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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Wilhelm und Karoline von Humboldt in ihren Briefen

leben ... der Umgang mit Schlabrendorff und die ganze mannigfache Welt
um Dich werden Dich aufs neue beleben ... und ich beschwöre Dich, genieße
so recht nach Lust und ohne Dich einzuschränken." Karoline war damals eine
noch junge Frau, Graf Schlabrendorff war ein Vierundfünfziger, war ihr naher
Freund; aus ihrem Brief an den Gatten geht hervor, daß Schlabrendorff sie
umarmte und duzte. Er war keineswegs ihr einziger Freund, und auch Hum¬
boldt schätzte sentimentalen Umgang mit Frauen. Kann man sich über das
Urteil der Menge wundern?

Wahrscheinlich wußten sie, was man sagte, warum jedoch sollte jedermann
ihr Innerstes begreifen? "Ein inneres, unerkanntes Leben," schreibt Wilhelm,
"ist unendlich verführerisch... in vielen Dingen bin ich durchaus anders als
ich erscheine. Je unumschränkter diese Gefühle die Seele beherrschen, desto mehr
scheuen sie sich zu zeigen ... sie sind mächtiger und zarter, wenn sie einsam
sind. Ich habe mich nie darum bekümmert, selbst die falschesten Urteile über
mich zu widerlegen." Er ging aber noch weiter; er ließ sich durch die
nicht nur Alexander nachgesagte, sarkastische "Humboldtsche Ader" verleiten,
Zynisches leicht hinzureden. Aus seinen berühmten Briefen an eine Freundin
geht die Güte, die Treue seiner Teilnahme am Schicksal der Charlotte Diebe
doch gewiß klar hervor, dabei ließ er es nicht an Worten bewenden, gewährte
ihr in der zartfühlendsten Form bis an sein Lebensende eine verhältnismäßig
hohe Rente. Und doch hat er spöttelnd sich über ihre "ihn langweilenden"
Briefe beschwert! Auf solche abwehrende, sein inneres Leben verhüllende,
vermutlich von ihm überaus belanglos erachtete Äußerungen scheinen die noch
heute umlaufenden Gerüchte zurückzugehen.

Die besondere Zartheit und Tiefe seiner Frauenwürdigung beruhte auf
innerster Überzeugung: "Seit ich denken kann, hat mich dies gegenseitige Walten
und Einwirken des Mannes und der Frau beschäftigt." Die Frau vermöge
den Streit der Empfindungen und der Wirklichkeit nicht aufzuheben, aber doch
mehr zu edeln, "die Frauen vertiefen sich viel schöner im einsamen Sein. . . .
Ich bin überzeugt, daß die Macht, die Frauen ausüben, unendlich größer ist,
als die, welche von Männern ausgeht. Ohne zu wollen, prägen Frauen in
allen Verhältnissen die Gemüter nach sich um. . . . Das stille Dasein der Frauen
webt Glück und Unglück um die Männer und Kinder. . . . Nur dem weiblichen
Gemüt wurde der Genuß, sich als Teil der schaffenden, lebendig wirkenden Natur
zu fühlen, auf eine dunkle, aber mächtig empfundene Weise zusammenzuschmelzen."

War Humboldt in ungewöhnlichem Maß befähigt, den Feinheiten der weib¬
lichen Seele nachzugehen, wurde ihm auch eine einzigartige Frau zuteil. Nie
vorher, nie nachher hat es in Deutschland einen ähnlichen Reichtum an bedeu¬
tenden Frauen gegeben, und in dieser Reihe wird von vielen Karoline von Hum¬
boldt die erste Stelle angewiesen. Da stört kein unruhiges, selbstbewußtes
Heistesspielen, keine Mißachtung geschmackvoller Formen, kein Verzicht auf tief
innerlich berechtigte Alltagspflichten. Karoline treibt Griechisch, sie hat eine


Wilhelm und Karoline von Humboldt in ihren Briefen

leben ... der Umgang mit Schlabrendorff und die ganze mannigfache Welt
um Dich werden Dich aufs neue beleben ... und ich beschwöre Dich, genieße
so recht nach Lust und ohne Dich einzuschränken." Karoline war damals eine
noch junge Frau, Graf Schlabrendorff war ein Vierundfünfziger, war ihr naher
Freund; aus ihrem Brief an den Gatten geht hervor, daß Schlabrendorff sie
umarmte und duzte. Er war keineswegs ihr einziger Freund, und auch Hum¬
boldt schätzte sentimentalen Umgang mit Frauen. Kann man sich über das
Urteil der Menge wundern?

Wahrscheinlich wußten sie, was man sagte, warum jedoch sollte jedermann
ihr Innerstes begreifen? „Ein inneres, unerkanntes Leben," schreibt Wilhelm,
„ist unendlich verführerisch... in vielen Dingen bin ich durchaus anders als
ich erscheine. Je unumschränkter diese Gefühle die Seele beherrschen, desto mehr
scheuen sie sich zu zeigen ... sie sind mächtiger und zarter, wenn sie einsam
sind. Ich habe mich nie darum bekümmert, selbst die falschesten Urteile über
mich zu widerlegen." Er ging aber noch weiter; er ließ sich durch die
nicht nur Alexander nachgesagte, sarkastische „Humboldtsche Ader" verleiten,
Zynisches leicht hinzureden. Aus seinen berühmten Briefen an eine Freundin
geht die Güte, die Treue seiner Teilnahme am Schicksal der Charlotte Diebe
doch gewiß klar hervor, dabei ließ er es nicht an Worten bewenden, gewährte
ihr in der zartfühlendsten Form bis an sein Lebensende eine verhältnismäßig
hohe Rente. Und doch hat er spöttelnd sich über ihre „ihn langweilenden"
Briefe beschwert! Auf solche abwehrende, sein inneres Leben verhüllende,
vermutlich von ihm überaus belanglos erachtete Äußerungen scheinen die noch
heute umlaufenden Gerüchte zurückzugehen.

Die besondere Zartheit und Tiefe seiner Frauenwürdigung beruhte auf
innerster Überzeugung: „Seit ich denken kann, hat mich dies gegenseitige Walten
und Einwirken des Mannes und der Frau beschäftigt." Die Frau vermöge
den Streit der Empfindungen und der Wirklichkeit nicht aufzuheben, aber doch
mehr zu edeln, „die Frauen vertiefen sich viel schöner im einsamen Sein. . . .
Ich bin überzeugt, daß die Macht, die Frauen ausüben, unendlich größer ist,
als die, welche von Männern ausgeht. Ohne zu wollen, prägen Frauen in
allen Verhältnissen die Gemüter nach sich um. . . . Das stille Dasein der Frauen
webt Glück und Unglück um die Männer und Kinder. . . . Nur dem weiblichen
Gemüt wurde der Genuß, sich als Teil der schaffenden, lebendig wirkenden Natur
zu fühlen, auf eine dunkle, aber mächtig empfundene Weise zusammenzuschmelzen."

War Humboldt in ungewöhnlichem Maß befähigt, den Feinheiten der weib¬
lichen Seele nachzugehen, wurde ihm auch eine einzigartige Frau zuteil. Nie
vorher, nie nachher hat es in Deutschland einen ähnlichen Reichtum an bedeu¬
tenden Frauen gegeben, und in dieser Reihe wird von vielen Karoline von Hum¬
boldt die erste Stelle angewiesen. Da stört kein unruhiges, selbstbewußtes
Heistesspielen, keine Mißachtung geschmackvoller Formen, kein Verzicht auf tief
innerlich berechtigte Alltagspflichten. Karoline treibt Griechisch, sie hat eine


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[0257] Wilhelm und Karoline von Humboldt in ihren Briefen leben ... der Umgang mit Schlabrendorff und die ganze mannigfache Welt um Dich werden Dich aufs neue beleben ... und ich beschwöre Dich, genieße so recht nach Lust und ohne Dich einzuschränken." Karoline war damals eine noch junge Frau, Graf Schlabrendorff war ein Vierundfünfziger, war ihr naher Freund; aus ihrem Brief an den Gatten geht hervor, daß Schlabrendorff sie umarmte und duzte. Er war keineswegs ihr einziger Freund, und auch Hum¬ boldt schätzte sentimentalen Umgang mit Frauen. Kann man sich über das Urteil der Menge wundern? Wahrscheinlich wußten sie, was man sagte, warum jedoch sollte jedermann ihr Innerstes begreifen? „Ein inneres, unerkanntes Leben," schreibt Wilhelm, „ist unendlich verführerisch... in vielen Dingen bin ich durchaus anders als ich erscheine. Je unumschränkter diese Gefühle die Seele beherrschen, desto mehr scheuen sie sich zu zeigen ... sie sind mächtiger und zarter, wenn sie einsam sind. Ich habe mich nie darum bekümmert, selbst die falschesten Urteile über mich zu widerlegen." Er ging aber noch weiter; er ließ sich durch die nicht nur Alexander nachgesagte, sarkastische „Humboldtsche Ader" verleiten, Zynisches leicht hinzureden. Aus seinen berühmten Briefen an eine Freundin geht die Güte, die Treue seiner Teilnahme am Schicksal der Charlotte Diebe doch gewiß klar hervor, dabei ließ er es nicht an Worten bewenden, gewährte ihr in der zartfühlendsten Form bis an sein Lebensende eine verhältnismäßig hohe Rente. Und doch hat er spöttelnd sich über ihre „ihn langweilenden" Briefe beschwert! Auf solche abwehrende, sein inneres Leben verhüllende, vermutlich von ihm überaus belanglos erachtete Äußerungen scheinen die noch heute umlaufenden Gerüchte zurückzugehen. Die besondere Zartheit und Tiefe seiner Frauenwürdigung beruhte auf innerster Überzeugung: „Seit ich denken kann, hat mich dies gegenseitige Walten und Einwirken des Mannes und der Frau beschäftigt." Die Frau vermöge den Streit der Empfindungen und der Wirklichkeit nicht aufzuheben, aber doch mehr zu edeln, „die Frauen vertiefen sich viel schöner im einsamen Sein. . . . Ich bin überzeugt, daß die Macht, die Frauen ausüben, unendlich größer ist, als die, welche von Männern ausgeht. Ohne zu wollen, prägen Frauen in allen Verhältnissen die Gemüter nach sich um. . . . Das stille Dasein der Frauen webt Glück und Unglück um die Männer und Kinder. . . . Nur dem weiblichen Gemüt wurde der Genuß, sich als Teil der schaffenden, lebendig wirkenden Natur zu fühlen, auf eine dunkle, aber mächtig empfundene Weise zusammenzuschmelzen." War Humboldt in ungewöhnlichem Maß befähigt, den Feinheiten der weib¬ lichen Seele nachzugehen, wurde ihm auch eine einzigartige Frau zuteil. Nie vorher, nie nachher hat es in Deutschland einen ähnlichen Reichtum an bedeu¬ tenden Frauen gegeben, und in dieser Reihe wird von vielen Karoline von Hum¬ boldt die erste Stelle angewiesen. Da stört kein unruhiges, selbstbewußtes Heistesspielen, keine Mißachtung geschmackvoller Formen, kein Verzicht auf tief innerlich berechtigte Alltagspflichten. Karoline treibt Griechisch, sie hat eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/257>, abgerufen am 23.12.2024.