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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Zum Kriegsausbruch

mindesten nicht ritterlich ist) waren würdevoll und pathetisch. Und als die
Deutschen, einen Vers aus dem Dichter zitierend, den sie .unseren Shakespeare'
nennen, sagten: .mögen die vier Viertel der Welt in Waffen gegen uns an¬
rennen, wir werden sie zerschmettern', war das fein von einem romantisch¬
militärischen Standpunkt aus".

Doch verlassen wir den Dichter, er gehört ja eigentlich nicht in die trockene
historische Untersuchung. Seine Ausführungen zeigen aber, daß man selbst in
England die Bedeutung jener Ur. 123 des englischen Blaubuches richtig be>
griffen hat. Rüchel sagt: "Man kann sich billig fragen, wie dieses Aktenstück,
das wie kein anderes den ganzen Hintergrund der englischen Politik beleuchtet,
in die amtliche Sammlung hineingeraten ist. Das erklärt sich wohl nur durch
die große Eile, mit der das Weißbuck zusammengestellt und herausgegeben
wurde. Am 4. August abgeschlossen, war es am 5. schon gedruckt und gelangte
vor das Parlament".

Rüchel betont, indem er nebenbei die bekannte Fälschung im Datum der
Beilage zu Ur. 105 des englischen Blaubuches und die sonstigen "Veränderungen"
erwähnt, die das Buch in seiner amtlichen Übersetzung ins Deutsche erhalten
hatte, daß Asquith bei seiner bekannten Rede vom 6. August vor dem Par¬
lament gleich Grey "die Verhandlungen mit dem deutschen Botschafter am
1. August unterschlug und dadurch dem Parlament, dem englischen Volk
und der ganzen Welt eine bewußt falsche Darstellung der Tatsachen" ge-
geben hat.

Aber inzwischen war ja die neue Entwicklung ("edle ne>v äsvelopment")
eingetreten, die Grey nur erwartet hatte, um die englische öffentliche Meinung
aufzupeitschen, nämlich Deutschlands Begehr an Belgien, ihm freien Durchzug
durch das Land zu geben. Auch Rüchel erwähnt die belgische Frage aus
diesem Gesichtspunkt, ohne aber näher darauf einzugehen.

Ein Buch, aus dem wir über die belgische Frage, wie sie vom englischen
Standpunkt aus angesehen wird, manches Neue lernen können, ist das von
Langer H Korton,. LnZIanä8 Zuarantee to VeiZium K I^uxemdurZ. Wir
sehen aus allen Äußerungen englischer Staatsmänner zu Garantieverträgen,
die in diesem Buche in reicher Zahl zitiert werden, daß England seine Auf-
fassung der Rechte und Pflichten des Landes aus solchen Verträgen stets von
der politischen Konjunktur abhängig gemacht hat. England scheute sich nicht
durch den Mund von Gathorne Hardy im Jahre 1877 über den Pariser
Vertrag von 1856, der im Gegensatz zu den belgischen Verträgen ausdrücklich
von der Anwendung von Waffengewalt spricht, im Parlamente zu erklären:
"Unter diesem Vertrage sind wir nicht verpflichtet, in einen Krieg zu gehen,
noch ist irgend etwas in dem Vertrage enthalten, das uns verpflichten könnte,
Krieg zu führen. Der Vertrag von 1856 ist ein Vertrag, der sagt, daß unter
gewissen Umständen die Dinge von allgemeinem Interesse werden. DaS ist
sein ganzer Inhalt".


Zum Kriegsausbruch

mindesten nicht ritterlich ist) waren würdevoll und pathetisch. Und als die
Deutschen, einen Vers aus dem Dichter zitierend, den sie .unseren Shakespeare'
nennen, sagten: .mögen die vier Viertel der Welt in Waffen gegen uns an¬
rennen, wir werden sie zerschmettern', war das fein von einem romantisch¬
militärischen Standpunkt aus".

Doch verlassen wir den Dichter, er gehört ja eigentlich nicht in die trockene
historische Untersuchung. Seine Ausführungen zeigen aber, daß man selbst in
England die Bedeutung jener Ur. 123 des englischen Blaubuches richtig be>
griffen hat. Rüchel sagt: „Man kann sich billig fragen, wie dieses Aktenstück,
das wie kein anderes den ganzen Hintergrund der englischen Politik beleuchtet,
in die amtliche Sammlung hineingeraten ist. Das erklärt sich wohl nur durch
die große Eile, mit der das Weißbuck zusammengestellt und herausgegeben
wurde. Am 4. August abgeschlossen, war es am 5. schon gedruckt und gelangte
vor das Parlament".

Rüchel betont, indem er nebenbei die bekannte Fälschung im Datum der
Beilage zu Ur. 105 des englischen Blaubuches und die sonstigen „Veränderungen"
erwähnt, die das Buch in seiner amtlichen Übersetzung ins Deutsche erhalten
hatte, daß Asquith bei seiner bekannten Rede vom 6. August vor dem Par¬
lament gleich Grey „die Verhandlungen mit dem deutschen Botschafter am
1. August unterschlug und dadurch dem Parlament, dem englischen Volk
und der ganzen Welt eine bewußt falsche Darstellung der Tatsachen" ge-
geben hat.

Aber inzwischen war ja die neue Entwicklung („edle ne>v äsvelopment")
eingetreten, die Grey nur erwartet hatte, um die englische öffentliche Meinung
aufzupeitschen, nämlich Deutschlands Begehr an Belgien, ihm freien Durchzug
durch das Land zu geben. Auch Rüchel erwähnt die belgische Frage aus
diesem Gesichtspunkt, ohne aber näher darauf einzugehen.

Ein Buch, aus dem wir über die belgische Frage, wie sie vom englischen
Standpunkt aus angesehen wird, manches Neue lernen können, ist das von
Langer H Korton,. LnZIanä8 Zuarantee to VeiZium K I^uxemdurZ. Wir
sehen aus allen Äußerungen englischer Staatsmänner zu Garantieverträgen,
die in diesem Buche in reicher Zahl zitiert werden, daß England seine Auf-
fassung der Rechte und Pflichten des Landes aus solchen Verträgen stets von
der politischen Konjunktur abhängig gemacht hat. England scheute sich nicht
durch den Mund von Gathorne Hardy im Jahre 1877 über den Pariser
Vertrag von 1856, der im Gegensatz zu den belgischen Verträgen ausdrücklich
von der Anwendung von Waffengewalt spricht, im Parlamente zu erklären:
„Unter diesem Vertrage sind wir nicht verpflichtet, in einen Krieg zu gehen,
noch ist irgend etwas in dem Vertrage enthalten, das uns verpflichten könnte,
Krieg zu führen. Der Vertrag von 1856 ist ein Vertrag, der sagt, daß unter
gewissen Umständen die Dinge von allgemeinem Interesse werden. DaS ist
sein ganzer Inhalt".


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[0021] Zum Kriegsausbruch mindesten nicht ritterlich ist) waren würdevoll und pathetisch. Und als die Deutschen, einen Vers aus dem Dichter zitierend, den sie .unseren Shakespeare' nennen, sagten: .mögen die vier Viertel der Welt in Waffen gegen uns an¬ rennen, wir werden sie zerschmettern', war das fein von einem romantisch¬ militärischen Standpunkt aus". Doch verlassen wir den Dichter, er gehört ja eigentlich nicht in die trockene historische Untersuchung. Seine Ausführungen zeigen aber, daß man selbst in England die Bedeutung jener Ur. 123 des englischen Blaubuches richtig be> griffen hat. Rüchel sagt: „Man kann sich billig fragen, wie dieses Aktenstück, das wie kein anderes den ganzen Hintergrund der englischen Politik beleuchtet, in die amtliche Sammlung hineingeraten ist. Das erklärt sich wohl nur durch die große Eile, mit der das Weißbuck zusammengestellt und herausgegeben wurde. Am 4. August abgeschlossen, war es am 5. schon gedruckt und gelangte vor das Parlament". Rüchel betont, indem er nebenbei die bekannte Fälschung im Datum der Beilage zu Ur. 105 des englischen Blaubuches und die sonstigen „Veränderungen" erwähnt, die das Buch in seiner amtlichen Übersetzung ins Deutsche erhalten hatte, daß Asquith bei seiner bekannten Rede vom 6. August vor dem Par¬ lament gleich Grey „die Verhandlungen mit dem deutschen Botschafter am 1. August unterschlug und dadurch dem Parlament, dem englischen Volk und der ganzen Welt eine bewußt falsche Darstellung der Tatsachen" ge- geben hat. Aber inzwischen war ja die neue Entwicklung („edle ne>v äsvelopment") eingetreten, die Grey nur erwartet hatte, um die englische öffentliche Meinung aufzupeitschen, nämlich Deutschlands Begehr an Belgien, ihm freien Durchzug durch das Land zu geben. Auch Rüchel erwähnt die belgische Frage aus diesem Gesichtspunkt, ohne aber näher darauf einzugehen. Ein Buch, aus dem wir über die belgische Frage, wie sie vom englischen Standpunkt aus angesehen wird, manches Neue lernen können, ist das von Langer H Korton,. LnZIanä8 Zuarantee to VeiZium K I^uxemdurZ. Wir sehen aus allen Äußerungen englischer Staatsmänner zu Garantieverträgen, die in diesem Buche in reicher Zahl zitiert werden, daß England seine Auf- fassung der Rechte und Pflichten des Landes aus solchen Verträgen stets von der politischen Konjunktur abhängig gemacht hat. England scheute sich nicht durch den Mund von Gathorne Hardy im Jahre 1877 über den Pariser Vertrag von 1856, der im Gegensatz zu den belgischen Verträgen ausdrücklich von der Anwendung von Waffengewalt spricht, im Parlamente zu erklären: „Unter diesem Vertrage sind wir nicht verpflichtet, in einen Krieg zu gehen, noch ist irgend etwas in dem Vertrage enthalten, das uns verpflichten könnte, Krieg zu führen. Der Vertrag von 1856 ist ein Vertrag, der sagt, daß unter gewissen Umständen die Dinge von allgemeinem Interesse werden. DaS ist sein ganzer Inhalt".

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/21>, abgerufen am 01.09.2024.