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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Sie Auslese der Begabten

der Beweis oft genug geliefert. Reicher Leute Kinder sind selbstverständlich
auch auf höheren Schulen; aber die Kinder der Armen find nicht von ihnen
ausgeschlossen. Noch unlängst hat das der preußische Kultusminister in der
Staatshaushaltskommisston des Abgeordnetenhauses zahlenmäßig bewiesen. Er
hat betont, daß der Mittelstand die breite Menge des Schülermaterials auf den
höheren Schulen stellt, daß die dritte Klasse (das sind die Handwerker, Arbeiter
und Angestellten minderer Ordnung) viel stärker vertreten ist, als die erste (die
Akademiker, Großkaufleute, Großgrundbesitzer, Fabrikbesitzer u. tgi.), so daß
man jedenfalls nicht sagen kann, der Zutritt zu den höheren Schulen stände
den Minderbemittelten nicht in weitesten Maße offen. Den armen Schülern
werden von den rund 36 Millionen Mark Schulgeld, die in Preußen einkommen,
10 Prozent erlassen, und an den preußischen Universitäten erhalten sie allein
aus Staatsfonds fast 800 000 Mark Stipendien. In diesen Summen
sind nicht einmal die großen anderen Hilfsmittel enthalten, die unabhängig
davon den mittellosen Studierenden in Deutschland zugute kommen. Nur auf
Unkenntnis der Tatsachen beruht also die oft ausgesprochene Behauptung, der
Aufstieg werde den Armen ungebührlich erschwert. Es ist gerade aus diesem
Grunde auch zu keiner Zeit Mangel an akademisch Gebildeten in Deutschland
gewesen; eher muß man vom Gegenteil reden. Der Andrang zu den höheren
Schulen und den Hochschulen bildet in Deutschland oft genug geradezu eine
Kalamität. Diejenigen aber, welche das große Problem der Auslese Begabter
mit dem Schlagworte des "Rechtes auf Bildung" lösen und deshalb den unent¬
geltlichen Unterricht von der Volksschule bis zur Hochschule einführen wollen,
werden es damit ganz gewiß nicht lösen. Aber sie werden noch mehr Menschen
unzufrieden oder unglücklich machen, weil sich infolge dieser utopischen Theorie
noch mehr unbegabte Arme auf diese Wege treiben lassen, um zu spät ein¬
zusehen, wie töricht sie gehandelt haben. Die viel zu hohe gesellschaftliche
Bewertung des akademischen Studiums gegenüber den praktischen Berufen ent¬
zieht den letzteren eine Menge Intelligenz, die hier ihr richtiges Arbeitsfeld
finden würde, während sie dort vielfach brach liegt oder in bürokratischer
Schablonenarbeit mißbraucht wird. Dem muß eine organisierte Auslese plan¬
mäßig entgegenwirken, indem sie nicht unbedingt Geeignete von den höheren
Schulen geradezu abhält und auf die Mittelschulen leitet. Das wird aber am
leichtesten und sichersten bei den Bevölkerungsschichten Erfolg haben, die sich in
dieser Hinsicht noch raten lassen. Aus diesen Kreisen geht viel Intelligenz ver¬
loren, weil sie nicht entdeckt und ihr nicht der richtige Weg frühzeitig gewiesen
wurde.

Auch der preußische Kultusnnnister hat nun bereits den allein möglichen
Weg zur Auslese angegeben, indem er eindringlich auf den Besuch der Mittel¬
schule hinwies. Sie steht mit der Volksschule in direkter Beziehung; ihr können
also die begabten Schüler leicht zugeführt werden. Das Schulgeld ist so gering,
daß es auch vou wenig bemittelten Eltern aufgebracht werden kann. Eine


Sie Auslese der Begabten

der Beweis oft genug geliefert. Reicher Leute Kinder sind selbstverständlich
auch auf höheren Schulen; aber die Kinder der Armen find nicht von ihnen
ausgeschlossen. Noch unlängst hat das der preußische Kultusminister in der
Staatshaushaltskommisston des Abgeordnetenhauses zahlenmäßig bewiesen. Er
hat betont, daß der Mittelstand die breite Menge des Schülermaterials auf den
höheren Schulen stellt, daß die dritte Klasse (das sind die Handwerker, Arbeiter
und Angestellten minderer Ordnung) viel stärker vertreten ist, als die erste (die
Akademiker, Großkaufleute, Großgrundbesitzer, Fabrikbesitzer u. tgi.), so daß
man jedenfalls nicht sagen kann, der Zutritt zu den höheren Schulen stände
den Minderbemittelten nicht in weitesten Maße offen. Den armen Schülern
werden von den rund 36 Millionen Mark Schulgeld, die in Preußen einkommen,
10 Prozent erlassen, und an den preußischen Universitäten erhalten sie allein
aus Staatsfonds fast 800 000 Mark Stipendien. In diesen Summen
sind nicht einmal die großen anderen Hilfsmittel enthalten, die unabhängig
davon den mittellosen Studierenden in Deutschland zugute kommen. Nur auf
Unkenntnis der Tatsachen beruht also die oft ausgesprochene Behauptung, der
Aufstieg werde den Armen ungebührlich erschwert. Es ist gerade aus diesem
Grunde auch zu keiner Zeit Mangel an akademisch Gebildeten in Deutschland
gewesen; eher muß man vom Gegenteil reden. Der Andrang zu den höheren
Schulen und den Hochschulen bildet in Deutschland oft genug geradezu eine
Kalamität. Diejenigen aber, welche das große Problem der Auslese Begabter
mit dem Schlagworte des „Rechtes auf Bildung" lösen und deshalb den unent¬
geltlichen Unterricht von der Volksschule bis zur Hochschule einführen wollen,
werden es damit ganz gewiß nicht lösen. Aber sie werden noch mehr Menschen
unzufrieden oder unglücklich machen, weil sich infolge dieser utopischen Theorie
noch mehr unbegabte Arme auf diese Wege treiben lassen, um zu spät ein¬
zusehen, wie töricht sie gehandelt haben. Die viel zu hohe gesellschaftliche
Bewertung des akademischen Studiums gegenüber den praktischen Berufen ent¬
zieht den letzteren eine Menge Intelligenz, die hier ihr richtiges Arbeitsfeld
finden würde, während sie dort vielfach brach liegt oder in bürokratischer
Schablonenarbeit mißbraucht wird. Dem muß eine organisierte Auslese plan¬
mäßig entgegenwirken, indem sie nicht unbedingt Geeignete von den höheren
Schulen geradezu abhält und auf die Mittelschulen leitet. Das wird aber am
leichtesten und sichersten bei den Bevölkerungsschichten Erfolg haben, die sich in
dieser Hinsicht noch raten lassen. Aus diesen Kreisen geht viel Intelligenz ver¬
loren, weil sie nicht entdeckt und ihr nicht der richtige Weg frühzeitig gewiesen
wurde.

Auch der preußische Kultusnnnister hat nun bereits den allein möglichen
Weg zur Auslese angegeben, indem er eindringlich auf den Besuch der Mittel¬
schule hinwies. Sie steht mit der Volksschule in direkter Beziehung; ihr können
also die begabten Schüler leicht zugeführt werden. Das Schulgeld ist so gering,
daß es auch vou wenig bemittelten Eltern aufgebracht werden kann. Eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/181>, abgerufen am 01.09.2024.