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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Die Entwicklung der französischen Presse zur Weltmacht

Im Jahre 1887, als die Boulangerkrise die Beziehungen zwischen Deutsch¬
land und Frankreich gefährdete, handelte es sich für Großbritannien um dieselbe
Frage wie 1914, nämlich darum: soll oder muß England eingreifen, wenn
Deutschland durch Belgien marschiert? Damals wies die offiziöse Presse des
englischen Ministeriums nach, daß ein "ius viae" Deutschlands durch Belgien
keine Verletzung der belgischen Neutralität wäre. "Pakt Malt Gazette" ging
sogar so weit, zu sagen: "Es besteht keine englische Garantie für Belgien".
England war damals auf Feindschaft gegen das sich kolonial ausbreitende
Frankreich und auch gegen Rußland eingestellt. "Die Lage hat sich," so erklärte
der offiziöse "Standard", "gegen 1370 total verändert, und schon damals
wahrte die Verpflichtung Englands mehr sein Gesicht, als daß sie Verant"
Wartungen schuf."

Wenn man diese Ausführungen jetzt wieder liest, so fragt man sich, wo
England den Mut zu der moralischen Pose hernahm, die es zum Beginn dieses
Krieges über den Einmarsch Deutschlands in Belgien angenommen hat.

Auch von der solange ungeklärten belgischen Frage kann man jetzt wohl
sagen: Die Wahrheit ist auf dem Marsche, nichts kann sie mehr anhalten.




Die Entwicklung der französischen Presse zur
Weltmacht
Universitätsxrofessor l)r. Julius Schwerins von

"^n Deutschland ist die Buchdruckerkunst erfunden worden, in
Deutschland ging im ersten Jahrzehnt des siebzehnten Jahr¬
hunderts aus der Buchdruckerwerkstatt des Straßburger Verlegers,
Johann Carolus, die erste Zeitung in modernem Sinne hervor.
Aber wie das gesamte geistige und politische Leben unseres Vater¬
landes durch die Stürme des dreißigjährigen Krieges gehemmt und unterbrochen
wurde, so erlitt auch der Ausbau unserer Tagespresse empfindliche Störungen.
Der Zeitungsgeist Europas flüchtete sich damals in das kleine Holland; in dem
Land an der Mündung des Rheins, an der Maas und Schelde bildete sich
ein Journalismus, der von den Franzosen und Deutschen ihre Sprache lieh
und dadurch weit über die Grenzen Hollands hinaus für die europäische Welt
literarische Bedeutung gewann. Die freien Niederlande waren die große Börse
der politischen Nachrichten. Gerüchte und Tendenzlügen, Blätter wie die
"Gazette de Lende", die "Gazette d'Utrecht", die "Gazette d'Amsterdam", die
von Holland nichts hatten als die Druckfreiheit, waren im siebzehnten und


Die Entwicklung der französischen Presse zur Weltmacht

Im Jahre 1887, als die Boulangerkrise die Beziehungen zwischen Deutsch¬
land und Frankreich gefährdete, handelte es sich für Großbritannien um dieselbe
Frage wie 1914, nämlich darum: soll oder muß England eingreifen, wenn
Deutschland durch Belgien marschiert? Damals wies die offiziöse Presse des
englischen Ministeriums nach, daß ein „ius viae" Deutschlands durch Belgien
keine Verletzung der belgischen Neutralität wäre. „Pakt Malt Gazette" ging
sogar so weit, zu sagen: „Es besteht keine englische Garantie für Belgien".
England war damals auf Feindschaft gegen das sich kolonial ausbreitende
Frankreich und auch gegen Rußland eingestellt. „Die Lage hat sich," so erklärte
der offiziöse „Standard", „gegen 1370 total verändert, und schon damals
wahrte die Verpflichtung Englands mehr sein Gesicht, als daß sie Verant»
Wartungen schuf."

Wenn man diese Ausführungen jetzt wieder liest, so fragt man sich, wo
England den Mut zu der moralischen Pose hernahm, die es zum Beginn dieses
Krieges über den Einmarsch Deutschlands in Belgien angenommen hat.

Auch von der solange ungeklärten belgischen Frage kann man jetzt wohl
sagen: Die Wahrheit ist auf dem Marsche, nichts kann sie mehr anhalten.




Die Entwicklung der französischen Presse zur
Weltmacht
Universitätsxrofessor l)r. Julius Schwerins von

"^n Deutschland ist die Buchdruckerkunst erfunden worden, in
Deutschland ging im ersten Jahrzehnt des siebzehnten Jahr¬
hunderts aus der Buchdruckerwerkstatt des Straßburger Verlegers,
Johann Carolus, die erste Zeitung in modernem Sinne hervor.
Aber wie das gesamte geistige und politische Leben unseres Vater¬
landes durch die Stürme des dreißigjährigen Krieges gehemmt und unterbrochen
wurde, so erlitt auch der Ausbau unserer Tagespresse empfindliche Störungen.
Der Zeitungsgeist Europas flüchtete sich damals in das kleine Holland; in dem
Land an der Mündung des Rheins, an der Maas und Schelde bildete sich
ein Journalismus, der von den Franzosen und Deutschen ihre Sprache lieh
und dadurch weit über die Grenzen Hollands hinaus für die europäische Welt
literarische Bedeutung gewann. Die freien Niederlande waren die große Börse
der politischen Nachrichten. Gerüchte und Tendenzlügen, Blätter wie die
„Gazette de Lende", die „Gazette d'Utrecht", die „Gazette d'Amsterdam", die
von Holland nichts hatten als die Druckfreiheit, waren im siebzehnten und


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[0022] Die Entwicklung der französischen Presse zur Weltmacht Im Jahre 1887, als die Boulangerkrise die Beziehungen zwischen Deutsch¬ land und Frankreich gefährdete, handelte es sich für Großbritannien um dieselbe Frage wie 1914, nämlich darum: soll oder muß England eingreifen, wenn Deutschland durch Belgien marschiert? Damals wies die offiziöse Presse des englischen Ministeriums nach, daß ein „ius viae" Deutschlands durch Belgien keine Verletzung der belgischen Neutralität wäre. „Pakt Malt Gazette" ging sogar so weit, zu sagen: „Es besteht keine englische Garantie für Belgien". England war damals auf Feindschaft gegen das sich kolonial ausbreitende Frankreich und auch gegen Rußland eingestellt. „Die Lage hat sich," so erklärte der offiziöse „Standard", „gegen 1370 total verändert, und schon damals wahrte die Verpflichtung Englands mehr sein Gesicht, als daß sie Verant» Wartungen schuf." Wenn man diese Ausführungen jetzt wieder liest, so fragt man sich, wo England den Mut zu der moralischen Pose hernahm, die es zum Beginn dieses Krieges über den Einmarsch Deutschlands in Belgien angenommen hat. Auch von der solange ungeklärten belgischen Frage kann man jetzt wohl sagen: Die Wahrheit ist auf dem Marsche, nichts kann sie mehr anhalten. Die Entwicklung der französischen Presse zur Weltmacht Universitätsxrofessor l)r. Julius Schwerins von "^n Deutschland ist die Buchdruckerkunst erfunden worden, in Deutschland ging im ersten Jahrzehnt des siebzehnten Jahr¬ hunderts aus der Buchdruckerwerkstatt des Straßburger Verlegers, Johann Carolus, die erste Zeitung in modernem Sinne hervor. Aber wie das gesamte geistige und politische Leben unseres Vater¬ landes durch die Stürme des dreißigjährigen Krieges gehemmt und unterbrochen wurde, so erlitt auch der Ausbau unserer Tagespresse empfindliche Störungen. Der Zeitungsgeist Europas flüchtete sich damals in das kleine Holland; in dem Land an der Mündung des Rheins, an der Maas und Schelde bildete sich ein Journalismus, der von den Franzosen und Deutschen ihre Sprache lieh und dadurch weit über die Grenzen Hollands hinaus für die europäische Welt literarische Bedeutung gewann. Die freien Niederlande waren die große Börse der politischen Nachrichten. Gerüchte und Tendenzlügen, Blätter wie die „Gazette de Lende", die „Gazette d'Utrecht", die „Gazette d'Amsterdam", die von Holland nichts hatten als die Druckfreiheit, waren im siebzehnten und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/22>, abgerufen am 22.12.2024.