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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Ueber Heereszahlen ^ier und >'.euer Zeit

Aber auch sonst werden hohe Heereszahlen genannt. Saul zieht mit 330000 Mann
gegen die Ammoniter und mit 210 000 Mann gegen die Amalekiter. Abia
von Juda kämpft mit 400 000 auserlesenen Leuten gegen Ierobeam, den König
von Israel, der von seinen 800 000 gleichfalls auserlesenen Leuten in der
Schlacht 500 000 verliert. Der Sohn des Siegers befehligt 580 000 starke
Männer, lauter tapfere Krieger, als die Beduinen unter Seracs mit einem
Heere von einer Million Krieger und 300 Wagen gegen ihn zu Felde ziehen,
und unter Jahwes Arm und der Judäer Schwert fallen von den Feinden so
viele, daß ihrer keiner am Leben bleibt. Es ist das derselbe Überschwang, der
sich auch findet, wenn Zahlen fehlen; so lautet z. B. der Rat. den Davids
aufrührerischen Sohne Absalom einer seiner Anhänger gibt, folgendermaßen:
Es soll ganz Israel von Dan bis Bersaba um dich versammelt werden, so
massenhaft wie der Sand, der am Meeresufer liegt. Stoßen wir dann auf
ihn, so lassen wir uns auf ihn nieder, wie der Tau aufs Erdreich fällt, und
es soll von ihm und den Männern allen, die er bei sich hat, auch nicht einer
übrig bleiben.

Zur Erklärung der israelitischen Massenheere wird geltend gemacht, daß
es sich um Volksaufgebote gehandelt habe. Inwieweit das richtig ist, bleibe
dahingestellt. Immerhin, wären die für die eigenen und die feindlichen Heere
angegebenen Zahlen glaubwürdig, so wären die Heere des persischen Weltreiches
nicht erstaunlich, weder die 700 000 Mann, die Darms über den Bosporus
und die Donau gesetzt haben soll, noch die Millionen seines Sohnes Xerxes,
die für alle Zeiten das Sinnbild einer Riesenübermacht geworden sind.

Den Griechen schien es beim Nahen des Xerxes, als ob die ganze Welt
gegen sie aufgeboten sei. Herodot rechnet für Landheer, Troß und Flotte mehr
als 5 000000 Menschen, darunter 1 700000 Fußsoldaten und 80000 Reiter.
Die Inschrift des in den Thermopylen errichteten Denkmals spricht von 3 000000,
denen 4000 Griechen unter Leonidas gegenübergestanden hätten. Daß diese
maßlos übertriebenen Angaben ebenso wie die stark herabgesetzte Ziffer eines
anderen griechischen Geschichtsschreibers, der die Perser immer noch auf 800 000
schätzt, für die geschichtliche Erkenntnis wertlos sind, sollte im Ernst nicht mehr
bestritten werden. Leider fehlt aber für jede anderweitige Schätzung ein
zuverlässiger Anhalt. Die Fachgelehrten veranschlagen die Zahl der persischen
Streiter auf 50--100000 Mann, und es ist klar, daß solche Heere auf große
Entfernungen hin zu bewegen und zu verpflegen damals eine sehr bedeutende
Leistung war, die nur ein Staat wie Persien mit seinem wohlausgebauten
Straßennetz auf sich nehmen konnte. Indessen wird auch neuerdings hier und
da immer wieder mit Bestimmtheit behauptet, daß man im Orient mit größeren
Heeresmassen zu rechnen gewohnt war. Zuletzt ist um die Zeit des Ausbruchs des
gegenwärtigen Weltkrieges ein amerikanischer Gelehrter für Herodots Bericht von der
Größe des persischen Heeres eingetreten. Nach demselben habe auch zur Zeit des
Zuges der .Zehntausend' (401 v. Chr.) die Heeresmacht der Perser wenigstens


Ueber Heereszahlen ^ier und >'.euer Zeit

Aber auch sonst werden hohe Heereszahlen genannt. Saul zieht mit 330000 Mann
gegen die Ammoniter und mit 210 000 Mann gegen die Amalekiter. Abia
von Juda kämpft mit 400 000 auserlesenen Leuten gegen Ierobeam, den König
von Israel, der von seinen 800 000 gleichfalls auserlesenen Leuten in der
Schlacht 500 000 verliert. Der Sohn des Siegers befehligt 580 000 starke
Männer, lauter tapfere Krieger, als die Beduinen unter Seracs mit einem
Heere von einer Million Krieger und 300 Wagen gegen ihn zu Felde ziehen,
und unter Jahwes Arm und der Judäer Schwert fallen von den Feinden so
viele, daß ihrer keiner am Leben bleibt. Es ist das derselbe Überschwang, der
sich auch findet, wenn Zahlen fehlen; so lautet z. B. der Rat. den Davids
aufrührerischen Sohne Absalom einer seiner Anhänger gibt, folgendermaßen:
Es soll ganz Israel von Dan bis Bersaba um dich versammelt werden, so
massenhaft wie der Sand, der am Meeresufer liegt. Stoßen wir dann auf
ihn, so lassen wir uns auf ihn nieder, wie der Tau aufs Erdreich fällt, und
es soll von ihm und den Männern allen, die er bei sich hat, auch nicht einer
übrig bleiben.

Zur Erklärung der israelitischen Massenheere wird geltend gemacht, daß
es sich um Volksaufgebote gehandelt habe. Inwieweit das richtig ist, bleibe
dahingestellt. Immerhin, wären die für die eigenen und die feindlichen Heere
angegebenen Zahlen glaubwürdig, so wären die Heere des persischen Weltreiches
nicht erstaunlich, weder die 700 000 Mann, die Darms über den Bosporus
und die Donau gesetzt haben soll, noch die Millionen seines Sohnes Xerxes,
die für alle Zeiten das Sinnbild einer Riesenübermacht geworden sind.

Den Griechen schien es beim Nahen des Xerxes, als ob die ganze Welt
gegen sie aufgeboten sei. Herodot rechnet für Landheer, Troß und Flotte mehr
als 5 000000 Menschen, darunter 1 700000 Fußsoldaten und 80000 Reiter.
Die Inschrift des in den Thermopylen errichteten Denkmals spricht von 3 000000,
denen 4000 Griechen unter Leonidas gegenübergestanden hätten. Daß diese
maßlos übertriebenen Angaben ebenso wie die stark herabgesetzte Ziffer eines
anderen griechischen Geschichtsschreibers, der die Perser immer noch auf 800 000
schätzt, für die geschichtliche Erkenntnis wertlos sind, sollte im Ernst nicht mehr
bestritten werden. Leider fehlt aber für jede anderweitige Schätzung ein
zuverlässiger Anhalt. Die Fachgelehrten veranschlagen die Zahl der persischen
Streiter auf 50—100000 Mann, und es ist klar, daß solche Heere auf große
Entfernungen hin zu bewegen und zu verpflegen damals eine sehr bedeutende
Leistung war, die nur ein Staat wie Persien mit seinem wohlausgebauten
Straßennetz auf sich nehmen konnte. Indessen wird auch neuerdings hier und
da immer wieder mit Bestimmtheit behauptet, daß man im Orient mit größeren
Heeresmassen zu rechnen gewohnt war. Zuletzt ist um die Zeit des Ausbruchs des
gegenwärtigen Weltkrieges ein amerikanischer Gelehrter für Herodots Bericht von der
Größe des persischen Heeres eingetreten. Nach demselben habe auch zur Zeit des
Zuges der .Zehntausend' (401 v. Chr.) die Heeresmacht der Perser wenigstens


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/222>, abgerufen am 01.09.2024.