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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Bismarck und die italienische Politik

stärkten, bliebe Italien, so oft es dem Nachbarreiche gefiele, einer Invasion aus¬
gesetzt. Bismarck sollte daher den Grafen Andrassy von jedem Verlangen nach
einer Eroberung im ottomanischen Gebiet abbringen.

Der Kanzler war hingegen keineswegs gewillt, ein solches Zugeständnis
M machen, er verhielt sich vielmehr abweisend: "Österreich verfolgt eine gute
Politik, und ich darf glauben, daß es dabei bleibt." Und als Crispi weiter¬
gehend die unverhohlene Äußerung tat, eine Provinz an der Adria genüge dem
italienischen Volke nicht als Kompensation für eine Besetzung Bosniens und der
Herzegowina durch Österreich, denn Italien habe keine Grenzen nach Osten,
wurde Bismarck sehr deutlich: "Nein, ich will weder die böhmische Frage und
noch viel weniger die Ihrer Ostgrenzen berühren. Lassen wir sie jetzt. Ich
möchte nichts berühren, was dem Grafen Andrassy mißfallen könnte; denn ich
will ihn mir als Freund bewahren."

Im Jahre 1877 hatte Italien den günstigsten Augenblick für einen Anschluß
an Deutschland, das noch keine Verpflichtungen eingegangen war, verpaßt.
Denn erst 1879, als Bismarck vor die Wahl zwischen Rußland und Österreich
gestellt war, kam das deutsch-österreichische Bündnis zustande. Crispi, der alles
versucht hatte, um die italienische Regierung zum Abschluß eines solchen Bünd¬
nisses zu bewegen, schreibt hierüber treffend: "Ein deutsch-italienisches Bündnis
hätte Italien, abgesehen von allen anderen moralischen, politischen und wirt¬
schaftlichen Vorteilen, auf dem Berliner Kongreß dazu verholfen, seine Rechte
vertreten zu können; es hätte das spätere österreichisch-deutsche Bündnis nicht
verhindert; aber nicht Italien, sondern Österreich-Ungarn wäre
als Dritter Deutschlands Bündnissystem beigetreten, Italien wäre
die Demütigung erspart geblieben, die ihm im Jahre 1882 auferlegt wurde,
sich erst nach Wien wenden zu müssen, um in Berlin Gehör zu finden; endlich
hätte Frankreich im Jahre 1878 nicht "carte dlanene" zur Einnahme von
Tunis erhalten, und es hätte nicht gewagt, auf dem Recht des Stärkeren
fußend, Italien zu erniedrigen." (Crispi: Memoiren S. 91).

Andererseits waren diese Unterredungen Crispis, die er in seiner Eigen¬
schaft als Kammerpräsident führte, dazu angetan, den Verdacht der französischen
Presse und Regierung zu erregen. Der Präsident der italienischen Volks¬
vertretung hatte die politische Notwendigkeit eines deutsch-italienischen Bündnisses
erkannt, nicht aber das italienische Ministerium (Depretis, Cairoli), wie gleicher¬
maßen der größte Teil der italienischen Presse, die beide auch angesichts der
Aktion Frankreichs in Tunis noch an den freundschaftlichsten Beziehungen mit
der romanischen Schwesternation festzuhalten gewillt waren. Die "Opinione",
eines der bedeutendsten Organe der Gemäßigten, ging sogar soweit, der
italienischen Regierung vorzuwerfen, daß sie auf Kosten der Würde Italiens
gute Beziehungen zu dem Berliner Kabinett unterhalte. Die Abmachungen
über das Schicksal von Tunis waren eine Tatsache; weder das englische Kabinett
noch Bismarck waren infolge der Unbeständigkeit und Unsicherheit der aus-


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Bismarck und die italienische Politik

stärkten, bliebe Italien, so oft es dem Nachbarreiche gefiele, einer Invasion aus¬
gesetzt. Bismarck sollte daher den Grafen Andrassy von jedem Verlangen nach
einer Eroberung im ottomanischen Gebiet abbringen.

Der Kanzler war hingegen keineswegs gewillt, ein solches Zugeständnis
M machen, er verhielt sich vielmehr abweisend: „Österreich verfolgt eine gute
Politik, und ich darf glauben, daß es dabei bleibt." Und als Crispi weiter¬
gehend die unverhohlene Äußerung tat, eine Provinz an der Adria genüge dem
italienischen Volke nicht als Kompensation für eine Besetzung Bosniens und der
Herzegowina durch Österreich, denn Italien habe keine Grenzen nach Osten,
wurde Bismarck sehr deutlich: „Nein, ich will weder die böhmische Frage und
noch viel weniger die Ihrer Ostgrenzen berühren. Lassen wir sie jetzt. Ich
möchte nichts berühren, was dem Grafen Andrassy mißfallen könnte; denn ich
will ihn mir als Freund bewahren."

Im Jahre 1877 hatte Italien den günstigsten Augenblick für einen Anschluß
an Deutschland, das noch keine Verpflichtungen eingegangen war, verpaßt.
Denn erst 1879, als Bismarck vor die Wahl zwischen Rußland und Österreich
gestellt war, kam das deutsch-österreichische Bündnis zustande. Crispi, der alles
versucht hatte, um die italienische Regierung zum Abschluß eines solchen Bünd¬
nisses zu bewegen, schreibt hierüber treffend: „Ein deutsch-italienisches Bündnis
hätte Italien, abgesehen von allen anderen moralischen, politischen und wirt¬
schaftlichen Vorteilen, auf dem Berliner Kongreß dazu verholfen, seine Rechte
vertreten zu können; es hätte das spätere österreichisch-deutsche Bündnis nicht
verhindert; aber nicht Italien, sondern Österreich-Ungarn wäre
als Dritter Deutschlands Bündnissystem beigetreten, Italien wäre
die Demütigung erspart geblieben, die ihm im Jahre 1882 auferlegt wurde,
sich erst nach Wien wenden zu müssen, um in Berlin Gehör zu finden; endlich
hätte Frankreich im Jahre 1878 nicht „carte dlanene" zur Einnahme von
Tunis erhalten, und es hätte nicht gewagt, auf dem Recht des Stärkeren
fußend, Italien zu erniedrigen." (Crispi: Memoiren S. 91).

Andererseits waren diese Unterredungen Crispis, die er in seiner Eigen¬
schaft als Kammerpräsident führte, dazu angetan, den Verdacht der französischen
Presse und Regierung zu erregen. Der Präsident der italienischen Volks¬
vertretung hatte die politische Notwendigkeit eines deutsch-italienischen Bündnisses
erkannt, nicht aber das italienische Ministerium (Depretis, Cairoli), wie gleicher¬
maßen der größte Teil der italienischen Presse, die beide auch angesichts der
Aktion Frankreichs in Tunis noch an den freundschaftlichsten Beziehungen mit
der romanischen Schwesternation festzuhalten gewillt waren. Die „Opinione",
eines der bedeutendsten Organe der Gemäßigten, ging sogar soweit, der
italienischen Regierung vorzuwerfen, daß sie auf Kosten der Würde Italiens
gute Beziehungen zu dem Berliner Kabinett unterhalte. Die Abmachungen
über das Schicksal von Tunis waren eine Tatsache; weder das englische Kabinett
noch Bismarck waren infolge der Unbeständigkeit und Unsicherheit der aus-


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[0207] Bismarck und die italienische Politik stärkten, bliebe Italien, so oft es dem Nachbarreiche gefiele, einer Invasion aus¬ gesetzt. Bismarck sollte daher den Grafen Andrassy von jedem Verlangen nach einer Eroberung im ottomanischen Gebiet abbringen. Der Kanzler war hingegen keineswegs gewillt, ein solches Zugeständnis M machen, er verhielt sich vielmehr abweisend: „Österreich verfolgt eine gute Politik, und ich darf glauben, daß es dabei bleibt." Und als Crispi weiter¬ gehend die unverhohlene Äußerung tat, eine Provinz an der Adria genüge dem italienischen Volke nicht als Kompensation für eine Besetzung Bosniens und der Herzegowina durch Österreich, denn Italien habe keine Grenzen nach Osten, wurde Bismarck sehr deutlich: „Nein, ich will weder die böhmische Frage und noch viel weniger die Ihrer Ostgrenzen berühren. Lassen wir sie jetzt. Ich möchte nichts berühren, was dem Grafen Andrassy mißfallen könnte; denn ich will ihn mir als Freund bewahren." Im Jahre 1877 hatte Italien den günstigsten Augenblick für einen Anschluß an Deutschland, das noch keine Verpflichtungen eingegangen war, verpaßt. Denn erst 1879, als Bismarck vor die Wahl zwischen Rußland und Österreich gestellt war, kam das deutsch-österreichische Bündnis zustande. Crispi, der alles versucht hatte, um die italienische Regierung zum Abschluß eines solchen Bünd¬ nisses zu bewegen, schreibt hierüber treffend: „Ein deutsch-italienisches Bündnis hätte Italien, abgesehen von allen anderen moralischen, politischen und wirt¬ schaftlichen Vorteilen, auf dem Berliner Kongreß dazu verholfen, seine Rechte vertreten zu können; es hätte das spätere österreichisch-deutsche Bündnis nicht verhindert; aber nicht Italien, sondern Österreich-Ungarn wäre als Dritter Deutschlands Bündnissystem beigetreten, Italien wäre die Demütigung erspart geblieben, die ihm im Jahre 1882 auferlegt wurde, sich erst nach Wien wenden zu müssen, um in Berlin Gehör zu finden; endlich hätte Frankreich im Jahre 1878 nicht „carte dlanene" zur Einnahme von Tunis erhalten, und es hätte nicht gewagt, auf dem Recht des Stärkeren fußend, Italien zu erniedrigen." (Crispi: Memoiren S. 91). Andererseits waren diese Unterredungen Crispis, die er in seiner Eigen¬ schaft als Kammerpräsident führte, dazu angetan, den Verdacht der französischen Presse und Regierung zu erregen. Der Präsident der italienischen Volks¬ vertretung hatte die politische Notwendigkeit eines deutsch-italienischen Bündnisses erkannt, nicht aber das italienische Ministerium (Depretis, Cairoli), wie gleicher¬ maßen der größte Teil der italienischen Presse, die beide auch angesichts der Aktion Frankreichs in Tunis noch an den freundschaftlichsten Beziehungen mit der romanischen Schwesternation festzuhalten gewillt waren. Die „Opinione", eines der bedeutendsten Organe der Gemäßigten, ging sogar soweit, der italienischen Regierung vorzuwerfen, daß sie auf Kosten der Würde Italiens gute Beziehungen zu dem Berliner Kabinett unterhalte. Die Abmachungen über das Schicksal von Tunis waren eine Tatsache; weder das englische Kabinett noch Bismarck waren infolge der Unbeständigkeit und Unsicherheit der aus- 13*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/207>, abgerufen am 23.12.2024.