Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Ueber Heereszahlen alter und neuer Zeit

Im Bürgerkriege hatte er weniger, bei Pharsalus z. B. etwa 32000 Mann.
Wahrscheinlich die größten Heere, die das Altertum sah, und die bis an die
Schwelle der neuesten Zeit wohl kaum übertroffen wurden, nämlich etwa
100000 Mann auf jeder Seite, kämpften 42 v. Chr. in der Doppelschlacht bei
Philippi gegeneinander. Ebenso hoch wird, ohne den ungewöhnlich zahlreichen
Troß, das Heer veranschlagt, das Antonius sechs Jahre später mit schmählichem
Mißerfolg gegen die Parther führte. Das ganze stehende Heer Roms im ersten
Jahrhundert der Kaiserzeit darf man vielleicht auf ungefähr 350000 Mann
schätzen; aber diese waren über die ganze damalige Kulturwelt verteilt. An
der gefährdetsten Grenze, gegen die Germanen am Rhein und an der Donau,
werden weniger als 100000 Mann gelegen haben.

Erst die neueste Zeit steigerte die Mittel und die organisatorischen Fähig¬
keiten der Völker und Heerführer soweit, daß man Hunderttausende und schließlich
Millionen als einheitliche Heereskörper zu bewegen und zu verpflegen vermochte.
Nach zweifellos sehr beachtlicher Anfängen auf dem vom antiken Kriegswesen
erreichten Höhepunkt brachte eigentlich doch erst die Zeit nach der französischen
Resolution, genauer die napoleonische Zeit der Welt die Massenheere. "Aus
den Pöbelhaufen wurden unter dem Druck der äußeren Gefahren für das Vater¬
land die Bürgerheere mit höheren Aufgaben als Mord und Plünderung, und
in jener aufgeregten Zeit wurde der Grund nicht nur zum modernen Frankreich,
sondern auch zum modernen Militarismus gelegt. An die Stelle der Berufs¬
heere, mit denen Ludwig der Vierzehnte und Friedrich der Große ihre Kriege
geführt hatten, traten die Hunderttausende des Volksaufgebots, die sich anschickten,
mit der Gewalt der Waffen die neue Losung des französischen Patriotismus,
libertö, hallte et fratemitö, allerdings zum verschiedenen Heil für die unter¬
worfenen Völker, über Europa auszubreiten. Der Militarismus der allgemeinen
Wehrpflicht, die das ganze Volk umfaßt, wurde im levöe en ma88e des
Jacobiners Carnot geboren und in den gewaltsamen Eroberungskriegen
Napoleons großgezogen... Die Unterdrückung durch Napoleon wurde durch
die eignen Waffen der Revolution beseitigt: durch Volksheere, die die nationale
Idee zusammenschweißte." (Schwedische Stimmen zum Weltkrieg. Übersetzt von
Fr. Stieve, Leipzig, Teubner 1916, S. 98 f.)

Die Armeen Napoleons, die 1812 nach Nußland marschierten, die der
Deutschen, die 1870 nach Frankreich zogen, die Hunderttausende, die bei Leipzig
und Königgrätz, um Metz und Paris fochten, die Millionen, die jetzt in stahl¬
harter Ausdauer ringen, sie alle bilden Stufen einer Entwicklung, die nicht
viel älter als 100 Jahre ist. Gleichwohl ist es ein Weg ungeahnten Fort¬
schritts in jeder Hinsicht, der von den Massenaufgeboten Camoes über die Heere
Napoleons und der Freiheitskriege bis zu den wirklichen Volksheeren der Gegen¬
wart, insbesondere zu der Wehrt)aftigkeit Deutschlands führt.

Eine die Welt durchdröhnende Gewaltsprache reden in unseren Tagen
Massen, deren Größe klar zu begreifen unser Vorstellungsvermögen nicht aus-


Ueber Heereszahlen alter und neuer Zeit

Im Bürgerkriege hatte er weniger, bei Pharsalus z. B. etwa 32000 Mann.
Wahrscheinlich die größten Heere, die das Altertum sah, und die bis an die
Schwelle der neuesten Zeit wohl kaum übertroffen wurden, nämlich etwa
100000 Mann auf jeder Seite, kämpften 42 v. Chr. in der Doppelschlacht bei
Philippi gegeneinander. Ebenso hoch wird, ohne den ungewöhnlich zahlreichen
Troß, das Heer veranschlagt, das Antonius sechs Jahre später mit schmählichem
Mißerfolg gegen die Parther führte. Das ganze stehende Heer Roms im ersten
Jahrhundert der Kaiserzeit darf man vielleicht auf ungefähr 350000 Mann
schätzen; aber diese waren über die ganze damalige Kulturwelt verteilt. An
der gefährdetsten Grenze, gegen die Germanen am Rhein und an der Donau,
werden weniger als 100000 Mann gelegen haben.

Erst die neueste Zeit steigerte die Mittel und die organisatorischen Fähig¬
keiten der Völker und Heerführer soweit, daß man Hunderttausende und schließlich
Millionen als einheitliche Heereskörper zu bewegen und zu verpflegen vermochte.
Nach zweifellos sehr beachtlicher Anfängen auf dem vom antiken Kriegswesen
erreichten Höhepunkt brachte eigentlich doch erst die Zeit nach der französischen
Resolution, genauer die napoleonische Zeit der Welt die Massenheere. „Aus
den Pöbelhaufen wurden unter dem Druck der äußeren Gefahren für das Vater¬
land die Bürgerheere mit höheren Aufgaben als Mord und Plünderung, und
in jener aufgeregten Zeit wurde der Grund nicht nur zum modernen Frankreich,
sondern auch zum modernen Militarismus gelegt. An die Stelle der Berufs¬
heere, mit denen Ludwig der Vierzehnte und Friedrich der Große ihre Kriege
geführt hatten, traten die Hunderttausende des Volksaufgebots, die sich anschickten,
mit der Gewalt der Waffen die neue Losung des französischen Patriotismus,
libertö, hallte et fratemitö, allerdings zum verschiedenen Heil für die unter¬
worfenen Völker, über Europa auszubreiten. Der Militarismus der allgemeinen
Wehrpflicht, die das ganze Volk umfaßt, wurde im levöe en ma88e des
Jacobiners Carnot geboren und in den gewaltsamen Eroberungskriegen
Napoleons großgezogen... Die Unterdrückung durch Napoleon wurde durch
die eignen Waffen der Revolution beseitigt: durch Volksheere, die die nationale
Idee zusammenschweißte." (Schwedische Stimmen zum Weltkrieg. Übersetzt von
Fr. Stieve, Leipzig, Teubner 1916, S. 98 f.)

Die Armeen Napoleons, die 1812 nach Nußland marschierten, die der
Deutschen, die 1870 nach Frankreich zogen, die Hunderttausende, die bei Leipzig
und Königgrätz, um Metz und Paris fochten, die Millionen, die jetzt in stahl¬
harter Ausdauer ringen, sie alle bilden Stufen einer Entwicklung, die nicht
viel älter als 100 Jahre ist. Gleichwohl ist es ein Weg ungeahnten Fort¬
schritts in jeder Hinsicht, der von den Massenaufgeboten Camoes über die Heere
Napoleons und der Freiheitskriege bis zu den wirklichen Volksheeren der Gegen¬
wart, insbesondere zu der Wehrt)aftigkeit Deutschlands führt.

Eine die Welt durchdröhnende Gewaltsprache reden in unseren Tagen
Massen, deren Größe klar zu begreifen unser Vorstellungsvermögen nicht aus-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0226" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/330326"/>
          <fw type="header" place="top"> Ueber Heereszahlen alter und neuer Zeit</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_747" prev="#ID_746"> Im Bürgerkriege hatte er weniger, bei Pharsalus z. B. etwa 32000 Mann.<lb/>
Wahrscheinlich die größten Heere, die das Altertum sah, und die bis an die<lb/>
Schwelle der neuesten Zeit wohl kaum übertroffen wurden, nämlich etwa<lb/>
100000 Mann auf jeder Seite, kämpften 42 v. Chr. in der Doppelschlacht bei<lb/>
Philippi gegeneinander. Ebenso hoch wird, ohne den ungewöhnlich zahlreichen<lb/>
Troß, das Heer veranschlagt, das Antonius sechs Jahre später mit schmählichem<lb/>
Mißerfolg gegen die Parther führte. Das ganze stehende Heer Roms im ersten<lb/>
Jahrhundert der Kaiserzeit darf man vielleicht auf ungefähr 350000 Mann<lb/>
schätzen; aber diese waren über die ganze damalige Kulturwelt verteilt. An<lb/>
der gefährdetsten Grenze, gegen die Germanen am Rhein und an der Donau,<lb/>
werden weniger als 100000 Mann gelegen haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_748"> Erst die neueste Zeit steigerte die Mittel und die organisatorischen Fähig¬<lb/>
keiten der Völker und Heerführer soweit, daß man Hunderttausende und schließlich<lb/>
Millionen als einheitliche Heereskörper zu bewegen und zu verpflegen vermochte.<lb/>
Nach zweifellos sehr beachtlicher Anfängen auf dem vom antiken Kriegswesen<lb/>
erreichten Höhepunkt brachte eigentlich doch erst die Zeit nach der französischen<lb/>
Resolution, genauer die napoleonische Zeit der Welt die Massenheere. &#x201E;Aus<lb/>
den Pöbelhaufen wurden unter dem Druck der äußeren Gefahren für das Vater¬<lb/>
land die Bürgerheere mit höheren Aufgaben als Mord und Plünderung, und<lb/>
in jener aufgeregten Zeit wurde der Grund nicht nur zum modernen Frankreich,<lb/>
sondern auch zum modernen Militarismus gelegt. An die Stelle der Berufs¬<lb/>
heere, mit denen Ludwig der Vierzehnte und Friedrich der Große ihre Kriege<lb/>
geführt hatten, traten die Hunderttausende des Volksaufgebots, die sich anschickten,<lb/>
mit der Gewalt der Waffen die neue Losung des französischen Patriotismus,<lb/>
libertö, hallte et fratemitö, allerdings zum verschiedenen Heil für die unter¬<lb/>
worfenen Völker, über Europa auszubreiten. Der Militarismus der allgemeinen<lb/>
Wehrpflicht, die das ganze Volk umfaßt, wurde im levöe en ma88e des<lb/>
Jacobiners Carnot geboren und in den gewaltsamen Eroberungskriegen<lb/>
Napoleons großgezogen... Die Unterdrückung durch Napoleon wurde durch<lb/>
die eignen Waffen der Revolution beseitigt: durch Volksheere, die die nationale<lb/>
Idee zusammenschweißte." (Schwedische Stimmen zum Weltkrieg. Übersetzt von<lb/>
Fr. Stieve, Leipzig, Teubner 1916, S. 98 f.)</p><lb/>
          <p xml:id="ID_749"> Die Armeen Napoleons, die 1812 nach Nußland marschierten, die der<lb/>
Deutschen, die 1870 nach Frankreich zogen, die Hunderttausende, die bei Leipzig<lb/>
und Königgrätz, um Metz und Paris fochten, die Millionen, die jetzt in stahl¬<lb/>
harter Ausdauer ringen, sie alle bilden Stufen einer Entwicklung, die nicht<lb/>
viel älter als 100 Jahre ist. Gleichwohl ist es ein Weg ungeahnten Fort¬<lb/>
schritts in jeder Hinsicht, der von den Massenaufgeboten Camoes über die Heere<lb/>
Napoleons und der Freiheitskriege bis zu den wirklichen Volksheeren der Gegen¬<lb/>
wart, insbesondere zu der Wehrt)aftigkeit Deutschlands führt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_750" next="#ID_751"> Eine die Welt durchdröhnende Gewaltsprache reden in unseren Tagen<lb/>
Massen, deren Größe klar zu begreifen unser Vorstellungsvermögen nicht aus-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0226] Ueber Heereszahlen alter und neuer Zeit Im Bürgerkriege hatte er weniger, bei Pharsalus z. B. etwa 32000 Mann. Wahrscheinlich die größten Heere, die das Altertum sah, und die bis an die Schwelle der neuesten Zeit wohl kaum übertroffen wurden, nämlich etwa 100000 Mann auf jeder Seite, kämpften 42 v. Chr. in der Doppelschlacht bei Philippi gegeneinander. Ebenso hoch wird, ohne den ungewöhnlich zahlreichen Troß, das Heer veranschlagt, das Antonius sechs Jahre später mit schmählichem Mißerfolg gegen die Parther führte. Das ganze stehende Heer Roms im ersten Jahrhundert der Kaiserzeit darf man vielleicht auf ungefähr 350000 Mann schätzen; aber diese waren über die ganze damalige Kulturwelt verteilt. An der gefährdetsten Grenze, gegen die Germanen am Rhein und an der Donau, werden weniger als 100000 Mann gelegen haben. Erst die neueste Zeit steigerte die Mittel und die organisatorischen Fähig¬ keiten der Völker und Heerführer soweit, daß man Hunderttausende und schließlich Millionen als einheitliche Heereskörper zu bewegen und zu verpflegen vermochte. Nach zweifellos sehr beachtlicher Anfängen auf dem vom antiken Kriegswesen erreichten Höhepunkt brachte eigentlich doch erst die Zeit nach der französischen Resolution, genauer die napoleonische Zeit der Welt die Massenheere. „Aus den Pöbelhaufen wurden unter dem Druck der äußeren Gefahren für das Vater¬ land die Bürgerheere mit höheren Aufgaben als Mord und Plünderung, und in jener aufgeregten Zeit wurde der Grund nicht nur zum modernen Frankreich, sondern auch zum modernen Militarismus gelegt. An die Stelle der Berufs¬ heere, mit denen Ludwig der Vierzehnte und Friedrich der Große ihre Kriege geführt hatten, traten die Hunderttausende des Volksaufgebots, die sich anschickten, mit der Gewalt der Waffen die neue Losung des französischen Patriotismus, libertö, hallte et fratemitö, allerdings zum verschiedenen Heil für die unter¬ worfenen Völker, über Europa auszubreiten. Der Militarismus der allgemeinen Wehrpflicht, die das ganze Volk umfaßt, wurde im levöe en ma88e des Jacobiners Carnot geboren und in den gewaltsamen Eroberungskriegen Napoleons großgezogen... Die Unterdrückung durch Napoleon wurde durch die eignen Waffen der Revolution beseitigt: durch Volksheere, die die nationale Idee zusammenschweißte." (Schwedische Stimmen zum Weltkrieg. Übersetzt von Fr. Stieve, Leipzig, Teubner 1916, S. 98 f.) Die Armeen Napoleons, die 1812 nach Nußland marschierten, die der Deutschen, die 1870 nach Frankreich zogen, die Hunderttausende, die bei Leipzig und Königgrätz, um Metz und Paris fochten, die Millionen, die jetzt in stahl¬ harter Ausdauer ringen, sie alle bilden Stufen einer Entwicklung, die nicht viel älter als 100 Jahre ist. Gleichwohl ist es ein Weg ungeahnten Fort¬ schritts in jeder Hinsicht, der von den Massenaufgeboten Camoes über die Heere Napoleons und der Freiheitskriege bis zu den wirklichen Volksheeren der Gegen¬ wart, insbesondere zu der Wehrt)aftigkeit Deutschlands führt. Eine die Welt durchdröhnende Gewaltsprache reden in unseren Tagen Massen, deren Größe klar zu begreifen unser Vorstellungsvermögen nicht aus-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/226
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/226>, abgerufen am 23.12.2024.