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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Bismarck und die italienische Politik

geschichte vergessen, wenn man glaube, daß die französischen Truppen Tunis
verlassen würden, nachdem die rebellischen Stämme bestraft worden wären."
Wenige Wochen darauf hatte sich Frankreich die Regentschaft von Tunis er¬
obert, die Geringschätzung und Ohnmacht Italiens, das in Tunis bedeutend
wichtigere und berechtigtere Interessen als Frankreich besaß, vor aller Welt
offen dartuend.

Der neue Minister des Auswärtigen, Mancini, sah für Italien den einzigen
Ausweg, um sich vor weiteren Übergriffen Frankreichs zu schützen, in der Rück¬
kehr zu einem Bündnis mit Deutschland. Aber Fürst Bismarck hatte in rest¬
loser Ausnützung eines glänzenden diplomatischen Schachzuges auf den jetzigen,
selbst in den Augen der italienischen Negierung nottuenden Vorschlag, "betreffs
der Möglichkeit, den Beziehungen zwischen Italien und Deutschland den Charakter
größerer Vertraulichkeit zu geben und auf ein wirkliches Bündnis hinzuarbeiten,"
die unzweideutige Antwort erteilt, "daß der Weg nach Berlin über Wien führe,
und daß Italien vor allem auch dort die besten Beziehungen anknüpfen müsse,
wenn es die Bande alter Freundschaft mit Deutschland erneuern wollte."

So kam in einer Epoche größter politischer Not und Isoliertheit Italiens
der Dreibund zustande. Crispi schrieb beim Abschluß des Dreibundvertrages:
"Bismarck sieht nur zwei Feinde, die das Reich bedrohen: Frankreich und
Rußland. Und er wählt seine Verbündeten im Hinblick auf einen Krieg, der
von diesen beiden Mächten kommen konnte. Unlöslich ist er mit Osterreich
verbündet, und er arbeitet daran, durch eine Heeresreform eine starke Macht in
der Türkei zu gründen." Um Italien kümmerte sich der Kanzler im Grunde ge¬
nommen wenig. Daraus erhellt die zu allen Zeiten in der öffentlichen Meinung
Italiens herrschende Verständnislofigkeit der auswärtigen Politik Bismarcks, die
wegen der angeblichen Verachtung der Italiener durch den Kanzler oft als mi߬
trauisch und gefährlich hingestellt wurde.

In Wirklichkeit war die Politik Bismarcks gegenüber Italien solcher Art,
daß sie darauf ausging, Italien an sich zu fesseln und Frankreich zu isolieren.
Aus Erwägungen gleicher Art glaubte er in einer italienisch-englischen Ver¬
ständigung eine gewisse Garantie erblicken zu dürfen, England die Möglichkeit
einer Unterstützung der französischen "Revanche-Politik" zu versperren.

Aus allen Unterredungen Bismarcks und Crispis in Friedrichsruh klingt
es immer wieder heraus: Wir arbeiten für die Erhaltung des Friedens und
leben für nichts anderes, denn wir haben genug für den Krieg getan. "Wirken
wir jetzt für den Frieden und wirken wir vereint." In den Jahren, in denen
die verantwortliche Politik Italiens den Händen Crispis anvertraut worden
war, beherrschte seine ganze Persönlichkeit den politischen Horizont des jungen König¬
reiches. Er verehrte Bismarck als den Mann, der dreißig Jahre lang ge¬
arbeitet hatte für die Größe seines Vaterlandes, der wußte, was er wollte,
"und der, was er wollte, mit der ganzen Kraft seines Willens wollte." Man
hatte Crispi infolge seiner Unterredungen in Friedrichsruh. besonders von franzöfi-


Bismarck und die italienische Politik

geschichte vergessen, wenn man glaube, daß die französischen Truppen Tunis
verlassen würden, nachdem die rebellischen Stämme bestraft worden wären."
Wenige Wochen darauf hatte sich Frankreich die Regentschaft von Tunis er¬
obert, die Geringschätzung und Ohnmacht Italiens, das in Tunis bedeutend
wichtigere und berechtigtere Interessen als Frankreich besaß, vor aller Welt
offen dartuend.

Der neue Minister des Auswärtigen, Mancini, sah für Italien den einzigen
Ausweg, um sich vor weiteren Übergriffen Frankreichs zu schützen, in der Rück¬
kehr zu einem Bündnis mit Deutschland. Aber Fürst Bismarck hatte in rest¬
loser Ausnützung eines glänzenden diplomatischen Schachzuges auf den jetzigen,
selbst in den Augen der italienischen Negierung nottuenden Vorschlag, „betreffs
der Möglichkeit, den Beziehungen zwischen Italien und Deutschland den Charakter
größerer Vertraulichkeit zu geben und auf ein wirkliches Bündnis hinzuarbeiten,"
die unzweideutige Antwort erteilt, „daß der Weg nach Berlin über Wien führe,
und daß Italien vor allem auch dort die besten Beziehungen anknüpfen müsse,
wenn es die Bande alter Freundschaft mit Deutschland erneuern wollte."

So kam in einer Epoche größter politischer Not und Isoliertheit Italiens
der Dreibund zustande. Crispi schrieb beim Abschluß des Dreibundvertrages:
„Bismarck sieht nur zwei Feinde, die das Reich bedrohen: Frankreich und
Rußland. Und er wählt seine Verbündeten im Hinblick auf einen Krieg, der
von diesen beiden Mächten kommen konnte. Unlöslich ist er mit Osterreich
verbündet, und er arbeitet daran, durch eine Heeresreform eine starke Macht in
der Türkei zu gründen." Um Italien kümmerte sich der Kanzler im Grunde ge¬
nommen wenig. Daraus erhellt die zu allen Zeiten in der öffentlichen Meinung
Italiens herrschende Verständnislofigkeit der auswärtigen Politik Bismarcks, die
wegen der angeblichen Verachtung der Italiener durch den Kanzler oft als mi߬
trauisch und gefährlich hingestellt wurde.

In Wirklichkeit war die Politik Bismarcks gegenüber Italien solcher Art,
daß sie darauf ausging, Italien an sich zu fesseln und Frankreich zu isolieren.
Aus Erwägungen gleicher Art glaubte er in einer italienisch-englischen Ver¬
ständigung eine gewisse Garantie erblicken zu dürfen, England die Möglichkeit
einer Unterstützung der französischen „Revanche-Politik" zu versperren.

Aus allen Unterredungen Bismarcks und Crispis in Friedrichsruh klingt
es immer wieder heraus: Wir arbeiten für die Erhaltung des Friedens und
leben für nichts anderes, denn wir haben genug für den Krieg getan. „Wirken
wir jetzt für den Frieden und wirken wir vereint." In den Jahren, in denen
die verantwortliche Politik Italiens den Händen Crispis anvertraut worden
war, beherrschte seine ganze Persönlichkeit den politischen Horizont des jungen König¬
reiches. Er verehrte Bismarck als den Mann, der dreißig Jahre lang ge¬
arbeitet hatte für die Größe seines Vaterlandes, der wußte, was er wollte,
„und der, was er wollte, mit der ganzen Kraft seines Willens wollte." Man
hatte Crispi infolge seiner Unterredungen in Friedrichsruh. besonders von franzöfi-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/209>, abgerufen am 28.07.2024.