Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.Wilhelm und Aaroline von Humboldt in ihren Briefen selten. "Schreibt man jetzt einen einzigen Brief ohne dies? Ich will nicht Zweifellos lagen ihm abgeklärte Höhen der Gedanken- und Schönheitswelt Wilhelm und Aaroline von Humboldt in ihren Briefen selten. „Schreibt man jetzt einen einzigen Brief ohne dies? Ich will nicht Zweifellos lagen ihm abgeklärte Höhen der Gedanken- und Schönheitswelt <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0259" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/330359"/> <fw type="header" place="top"> Wilhelm und Aaroline von Humboldt in ihren Briefen</fw><lb/> <p xml:id="ID_947" prev="#ID_946"> selten. „Schreibt man jetzt einen einzigen Brief ohne dies? Ich will nicht<lb/> behaupten, ob es besser ist, jetzt oder damals. Damals sah man alles, was<lb/> daheim einschlug, als Geschäfte an, die vom wissenschaftlichen Leben getrennt<lb/> waren und es nur gestört haben würden. Jetzt glaubt man, daß der Mensch<lb/> nicht seine wahre Vollendung, seinen eigentlichen Wert haben kann, wenn er<lb/> nicht, in welcher Lage er sei, lebhaften Anteil an allem nimmt, was im Staate<lb/> vorgeht. Wissenschaft und Literatur, auch der denkende Geist in der Nation<lb/> gewannen bei jenem. . . Allerdings mag die Zeit etwas anderes fordern, und<lb/> der Charakter der Nation jetzt gewonnen haben und für die Wissenschaft die<lb/> Frucht nachkommen. Wenigstens kann man den Strom jetzt nicht aufhalten<lb/> und man muß nur die gehörigen Mittel finden, ihn würdig zu leiten." Will<lb/> man politische Betätigung „eine bloße Eitelkeit nennen, was es doch nicht<lb/> einmal ganz ist, so ist es immer eine der edelsten, Einfluß auf den National-<lb/> anteil an der Regierung zu haben." Aus England schreibt er anerkennend<lb/> über die „zu einem Naturwerk gewordenen" Einrichtungen, glaubt daher, daß<lb/> in Deutschland nur Bodenständiges sich halten würde. Seine politischen Grund¬<lb/> sätze sprechen sich wohl in folgenden Worten aus: „Wenn man nur überhaupt<lb/> recht festhält — das Gute, was noch vorhanden ist und was auch neu auf¬<lb/> taucht, zu hegen, zu beschützen, nicht gleich die Dinge zu verachten und zu<lb/> schelten, weil sie auch etwas Lächerliches, schiefes, selbst ganz und gar Tadeins-<lb/> würdiges an sich tragen, sondern sich zu bemühen, dies zu vertilgen, ohne sich<lb/> darum des Mitverbundenen, Guten zu berauben — so muß es gehen." Und<lb/> wiederum — „Glaube mir, teure Li, es gibt nur zwei gute und wohltätige<lb/> Potenzen in der Welt: Gott und das Volk. Was in der Mitte ist, taugt reinweg<lb/> nichts, und wir selbst nur insofern, als wir uns dem Volke nahestellen."</p><lb/> <p xml:id="ID_948" next="#ID_949"> Zweifellos lagen ihm abgeklärte Höhen der Gedanken- und Schönheitswelt<lb/> immerhin näher, als die Kampfebenen der Politik. „Man ist - ein anderer<lb/> Menfch, wenn man aus der Tragödie kommt. . . geht doch das Große so<lb/> lebendig an einem vorüber. Das Schauspiel, würdig'und ruhig genossen,<lb/> bleibt doch das edelste aller Vergnügen." Von einer der Elgin-Statuen aus¬<lb/> gehend, entwickelt er, teilweise im Gegensatz zu Winckelmann, sehr fein die<lb/> Idealität des strengen Stils. Selbst bei anscheinend „steifer, eckiger Zeichnung"<lb/> wird das Höchste erreicht durch die „Eurythmen der Umrisse" in einer „ganz<lb/> individuellen Figur." Am wohlsten hat er in der klassischen Vergangenheit ge¬<lb/> atmet. Im Wirrwarr des Pariser Lebens, von Königen und Kanzlern um¬<lb/> geben, bewahrt er sich alle Morgen eine halbe Stunde für feine Griechen,<lb/> „habe ich für nichts Zeit, so sage ich mir einige Verse aus dem Homer". Von<lb/> dem Grauen der Leipziger Schlacht erholt er sich an seiner Übersetzung des<lb/> Agamemmnon. „Waren es auch nur ein paar Verse, es macht den Geist<lb/> frei... Es haben gewiß viele Menschen Freude am Altertum, und selbst<lb/> leidenschaftlichste Neigung dazu. Aber mit allem Verlangen, Gedanken und<lb/> Gesinnungen darin leben wie ich, tut schwerlich sonst jemand auf Erden ... Es</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0259]
Wilhelm und Aaroline von Humboldt in ihren Briefen
selten. „Schreibt man jetzt einen einzigen Brief ohne dies? Ich will nicht
behaupten, ob es besser ist, jetzt oder damals. Damals sah man alles, was
daheim einschlug, als Geschäfte an, die vom wissenschaftlichen Leben getrennt
waren und es nur gestört haben würden. Jetzt glaubt man, daß der Mensch
nicht seine wahre Vollendung, seinen eigentlichen Wert haben kann, wenn er
nicht, in welcher Lage er sei, lebhaften Anteil an allem nimmt, was im Staate
vorgeht. Wissenschaft und Literatur, auch der denkende Geist in der Nation
gewannen bei jenem. . . Allerdings mag die Zeit etwas anderes fordern, und
der Charakter der Nation jetzt gewonnen haben und für die Wissenschaft die
Frucht nachkommen. Wenigstens kann man den Strom jetzt nicht aufhalten
und man muß nur die gehörigen Mittel finden, ihn würdig zu leiten." Will
man politische Betätigung „eine bloße Eitelkeit nennen, was es doch nicht
einmal ganz ist, so ist es immer eine der edelsten, Einfluß auf den National-
anteil an der Regierung zu haben." Aus England schreibt er anerkennend
über die „zu einem Naturwerk gewordenen" Einrichtungen, glaubt daher, daß
in Deutschland nur Bodenständiges sich halten würde. Seine politischen Grund¬
sätze sprechen sich wohl in folgenden Worten aus: „Wenn man nur überhaupt
recht festhält — das Gute, was noch vorhanden ist und was auch neu auf¬
taucht, zu hegen, zu beschützen, nicht gleich die Dinge zu verachten und zu
schelten, weil sie auch etwas Lächerliches, schiefes, selbst ganz und gar Tadeins-
würdiges an sich tragen, sondern sich zu bemühen, dies zu vertilgen, ohne sich
darum des Mitverbundenen, Guten zu berauben — so muß es gehen." Und
wiederum — „Glaube mir, teure Li, es gibt nur zwei gute und wohltätige
Potenzen in der Welt: Gott und das Volk. Was in der Mitte ist, taugt reinweg
nichts, und wir selbst nur insofern, als wir uns dem Volke nahestellen."
Zweifellos lagen ihm abgeklärte Höhen der Gedanken- und Schönheitswelt
immerhin näher, als die Kampfebenen der Politik. „Man ist - ein anderer
Menfch, wenn man aus der Tragödie kommt. . . geht doch das Große so
lebendig an einem vorüber. Das Schauspiel, würdig'und ruhig genossen,
bleibt doch das edelste aller Vergnügen." Von einer der Elgin-Statuen aus¬
gehend, entwickelt er, teilweise im Gegensatz zu Winckelmann, sehr fein die
Idealität des strengen Stils. Selbst bei anscheinend „steifer, eckiger Zeichnung"
wird das Höchste erreicht durch die „Eurythmen der Umrisse" in einer „ganz
individuellen Figur." Am wohlsten hat er in der klassischen Vergangenheit ge¬
atmet. Im Wirrwarr des Pariser Lebens, von Königen und Kanzlern um¬
geben, bewahrt er sich alle Morgen eine halbe Stunde für feine Griechen,
„habe ich für nichts Zeit, so sage ich mir einige Verse aus dem Homer". Von
dem Grauen der Leipziger Schlacht erholt er sich an seiner Übersetzung des
Agamemmnon. „Waren es auch nur ein paar Verse, es macht den Geist
frei... Es haben gewiß viele Menschen Freude am Altertum, und selbst
leidenschaftlichste Neigung dazu. Aber mit allem Verlangen, Gedanken und
Gesinnungen darin leben wie ich, tut schwerlich sonst jemand auf Erden ... Es
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