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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Treitschke in englischer Beleuchtung

deutschen Volkes erneuern möge -- eine unverzeihliche Sünde in den Augen
eines Engländers, denn die Alleinherrschaft auf dem Meere ist das gottgewollte
Vorrecht des Briten. Er hat ferner beklagt, daß die Mündung des deutschen
Rheins unter fremder Herrschaft steht, und es für notwendig erklärt, mit Holland
eine zwar nicht politische, aber wirtschaftliche Vereinigung herzustellen. Jedem
Unbefangenen wird dies einleuchten; für McCabe genügt es als Beweis, daß
wir bei nächster Gelegenheit Hollands Selbständigkeit vernichten wollen. Doch
es lohnt nicht, bei diesen armseligen Argumenten zu verweilen. Treitschke hat
an sein Volk geglaubt, obschon er ihm seine Sünden mit nachsichtsloser Strenge
vorgehalten hat. Einer geschmacklosen, einseitigen Vergötterung des Deutschtums
hat er sich nie schuldig gemacht. Wer sich davon überzeugen will, braucht nur
McCaves zweites Kapitel zu lesen.

e) Das längste von allen Kapiteln des Buchs ist das vierte: IKe prai^s
ok tke war-Zock. Es besteht trotz seiner Länge zum allergrößten Teile aus
Zitaten. Der Ankläger hatte hier leichtes Spiel, denn Treitschke hat wirklich
mit Leidenschaft die politische und sittliche Berechtigung des Krieges verfochten,
da er es für unmöglich hielt, daß ein souveräner Staat, der diesen Namen ver¬
diente, je auf dieses letzte Mittel, seinen Willen durchzusetzen, verzichten könne,
und da er von einem Zustande verbürgten, ewigen Friedens eine Verkümmerung
aller männlichen, heldischen Charaktereigenschaften befürchtete -- eine Besorgnis,
die man in einem Zeitalter unheimlich wachsender Genußsucht und beständiger
Fortschritte des Feminismus nicht wird als unbegründet bezeichnen können.
Im übrigen wollen wir uns auf eine Diskussion der Sachfrage nicht einlassen,
da dies einen besonderen Aufsatz erfordern würde, sondern nur die Tatsachen
betonen, die Herrn McCabe entgangen sind: 1. Die Erfahrung der Geschichte
spricht für Treitschke. Nie hat ein Staat von einiger Bedeutung auf die
militärische Rüstung und das Recht der Kriegführung verzichtet. Mag für
Europas gepanzerten Frieden das schreckliche Beispiel Preußens verantwortlich
sein (was natürlich Unsinn ist, denn zwischen 1815 und 1864 hat Preußen
keinen einzigen Krieg geführt, während das übrige Europa ständig vom Geiöse
der Waffen widerhallte) -- sollte auch der schnöde Angriff des von pazifistischen
Phrasen triefenden Amerika auf Spanien, der Nivalitätskampf Rußlands mit
Japan, der räuberische Überfall Italiens auf Tripolis, der erste und zweite
Balkankrieg indirekt auf Preußen -- Deutschlands Schuldkonto kommen? Eng¬
lische Rabulistik brächte vielleicht den Beweis dafür zustande. 2. Waffendienst
und Kriegslust sind grundverschiedene Dinge, die nicht notwendig im Verhältnis
von Ursache und Wirkung stehen. Die Kanonen gehen nicht von selber los,
damit doch die ganze glänzende Vorbereitung nicht umsonst sei. Was die Kriege in
Wahrheit entfesselt, ist Eroberungssucht auf der einen, Mißtrauen auf der
anderen Seite. Ein Volk, bei dem die allgemeine Dienstpflicht wirklich durch¬
geführt ist, setzt viel zu viel aufs Spiel, um kriegslüstern zu sein. Wir sind
überzeugt, daß auch das französische Volk in seiner Masse es so wenig war wie


Treitschke in englischer Beleuchtung

deutschen Volkes erneuern möge — eine unverzeihliche Sünde in den Augen
eines Engländers, denn die Alleinherrschaft auf dem Meere ist das gottgewollte
Vorrecht des Briten. Er hat ferner beklagt, daß die Mündung des deutschen
Rheins unter fremder Herrschaft steht, und es für notwendig erklärt, mit Holland
eine zwar nicht politische, aber wirtschaftliche Vereinigung herzustellen. Jedem
Unbefangenen wird dies einleuchten; für McCabe genügt es als Beweis, daß
wir bei nächster Gelegenheit Hollands Selbständigkeit vernichten wollen. Doch
es lohnt nicht, bei diesen armseligen Argumenten zu verweilen. Treitschke hat
an sein Volk geglaubt, obschon er ihm seine Sünden mit nachsichtsloser Strenge
vorgehalten hat. Einer geschmacklosen, einseitigen Vergötterung des Deutschtums
hat er sich nie schuldig gemacht. Wer sich davon überzeugen will, braucht nur
McCaves zweites Kapitel zu lesen.

e) Das längste von allen Kapiteln des Buchs ist das vierte: IKe prai^s
ok tke war-Zock. Es besteht trotz seiner Länge zum allergrößten Teile aus
Zitaten. Der Ankläger hatte hier leichtes Spiel, denn Treitschke hat wirklich
mit Leidenschaft die politische und sittliche Berechtigung des Krieges verfochten,
da er es für unmöglich hielt, daß ein souveräner Staat, der diesen Namen ver¬
diente, je auf dieses letzte Mittel, seinen Willen durchzusetzen, verzichten könne,
und da er von einem Zustande verbürgten, ewigen Friedens eine Verkümmerung
aller männlichen, heldischen Charaktereigenschaften befürchtete — eine Besorgnis,
die man in einem Zeitalter unheimlich wachsender Genußsucht und beständiger
Fortschritte des Feminismus nicht wird als unbegründet bezeichnen können.
Im übrigen wollen wir uns auf eine Diskussion der Sachfrage nicht einlassen,
da dies einen besonderen Aufsatz erfordern würde, sondern nur die Tatsachen
betonen, die Herrn McCabe entgangen sind: 1. Die Erfahrung der Geschichte
spricht für Treitschke. Nie hat ein Staat von einiger Bedeutung auf die
militärische Rüstung und das Recht der Kriegführung verzichtet. Mag für
Europas gepanzerten Frieden das schreckliche Beispiel Preußens verantwortlich
sein (was natürlich Unsinn ist, denn zwischen 1815 und 1864 hat Preußen
keinen einzigen Krieg geführt, während das übrige Europa ständig vom Geiöse
der Waffen widerhallte) — sollte auch der schnöde Angriff des von pazifistischen
Phrasen triefenden Amerika auf Spanien, der Nivalitätskampf Rußlands mit
Japan, der räuberische Überfall Italiens auf Tripolis, der erste und zweite
Balkankrieg indirekt auf Preußen — Deutschlands Schuldkonto kommen? Eng¬
lische Rabulistik brächte vielleicht den Beweis dafür zustande. 2. Waffendienst
und Kriegslust sind grundverschiedene Dinge, die nicht notwendig im Verhältnis
von Ursache und Wirkung stehen. Die Kanonen gehen nicht von selber los,
damit doch die ganze glänzende Vorbereitung nicht umsonst sei. Was die Kriege in
Wahrheit entfesselt, ist Eroberungssucht auf der einen, Mißtrauen auf der
anderen Seite. Ein Volk, bei dem die allgemeine Dienstpflicht wirklich durch¬
geführt ist, setzt viel zu viel aufs Spiel, um kriegslüstern zu sein. Wir sind
überzeugt, daß auch das französische Volk in seiner Masse es so wenig war wie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/156>, abgerufen am 01.09.2024.