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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Treitschke in englischer Beleuchtung

bräuchlich umgesprungen worden, und die Versuche nachzuweisen, daß alles Gute
und Große in der Geschichte der letzten zweitausend Jahre von Germanen im
allgemeinen und von Deutschen im besonderen herrühre, entbehren zum Teil
nicht eines etwas grotesken Beigeschmacks. Aber alle diese Dinge erklären sich
ohne Schwierigkeit aus der natürlichen Erregtheit eines Volkes, das fest davon
überzeugt ist, das Opfer einer internationalen Verschwörung gegen sein staat¬
liches Dasein geworden zu sein. Noch viel überschwenglichere Selbstverherr¬
lichungen sind bei den Franzosen gang und gäbe, und selbst die russische
Literatur (Dostojewski u. a.) hallt von ihnen wider; ja sogar Herrn McCabe
entschlüpft das Geständnis, es sei dies eine bei Nationen in noch junger Macht¬
stellung gewöhnliche Erscheinung, und man brauche nur ein paar Seiten in der
englischen Geschichte zurückzublättern, und man werde genau die nämliche Sprache
im Munde von Engländern finden.") Wozu also der Lärm? Um Treitschke
als intellektuellen Urheber dieser läßlichen Sünde anzuklagen. Und gerade dies
gelingt dem Pamphletisten nicht. Der größte Teil seiner Ausführungen handelt
von Treitschkes Überschätzung der Macht und der räumlichen Größe eines
Staates, sodann von seiner Verherrlichung Luthers und der Reformation,
die er als speziell germanische Geiftcstat hinstelle: aber eine irgendwie
maßlose Lobpreisung des eigenen Volkes weiß McCabe doch nirgends an¬
zuführen, geschweige denn irgendeine Rechtfertigung so kühner Behauptungen,
wie, er betrachte die Deutschen als das auserwählte Volk Gottes und
träume von einer beständigen Ausdehnung des deutschen Staatsgebiets. Ge¬
rade so wie auch die überschwenglichsten Patrioten unserer Tage den einen
Gedanken einer deutschen Weltherrschaft nie verfochten, sondern stets abgelehnt
haben, übereinstimmend mit jenem schönen Worte des Kaisers, daß und warum
er niemals nach einer öden Weltherrschaft streben wolle (Bremen 1905), so hat
auch Treitschke in einer von McCabe zitierten Stelle den Gedanken eines
Weltreichs für "hassenswert" erklärt und sich ausdrücklich zu dem Glauben be¬
kannt, daß die Vielheit der so verschiedenartig begabten Völker im Plane der
Vorsehung liege und jedes seinen besonderen Beitrag zur Weltkultur bei¬
zusteuern habe. Die gehässige Böswilligkeit des Anklägers erkennt man recht
deutlich daran, daß er gerade diese Stelle zur Begründung seiner Anklage be¬
nutzt, denn es geht ja aus ihr hervor, daß auch das deutsche Volk (ebenso
wie jedes andere) seine ihm eigentümlichen Vorzüge und Aufgaben besitzt, und
das ist natürlich eine frevelhafte Anmaßung.

Was sonst noch in dem Kapitel steht, gehört eigentlich nicht zur Sache.
Treitschke hat einmal die Hoffnung geäußert, daß sich die alte Seegewalt des



*) 0l<ter nations nine ZnMn6, lonZ accustomeä to a simiwr prosperit^, liave
ceaseö to use tre dombastie lanZn^e wkick it at tirst inspires. V/Keil we Sinne at
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Kistoi^ to tira pi-Lcisel^ similar lanZuago usent lZnZlisKmen (S. 92).
Treitschke in englischer Beleuchtung

bräuchlich umgesprungen worden, und die Versuche nachzuweisen, daß alles Gute
und Große in der Geschichte der letzten zweitausend Jahre von Germanen im
allgemeinen und von Deutschen im besonderen herrühre, entbehren zum Teil
nicht eines etwas grotesken Beigeschmacks. Aber alle diese Dinge erklären sich
ohne Schwierigkeit aus der natürlichen Erregtheit eines Volkes, das fest davon
überzeugt ist, das Opfer einer internationalen Verschwörung gegen sein staat¬
liches Dasein geworden zu sein. Noch viel überschwenglichere Selbstverherr¬
lichungen sind bei den Franzosen gang und gäbe, und selbst die russische
Literatur (Dostojewski u. a.) hallt von ihnen wider; ja sogar Herrn McCabe
entschlüpft das Geständnis, es sei dies eine bei Nationen in noch junger Macht¬
stellung gewöhnliche Erscheinung, und man brauche nur ein paar Seiten in der
englischen Geschichte zurückzublättern, und man werde genau die nämliche Sprache
im Munde von Engländern finden.") Wozu also der Lärm? Um Treitschke
als intellektuellen Urheber dieser läßlichen Sünde anzuklagen. Und gerade dies
gelingt dem Pamphletisten nicht. Der größte Teil seiner Ausführungen handelt
von Treitschkes Überschätzung der Macht und der räumlichen Größe eines
Staates, sodann von seiner Verherrlichung Luthers und der Reformation,
die er als speziell germanische Geiftcstat hinstelle: aber eine irgendwie
maßlose Lobpreisung des eigenen Volkes weiß McCabe doch nirgends an¬
zuführen, geschweige denn irgendeine Rechtfertigung so kühner Behauptungen,
wie, er betrachte die Deutschen als das auserwählte Volk Gottes und
träume von einer beständigen Ausdehnung des deutschen Staatsgebiets. Ge¬
rade so wie auch die überschwenglichsten Patrioten unserer Tage den einen
Gedanken einer deutschen Weltherrschaft nie verfochten, sondern stets abgelehnt
haben, übereinstimmend mit jenem schönen Worte des Kaisers, daß und warum
er niemals nach einer öden Weltherrschaft streben wolle (Bremen 1905), so hat
auch Treitschke in einer von McCabe zitierten Stelle den Gedanken eines
Weltreichs für „hassenswert" erklärt und sich ausdrücklich zu dem Glauben be¬
kannt, daß die Vielheit der so verschiedenartig begabten Völker im Plane der
Vorsehung liege und jedes seinen besonderen Beitrag zur Weltkultur bei¬
zusteuern habe. Die gehässige Böswilligkeit des Anklägers erkennt man recht
deutlich daran, daß er gerade diese Stelle zur Begründung seiner Anklage be¬
nutzt, denn es geht ja aus ihr hervor, daß auch das deutsche Volk (ebenso
wie jedes andere) seine ihm eigentümlichen Vorzüge und Aufgaben besitzt, und
das ist natürlich eine frevelhafte Anmaßung.

Was sonst noch in dem Kapitel steht, gehört eigentlich nicht zur Sache.
Treitschke hat einmal die Hoffnung geäußert, daß sich die alte Seegewalt des



*) 0l<ter nations nine ZnMn6, lonZ accustomeä to a simiwr prosperit^, liave
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/155>, abgerufen am 01.09.2024.