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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Die Rnegslyrik der deutschen Arbeiter

Dem Soldatenleben im Felde und der Kameradschaftlichkeit sind viele
Gedichte zugedacht. Das Mitgefühl für alles, was des Menschen Herz beim
Anblick verwundeter Kämpfer bewegt, der Ernst jeder Lebensstunde angesichts
des Feindes, die unerschütterliche Pflichterfüllung, die jede Spanne Zeit im Kriegs¬
leben draußen in Feindesland erfordert, sind in den meisten Brögerschen
Gedichten veranschaulicht. Es ist ein besonnener, gereifter Charakter, der zu
uns spricht. Nicht in tönenden Phrasen, die schwungvoll das Leben preisen.
Ein gewisses schwermütiges Atmen geht durch seine Worte. Man fühlt die
gewaltige Zeit, die jeden einzelnen vor dem Feinde mit dem Einsatz feines
Lebens zum Mitkämpfer für den großen heiligen Kampf des deutschen Vater¬
landes macht. So sind auch darum diese Gedichte zu werten, als die eines
schlichten Mannes aus dem Volke, der für sein eigenes Dasein, für Heim und
Herd kämpft. Die Sehnsucht nach Weib und Kind ringt ihm die Worte ab:

Das letzte Gedicht in seiner Sammlung ist seinen Söhnen gewidniet.
Heute noch Kinder, sollen sie einst die Früchte der blutigen Saaten ernten
lernen; darum wünscht er ihnen: "Werdet mir zu den Vätern einer neuen
Zeit". Ein Lied frohbewegten Soldatenlebens werden wir in Brögers Ge¬
dichten vergeblich suchen. Eindrucksvolle Schilderungen selbst erlebter Kampf¬
tage, Stimmungen vor und nach dem Kampfe, das wollen uns diese Dichtungen
bedeuten. Sie lehren uns, wie gewaltig die Eindrücke sind, die jeder unserer
Kämpfer täglich in Feindesland erlebt.

Max Barthel nimmt als Knegslyriker eine Sonderstellung ein. In den
Argonnen hat er als Musketier dem Feinde gewehrt; vor dem Kriege ein Arbeiter
wie Tausend seinesgleichen, nur mit dem Unterschiede, daß ihn unablässiges
Streben nach schöngeistigen Leben einzig froh machen konnte. Bis nach Rom
hat ihn sein Wandern geführt und in vollen Zügen hat er die Schönheit der
Welt genossen. So hat er mehr als hundert andere, die am Born des
Wissens sich von Jugend an laben konnten, ein Leben in Schönheit gelebt,
immer bestrebt, sich geistige Freiheit zu schaffen und immer bemüht, ein
Eigener zu werden, wenn auch seiner Hände Arbeit für den Lebensbedarf
sorgen mußten. Sein starker Wille und feine geistige Schaffens- und Schaums-


Die Rnegslyrik der deutschen Arbeiter

Dem Soldatenleben im Felde und der Kameradschaftlichkeit sind viele
Gedichte zugedacht. Das Mitgefühl für alles, was des Menschen Herz beim
Anblick verwundeter Kämpfer bewegt, der Ernst jeder Lebensstunde angesichts
des Feindes, die unerschütterliche Pflichterfüllung, die jede Spanne Zeit im Kriegs¬
leben draußen in Feindesland erfordert, sind in den meisten Brögerschen
Gedichten veranschaulicht. Es ist ein besonnener, gereifter Charakter, der zu
uns spricht. Nicht in tönenden Phrasen, die schwungvoll das Leben preisen.
Ein gewisses schwermütiges Atmen geht durch seine Worte. Man fühlt die
gewaltige Zeit, die jeden einzelnen vor dem Feinde mit dem Einsatz feines
Lebens zum Mitkämpfer für den großen heiligen Kampf des deutschen Vater¬
landes macht. So sind auch darum diese Gedichte zu werten, als die eines
schlichten Mannes aus dem Volke, der für sein eigenes Dasein, für Heim und
Herd kämpft. Die Sehnsucht nach Weib und Kind ringt ihm die Worte ab:

Das letzte Gedicht in seiner Sammlung ist seinen Söhnen gewidniet.
Heute noch Kinder, sollen sie einst die Früchte der blutigen Saaten ernten
lernen; darum wünscht er ihnen: „Werdet mir zu den Vätern einer neuen
Zeit". Ein Lied frohbewegten Soldatenlebens werden wir in Brögers Ge¬
dichten vergeblich suchen. Eindrucksvolle Schilderungen selbst erlebter Kampf¬
tage, Stimmungen vor und nach dem Kampfe, das wollen uns diese Dichtungen
bedeuten. Sie lehren uns, wie gewaltig die Eindrücke sind, die jeder unserer
Kämpfer täglich in Feindesland erlebt.

Max Barthel nimmt als Knegslyriker eine Sonderstellung ein. In den
Argonnen hat er als Musketier dem Feinde gewehrt; vor dem Kriege ein Arbeiter
wie Tausend seinesgleichen, nur mit dem Unterschiede, daß ihn unablässiges
Streben nach schöngeistigen Leben einzig froh machen konnte. Bis nach Rom
hat ihn sein Wandern geführt und in vollen Zügen hat er die Schönheit der
Welt genossen. So hat er mehr als hundert andere, die am Born des
Wissens sich von Jugend an laben konnten, ein Leben in Schönheit gelebt,
immer bestrebt, sich geistige Freiheit zu schaffen und immer bemüht, ein
Eigener zu werden, wenn auch seiner Hände Arbeit für den Lebensbedarf
sorgen mußten. Sein starker Wille und feine geistige Schaffens- und Schaums-


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[0231] Die Rnegslyrik der deutschen Arbeiter Dem Soldatenleben im Felde und der Kameradschaftlichkeit sind viele Gedichte zugedacht. Das Mitgefühl für alles, was des Menschen Herz beim Anblick verwundeter Kämpfer bewegt, der Ernst jeder Lebensstunde angesichts des Feindes, die unerschütterliche Pflichterfüllung, die jede Spanne Zeit im Kriegs¬ leben draußen in Feindesland erfordert, sind in den meisten Brögerschen Gedichten veranschaulicht. Es ist ein besonnener, gereifter Charakter, der zu uns spricht. Nicht in tönenden Phrasen, die schwungvoll das Leben preisen. Ein gewisses schwermütiges Atmen geht durch seine Worte. Man fühlt die gewaltige Zeit, die jeden einzelnen vor dem Feinde mit dem Einsatz feines Lebens zum Mitkämpfer für den großen heiligen Kampf des deutschen Vater¬ landes macht. So sind auch darum diese Gedichte zu werten, als die eines schlichten Mannes aus dem Volke, der für sein eigenes Dasein, für Heim und Herd kämpft. Die Sehnsucht nach Weib und Kind ringt ihm die Worte ab: Das letzte Gedicht in seiner Sammlung ist seinen Söhnen gewidniet. Heute noch Kinder, sollen sie einst die Früchte der blutigen Saaten ernten lernen; darum wünscht er ihnen: „Werdet mir zu den Vätern einer neuen Zeit". Ein Lied frohbewegten Soldatenlebens werden wir in Brögers Ge¬ dichten vergeblich suchen. Eindrucksvolle Schilderungen selbst erlebter Kampf¬ tage, Stimmungen vor und nach dem Kampfe, das wollen uns diese Dichtungen bedeuten. Sie lehren uns, wie gewaltig die Eindrücke sind, die jeder unserer Kämpfer täglich in Feindesland erlebt. Max Barthel nimmt als Knegslyriker eine Sonderstellung ein. In den Argonnen hat er als Musketier dem Feinde gewehrt; vor dem Kriege ein Arbeiter wie Tausend seinesgleichen, nur mit dem Unterschiede, daß ihn unablässiges Streben nach schöngeistigen Leben einzig froh machen konnte. Bis nach Rom hat ihn sein Wandern geführt und in vollen Zügen hat er die Schönheit der Welt genossen. So hat er mehr als hundert andere, die am Born des Wissens sich von Jugend an laben konnten, ein Leben in Schönheit gelebt, immer bestrebt, sich geistige Freiheit zu schaffen und immer bemüht, ein Eigener zu werden, wenn auch seiner Hände Arbeit für den Lebensbedarf sorgen mußten. Sein starker Wille und feine geistige Schaffens- und Schaums-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/231>, abgerufen am 28.07.2024.