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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Das Judentum auf dem Wiener Kongreß

dings bald darauf durch seine jüdische Maitresse Fanny Lombard ruiniert
wurde, Gouvernante gewesen, hatte aber das Herz des Barons Henri Geymüller
so in Flammen gesetzt, daß er sie heiratete. Die nicht nur schöne, sondern auch
gefallsüchtige und recht galante Frau neigte, trotzdem sie einer völlig unbe¬
mittelten Sphäre entstammte, zu maßlosem Luxus, und ihre Ehe war denn
auch nichts weniger als glücklich. Was Frau Rosalie dasür entschädigte, war
die Musik; mit einer schönen und gut geschulten Stimme begabt, sang sie am
16. Oktober 1814 gelegentlich der Ausführung von Handels "Samson", der
auch der Hof und ein großer Teil der Kongreßmitglieder beiwohnte, eine der
Solopartien. Wenn sie sich freilich der Hoffnung hingab, in ihren Salons --
der Versuch wurde schon vor Eröffnung des Kongresses gemacht -- eine An¬
näherung zwischen dem hohen Adel und der besseren bürgerlichen Gesellschaft
herbeizuführen, so täuschte sie sich über die Grenzen des Möglichen: in den
"Erinnerungen" der Baronin Du Mörtel lesen wir eine außerordentlich scharfe
von der Fürstin Kaunitz an der Gesellschaft, die sie bei Frau von Genmüller
getroffen hatte, geübte Kritik. Ein anderes an derselben Stelle zu findendes
Urteil, das die etwas weniger exklusive Gräfin Palffy über das in Frage
stehende Fest abgab, lautete allerdings erheblich günstiger. Doch es blieb dabei:
die Aristokratie der Geburt verhielt sich den anderen Kreisen -- natürlich auch
den gebildeten jüdischen -- gegenüber nach wie vor ablehnend; törichterweise --
denn sie wurde dadurch auch von denjenigen des Geistes getrennt: die "Prinzen
aus Genieland" wohnten jenseit der absurden Demarkationslinie. Und dabei
wies z. B. die Gräfin Sophie Zichy eine Physiognomie auf, als sei sie soeben
irgend einem Ghetto entsprungen I Prinz Anton Radziwill, der den öster¬
reichischen Hochadel kannte, schildert ihn seiner Gemahlin in einem Briefe
folgendermaßen: "Leichtsinn, Flachheit, Prunk, Stolz und wenig innerer Gehalt.
Sie sind gutmütig, ja, aber nur untereinander."

Versuche jüdischer Millionäre, in der Sphäre des blauen Blutes festen Fuß zu
fassen, sind übrigens, selbst wenn wir von aktuellen Erscheinungen absehen, auch nach
den Tagen des Wiener Kongresses oft genug gemacht worden. Ich erinnere nur an
den Frankfurter Amschel Maier Rothschild, der 1844 den Prinzen Wilhelm
von Preußen, den späteren ersten Kaiser des neuen Deutschlands, als dieser in
Homburg weilte, durch Vermittlung des Adjutanten Grafen Königsmarck --
allerdings vergeblich -- mit den Worten zu Tische zu laden versuchte: "Esse
Sie bei mir, ich hab' alle vornehme Lein' und große Herren zu Tisch. Und
das ist einmal so mein' Sach', sie müsse alle bei mir esse. Wenn der Herr
Christus tun'. er würd' auch bei mir esse!" Und man aß in der Tat bei
allen Rothschilds gut; zehn Jahre nach dem Kongreß hatte der Chef der Pariser
Linie den berühmten Koch ^i. Caröme, den "iÄmeux empoi8ormLur".

Als erstes der Wiener Bankhäuser figurierte während des Kongresses aber
unbedingt die weltbekannte, infolge ihres soliden Geschäftsgebarens ausnehmend
geachtete Firma "Arnstein u. Eskeles", die viel Verkehr zumal mit Italien


Das Judentum auf dem Wiener Kongreß

dings bald darauf durch seine jüdische Maitresse Fanny Lombard ruiniert
wurde, Gouvernante gewesen, hatte aber das Herz des Barons Henri Geymüller
so in Flammen gesetzt, daß er sie heiratete. Die nicht nur schöne, sondern auch
gefallsüchtige und recht galante Frau neigte, trotzdem sie einer völlig unbe¬
mittelten Sphäre entstammte, zu maßlosem Luxus, und ihre Ehe war denn
auch nichts weniger als glücklich. Was Frau Rosalie dasür entschädigte, war
die Musik; mit einer schönen und gut geschulten Stimme begabt, sang sie am
16. Oktober 1814 gelegentlich der Ausführung von Handels „Samson", der
auch der Hof und ein großer Teil der Kongreßmitglieder beiwohnte, eine der
Solopartien. Wenn sie sich freilich der Hoffnung hingab, in ihren Salons —
der Versuch wurde schon vor Eröffnung des Kongresses gemacht — eine An¬
näherung zwischen dem hohen Adel und der besseren bürgerlichen Gesellschaft
herbeizuführen, so täuschte sie sich über die Grenzen des Möglichen: in den
„Erinnerungen" der Baronin Du Mörtel lesen wir eine außerordentlich scharfe
von der Fürstin Kaunitz an der Gesellschaft, die sie bei Frau von Genmüller
getroffen hatte, geübte Kritik. Ein anderes an derselben Stelle zu findendes
Urteil, das die etwas weniger exklusive Gräfin Palffy über das in Frage
stehende Fest abgab, lautete allerdings erheblich günstiger. Doch es blieb dabei:
die Aristokratie der Geburt verhielt sich den anderen Kreisen — natürlich auch
den gebildeten jüdischen — gegenüber nach wie vor ablehnend; törichterweise —
denn sie wurde dadurch auch von denjenigen des Geistes getrennt: die „Prinzen
aus Genieland" wohnten jenseit der absurden Demarkationslinie. Und dabei
wies z. B. die Gräfin Sophie Zichy eine Physiognomie auf, als sei sie soeben
irgend einem Ghetto entsprungen I Prinz Anton Radziwill, der den öster¬
reichischen Hochadel kannte, schildert ihn seiner Gemahlin in einem Briefe
folgendermaßen: „Leichtsinn, Flachheit, Prunk, Stolz und wenig innerer Gehalt.
Sie sind gutmütig, ja, aber nur untereinander."

Versuche jüdischer Millionäre, in der Sphäre des blauen Blutes festen Fuß zu
fassen, sind übrigens, selbst wenn wir von aktuellen Erscheinungen absehen, auch nach
den Tagen des Wiener Kongresses oft genug gemacht worden. Ich erinnere nur an
den Frankfurter Amschel Maier Rothschild, der 1844 den Prinzen Wilhelm
von Preußen, den späteren ersten Kaiser des neuen Deutschlands, als dieser in
Homburg weilte, durch Vermittlung des Adjutanten Grafen Königsmarck —
allerdings vergeblich — mit den Worten zu Tische zu laden versuchte: „Esse
Sie bei mir, ich hab' alle vornehme Lein' und große Herren zu Tisch. Und
das ist einmal so mein' Sach', sie müsse alle bei mir esse. Wenn der Herr
Christus tun'. er würd' auch bei mir esse!" Und man aß in der Tat bei
allen Rothschilds gut; zehn Jahre nach dem Kongreß hatte der Chef der Pariser
Linie den berühmten Koch ^i. Caröme, den „iÄmeux empoi8ormLur".

Als erstes der Wiener Bankhäuser figurierte während des Kongresses aber
unbedingt die weltbekannte, infolge ihres soliden Geschäftsgebarens ausnehmend
geachtete Firma „Arnstein u. Eskeles", die viel Verkehr zumal mit Italien


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[0162] Das Judentum auf dem Wiener Kongreß dings bald darauf durch seine jüdische Maitresse Fanny Lombard ruiniert wurde, Gouvernante gewesen, hatte aber das Herz des Barons Henri Geymüller so in Flammen gesetzt, daß er sie heiratete. Die nicht nur schöne, sondern auch gefallsüchtige und recht galante Frau neigte, trotzdem sie einer völlig unbe¬ mittelten Sphäre entstammte, zu maßlosem Luxus, und ihre Ehe war denn auch nichts weniger als glücklich. Was Frau Rosalie dasür entschädigte, war die Musik; mit einer schönen und gut geschulten Stimme begabt, sang sie am 16. Oktober 1814 gelegentlich der Ausführung von Handels „Samson", der auch der Hof und ein großer Teil der Kongreßmitglieder beiwohnte, eine der Solopartien. Wenn sie sich freilich der Hoffnung hingab, in ihren Salons — der Versuch wurde schon vor Eröffnung des Kongresses gemacht — eine An¬ näherung zwischen dem hohen Adel und der besseren bürgerlichen Gesellschaft herbeizuführen, so täuschte sie sich über die Grenzen des Möglichen: in den „Erinnerungen" der Baronin Du Mörtel lesen wir eine außerordentlich scharfe von der Fürstin Kaunitz an der Gesellschaft, die sie bei Frau von Genmüller getroffen hatte, geübte Kritik. Ein anderes an derselben Stelle zu findendes Urteil, das die etwas weniger exklusive Gräfin Palffy über das in Frage stehende Fest abgab, lautete allerdings erheblich günstiger. Doch es blieb dabei: die Aristokratie der Geburt verhielt sich den anderen Kreisen — natürlich auch den gebildeten jüdischen — gegenüber nach wie vor ablehnend; törichterweise — denn sie wurde dadurch auch von denjenigen des Geistes getrennt: die „Prinzen aus Genieland" wohnten jenseit der absurden Demarkationslinie. Und dabei wies z. B. die Gräfin Sophie Zichy eine Physiognomie auf, als sei sie soeben irgend einem Ghetto entsprungen I Prinz Anton Radziwill, der den öster¬ reichischen Hochadel kannte, schildert ihn seiner Gemahlin in einem Briefe folgendermaßen: „Leichtsinn, Flachheit, Prunk, Stolz und wenig innerer Gehalt. Sie sind gutmütig, ja, aber nur untereinander." Versuche jüdischer Millionäre, in der Sphäre des blauen Blutes festen Fuß zu fassen, sind übrigens, selbst wenn wir von aktuellen Erscheinungen absehen, auch nach den Tagen des Wiener Kongresses oft genug gemacht worden. Ich erinnere nur an den Frankfurter Amschel Maier Rothschild, der 1844 den Prinzen Wilhelm von Preußen, den späteren ersten Kaiser des neuen Deutschlands, als dieser in Homburg weilte, durch Vermittlung des Adjutanten Grafen Königsmarck — allerdings vergeblich — mit den Worten zu Tische zu laden versuchte: „Esse Sie bei mir, ich hab' alle vornehme Lein' und große Herren zu Tisch. Und das ist einmal so mein' Sach', sie müsse alle bei mir esse. Wenn der Herr Christus tun'. er würd' auch bei mir esse!" Und man aß in der Tat bei allen Rothschilds gut; zehn Jahre nach dem Kongreß hatte der Chef der Pariser Linie den berühmten Koch ^i. Caröme, den „iÄmeux empoi8ormLur". Als erstes der Wiener Bankhäuser figurierte während des Kongresses aber unbedingt die weltbekannte, infolge ihres soliden Geschäftsgebarens ausnehmend geachtete Firma „Arnstein u. Eskeles", die viel Verkehr zumal mit Italien

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/162>, abgerufen am 23.12.2024.