allgemeinen, seine Einfachheit und seine Fülle,
seine Stärke und seine Zartheit, seine Natürlichkeit und seine Größe... Es ist
unglaublich, was dem Menschen entgeht, wenn ihm die Alten nicht nahe und
immer zugänglich sind. . . Man hat eine ganz andere Kraft, dem Schicksal zu
begegnen, und eine ganz andere Lust, ihm durch seine Höhen und Tiefen zu
folgen. Wem es fehlt, dem mangelt bald Zartheit, bald Freiheit." Vielen
sind diese Worte aus dem Herzen gesprochen, vielen aber auch der verständnisvoll
großzügige Schluß dieses Briefes, in welchem er die Ausbildung seines jüngsten
Sohnes mit der Gattin durchgesprochen hatte. „Man muß indes sehen. Der
Geist im Menschen kommt doch eigentlich immer zum gleichen Ziel, und ist ein
Weg versperrt, bildet er sich einen neuen."

Beide brauchten sich vor keiner öden Gegenwart in den Griechenhain zu
flüchten, ungewöhnlich abwechselungsreich war ihr Leben, mit den interessantesten
Menschen Europas haben sie verkehrt. Merkwürdig ist ihr Verhältnis zu Schiller
und Goethe; fast will es scheinen, als hätte damals bei vielen die heiße Liebe
zu Schiller, der Würdigung Goethes im Wege gestanden. Schiller stand ihnen
näher, über einige harte Beurteilungen Goethes muß man hinweglesen, ehe in
den letzten Bänden die endgültige Eroberung stattfindet, die wahre Bewunderung
sich zeigt.

Die Eheleute erzählen sich von ihren Besuchen und Begegnungen, von den
mannigfachen Vorkommnissen des Tages. Er, der Philologe und Politiker und
Gesandte beschreibt mit leichter Grazie seine Haushaltsführung. Daß er in den
Teuerungszeiten von 1809 sich nicht täglich den von ihm besonders geschätzten
aber zu kostspieligen Kaffeegenuß erlaubt, berührt heute eigen, auch wenn er
1826 erwähnt, daß das Pfund Kalbfleisch einen Silbergroschen kostet. Stolz
berichtet er, daß durch seine geschickte Anordnung der Musselin zu neuen Vor¬
hängen fast garnicht verschnitten wurde. Langeweile kennt er nicht, diese ist
ihm „im Grunde die einzige Empfindung, wofür ich keine Sympathie habe."
„Es geht mir mit den Lagen des Lebens, wie mit den Städten, ich liebe immer
die, in der ich bin." Gar manches mißfiel ihm am Hauptquartierleben, aber
„es ist mir unmöglich länger als eine halbe Stunde in einem Gefühl der Un¬
zufriedenheit mit einer äußeren Lage zu bleiben. Ich gewinne gleich mein
Gleichgewicht wieder, siebte mich an und bin wie immer." Nach einer Reihen¬
folge ärgerlicher Zufälligkeiten setzt er sich müde und hungrig „hin zu arbeiten,
und war nach einer Stunde Beschäftigung so heiter geworden, daß ich über alle
meine Unglücksfälle für mich lachte.. . . Glück ist mit Freude und Genuß so
wenig gleichbedeutend, daß es ja oft in Schmerz und Entbehrung gesucht und
empfunden wird, es hängt lange nicht so von den Dingen ab. denen man es
zuschreibt, als von der Kraft und der Neigung der Seele, sich aus seiner äußeren
Lage seine innere Bestimmung zu machen."

Am allerwenigsten war, selner Überzeugung nach, Glück mit der Jugend
verknüpft. Erst in späteren Jahren lerne man im „höheren Grade menschlich


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[0260] Wilhelm und Raroline von Humboldt in ihren Briefen ist der Geist im ganzen, im allgemeinen, seine Einfachheit und seine Fülle, seine Stärke und seine Zartheit, seine Natürlichkeit und seine Größe... Es ist unglaublich, was dem Menschen entgeht, wenn ihm die Alten nicht nahe und immer zugänglich sind. . . Man hat eine ganz andere Kraft, dem Schicksal zu begegnen, und eine ganz andere Lust, ihm durch seine Höhen und Tiefen zu folgen. Wem es fehlt, dem mangelt bald Zartheit, bald Freiheit." Vielen sind diese Worte aus dem Herzen gesprochen, vielen aber auch der verständnisvoll großzügige Schluß dieses Briefes, in welchem er die Ausbildung seines jüngsten Sohnes mit der Gattin durchgesprochen hatte. „Man muß indes sehen. Der Geist im Menschen kommt doch eigentlich immer zum gleichen Ziel, und ist ein Weg versperrt, bildet er sich einen neuen." Beide brauchten sich vor keiner öden Gegenwart in den Griechenhain zu flüchten, ungewöhnlich abwechselungsreich war ihr Leben, mit den interessantesten Menschen Europas haben sie verkehrt. Merkwürdig ist ihr Verhältnis zu Schiller und Goethe; fast will es scheinen, als hätte damals bei vielen die heiße Liebe zu Schiller, der Würdigung Goethes im Wege gestanden. Schiller stand ihnen näher, über einige harte Beurteilungen Goethes muß man hinweglesen, ehe in den letzten Bänden die endgültige Eroberung stattfindet, die wahre Bewunderung sich zeigt. Die Eheleute erzählen sich von ihren Besuchen und Begegnungen, von den mannigfachen Vorkommnissen des Tages. Er, der Philologe und Politiker und Gesandte beschreibt mit leichter Grazie seine Haushaltsführung. Daß er in den Teuerungszeiten von 1809 sich nicht täglich den von ihm besonders geschätzten aber zu kostspieligen Kaffeegenuß erlaubt, berührt heute eigen, auch wenn er 1826 erwähnt, daß das Pfund Kalbfleisch einen Silbergroschen kostet. Stolz berichtet er, daß durch seine geschickte Anordnung der Musselin zu neuen Vor¬ hängen fast garnicht verschnitten wurde. Langeweile kennt er nicht, diese ist ihm „im Grunde die einzige Empfindung, wofür ich keine Sympathie habe." „Es geht mir mit den Lagen des Lebens, wie mit den Städten, ich liebe immer die, in der ich bin." Gar manches mißfiel ihm am Hauptquartierleben, aber „es ist mir unmöglich länger als eine halbe Stunde in einem Gefühl der Un¬ zufriedenheit mit einer äußeren Lage zu bleiben. Ich gewinne gleich mein Gleichgewicht wieder, siebte mich an und bin wie immer." Nach einer Reihen¬ folge ärgerlicher Zufälligkeiten setzt er sich müde und hungrig „hin zu arbeiten, und war nach einer Stunde Beschäftigung so heiter geworden, daß ich über alle meine Unglücksfälle für mich lachte.. . . Glück ist mit Freude und Genuß so wenig gleichbedeutend, daß es ja oft in Schmerz und Entbehrung gesucht und empfunden wird, es hängt lange nicht so von den Dingen ab. denen man es zuschreibt, als von der Kraft und der Neigung der Seele, sich aus seiner äußeren Lage seine innere Bestimmung zu machen." Am allerwenigsten war, selner Überzeugung nach, Glück mit der Jugend verknüpft. Erst in späteren Jahren lerne man im „höheren Grade menschlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/260>, abgerufen am 28.07.2024.