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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Das Judentum auf dem Wiener Kongreß

Urquell jener 8erap-of-pa,per-Theorie zu brandmarken, die seit August 1914
in der Welt als offizielle Lehre des verträgezerreißenden Deutschland gilt. Es
widerstrebt einem seit langem, den schon fast verbrauchten Vorwurf der Heuchelei
auf Engländer anzuwenden; aber ist dies, zusammen mit der ganzen Greuel¬
litanei und dem abgestandenen Schwindel über edle eyniLal violation ok tke
treAty xvliick Auaranweä tke neutralit^ ok öelAium, nicht Heuchelei in ihrer
widerwärtigsten Form?

Nach alledem dürfte es sich erübrigen, noch auf die Auslassungen über
"deutsche Kultur" einzugehen. Sie stehen auf derselben Höhe wie das übrige.

So also stellt man jetzt Heinrich von Treitschke dem britischen Leser dar;
dieses Zerrbild von ihm wird in der Welt verbreitet. Denn ein Zerrbild bleibt
es, wenn auch der kritische Leser, sogar wenn er nur den fehlerhaften englischen
Text McCabes vor Augen hat, in Treitschkes eigenen Worten seine Recht¬
fertigung und die Widerlegung des gehässigen Anklägers finden kann. Kritisch
stehen auch wir dem feurigen Kämpfer gegenüber, und nicht weniges betrachten
wir heute mit anderem Urteil als er. Aber das soll uns nicht hindern, ihn
um so mehr zu lieben, je mehr ihn das Ausland verunglimpft, und uns zu
ihm zu bekennen, gleichwie er sich mit unerschütterlicher Treue stets zu seinem
Volk bekannt hat.




Das Judentum auf dem Wiener Aongreß
Professor Dr, Willi Müller von

s geschah im Herbste 1814, daß die Fürsten unseres Erdteils mit
allem Zubehör in der alten Kaiserstadt an der Donau zusammen¬
kamen, um die durch die napoleonischen Wirren aus den Fugen
gegangene Welt wieder zusammenzuleimen: Europa war in Wien.
Offizielle und offiziöse Diners fanden täglich statt, und an Kon¬
zerten, Maskenbällen, Karussells oder Jagdpartien war so wenig Mangel wie
an Revuen. Paraden und sonstigen militärischen Schaustellungen; auf 30 Mil¬
lionen Gulden werden von kompetenter Seite die Kosten geschätzt, die dem
Wiener Hofe seine Gastfreundschaft verursachte, eine Summe, mit der die Ver¬
gnügungen der kaiserlichen und königlichen Herren wie die geistvollen Be¬
merkungen des Fürsten von Ligne ja allerdings teuer genug bezahlt wurden.
Bott begann aber auch die vornehme Wiener Gesellschaft sich gastlich zu er¬
weisen, und ihr schlössen sich die bedeutendsten Finanzleute -- meist jüdischer
Abstammung -- an; mancher der erlauchten Gäste mag die Vermittlung dieser


10*
Das Judentum auf dem Wiener Kongreß

Urquell jener 8erap-of-pa,per-Theorie zu brandmarken, die seit August 1914
in der Welt als offizielle Lehre des verträgezerreißenden Deutschland gilt. Es
widerstrebt einem seit langem, den schon fast verbrauchten Vorwurf der Heuchelei
auf Engländer anzuwenden; aber ist dies, zusammen mit der ganzen Greuel¬
litanei und dem abgestandenen Schwindel über edle eyniLal violation ok tke
treAty xvliick Auaranweä tke neutralit^ ok öelAium, nicht Heuchelei in ihrer
widerwärtigsten Form?

Nach alledem dürfte es sich erübrigen, noch auf die Auslassungen über
„deutsche Kultur" einzugehen. Sie stehen auf derselben Höhe wie das übrige.

So also stellt man jetzt Heinrich von Treitschke dem britischen Leser dar;
dieses Zerrbild von ihm wird in der Welt verbreitet. Denn ein Zerrbild bleibt
es, wenn auch der kritische Leser, sogar wenn er nur den fehlerhaften englischen
Text McCabes vor Augen hat, in Treitschkes eigenen Worten seine Recht¬
fertigung und die Widerlegung des gehässigen Anklägers finden kann. Kritisch
stehen auch wir dem feurigen Kämpfer gegenüber, und nicht weniges betrachten
wir heute mit anderem Urteil als er. Aber das soll uns nicht hindern, ihn
um so mehr zu lieben, je mehr ihn das Ausland verunglimpft, und uns zu
ihm zu bekennen, gleichwie er sich mit unerschütterlicher Treue stets zu seinem
Volk bekannt hat.




Das Judentum auf dem Wiener Aongreß
Professor Dr, Willi Müller von

s geschah im Herbste 1814, daß die Fürsten unseres Erdteils mit
allem Zubehör in der alten Kaiserstadt an der Donau zusammen¬
kamen, um die durch die napoleonischen Wirren aus den Fugen
gegangene Welt wieder zusammenzuleimen: Europa war in Wien.
Offizielle und offiziöse Diners fanden täglich statt, und an Kon¬
zerten, Maskenbällen, Karussells oder Jagdpartien war so wenig Mangel wie
an Revuen. Paraden und sonstigen militärischen Schaustellungen; auf 30 Mil¬
lionen Gulden werden von kompetenter Seite die Kosten geschätzt, die dem
Wiener Hofe seine Gastfreundschaft verursachte, eine Summe, mit der die Ver¬
gnügungen der kaiserlichen und königlichen Herren wie die geistvollen Be¬
merkungen des Fürsten von Ligne ja allerdings teuer genug bezahlt wurden.
Bott begann aber auch die vornehme Wiener Gesellschaft sich gastlich zu er¬
weisen, und ihr schlössen sich die bedeutendsten Finanzleute — meist jüdischer
Abstammung — an; mancher der erlauchten Gäste mag die Vermittlung dieser


10*
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[0159] Das Judentum auf dem Wiener Kongreß Urquell jener 8erap-of-pa,per-Theorie zu brandmarken, die seit August 1914 in der Welt als offizielle Lehre des verträgezerreißenden Deutschland gilt. Es widerstrebt einem seit langem, den schon fast verbrauchten Vorwurf der Heuchelei auf Engländer anzuwenden; aber ist dies, zusammen mit der ganzen Greuel¬ litanei und dem abgestandenen Schwindel über edle eyniLal violation ok tke treAty xvliick Auaranweä tke neutralit^ ok öelAium, nicht Heuchelei in ihrer widerwärtigsten Form? Nach alledem dürfte es sich erübrigen, noch auf die Auslassungen über „deutsche Kultur" einzugehen. Sie stehen auf derselben Höhe wie das übrige. So also stellt man jetzt Heinrich von Treitschke dem britischen Leser dar; dieses Zerrbild von ihm wird in der Welt verbreitet. Denn ein Zerrbild bleibt es, wenn auch der kritische Leser, sogar wenn er nur den fehlerhaften englischen Text McCabes vor Augen hat, in Treitschkes eigenen Worten seine Recht¬ fertigung und die Widerlegung des gehässigen Anklägers finden kann. Kritisch stehen auch wir dem feurigen Kämpfer gegenüber, und nicht weniges betrachten wir heute mit anderem Urteil als er. Aber das soll uns nicht hindern, ihn um so mehr zu lieben, je mehr ihn das Ausland verunglimpft, und uns zu ihm zu bekennen, gleichwie er sich mit unerschütterlicher Treue stets zu seinem Volk bekannt hat. Das Judentum auf dem Wiener Aongreß Professor Dr, Willi Müller von s geschah im Herbste 1814, daß die Fürsten unseres Erdteils mit allem Zubehör in der alten Kaiserstadt an der Donau zusammen¬ kamen, um die durch die napoleonischen Wirren aus den Fugen gegangene Welt wieder zusammenzuleimen: Europa war in Wien. Offizielle und offiziöse Diners fanden täglich statt, und an Kon¬ zerten, Maskenbällen, Karussells oder Jagdpartien war so wenig Mangel wie an Revuen. Paraden und sonstigen militärischen Schaustellungen; auf 30 Mil¬ lionen Gulden werden von kompetenter Seite die Kosten geschätzt, die dem Wiener Hofe seine Gastfreundschaft verursachte, eine Summe, mit der die Ver¬ gnügungen der kaiserlichen und königlichen Herren wie die geistvollen Be¬ merkungen des Fürsten von Ligne ja allerdings teuer genug bezahlt wurden. Bott begann aber auch die vornehme Wiener Gesellschaft sich gastlich zu er¬ weisen, und ihr schlössen sich die bedeutendsten Finanzleute — meist jüdischer Abstammung — an; mancher der erlauchten Gäste mag die Vermittlung dieser 10*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/159>, abgerufen am 01.09.2024.