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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Treitschke in englischer Beleuchtung

selber die Einsicht aufgeht, wie ungeheuer lächerlich er sich damit macht, auf
diese vor vierzig Jahren gehaltenen Universitätsvorlesungen den englanofeind-
lichen Geist des heutigen Deutschland zurückführen zu wollen, da doch in
jüngeren Jahren so viel andere Anlässe zur Erzeugung antibritischer Gefühle in
Deutschland vorhanden gewesen seien.") In der Tat: man braucht nur die
vergiftende Tätigkeit der Northclifse-Presse und die unverschämten Reden englischer
Lords of the Admiralty zu kennen, um zu verstehen, wessen man sich in
Deutschland seit langem von Albion versah, und wie man gefühlsmäßig darauf
reagierte. Die nur einem relativ kleinen Kreise von Gebildeten näher bekannten
Vorlesungen Treitschkes haben dazu nicht das Mindeste beigetragen.

b) Der Abschnitt "Verherrlichung Deutschlands" beginnt mit folgenden
Sätzen: "Das Hauptgefühl des deutschen Volkes ... ist die übertriebene
Meinung, die sie von der Stellung und Misston ihres Landes haben. Nichts
ist vielleicht abstoßender in der deutschen Presse unserer Tage als der Anspruch,
Gott wache mit besonderer Gunst über ihrem gewissenlosen Unternehmen und
der brutalen Art seiner Durchführung. Beständig lesen wir von ihrer Über¬
zeugung, daß die Besiegung eines anderen Landes nur eine peinliche Not¬
wendigkeit bedeute in der Erfüllung ihres Berufs, dasselbe zu höherer Zivilisation
emporzuheben. Zweifellos sind viele Deutsche von diesen Dingen ehrlich über¬
zeugt. Die exzentrischen Äußerungen des Kaisers sind bis zu einem gewissen
Grade vorweggenommen worden von gelehrten Professoren deutscher Uni¬
versitäten, und es ist vielleicht eines der überraschendsten Ergebnisse des Studiums
von Treitschkes Werken, zu sehen, daß er die stupide, mittelalterliche Idee, Gott
leite durch den Kaiser das deutsche Heer und Volk, völlig geteilt hat."

Von exzentrischen Äußerungen des Kaisers ist uns nichts bekannt. Richtig
ist an alledem nur, daß sowohl in der Tagespresse, wie in einer Reihe von
Aufsätzen und Flugschriften, von denen einige von namhaften Gelehrten her¬
rührten, die in einer so großen Zeit selbstverständlichen und durchaus berechtigten
Gefühle des nationalen Selbstbewußtseins und Selbstvertrauens, das Bewußtsein,
der Welt ideale und praktische Güter von hohem Werte bieten zu können, und
die Zuversicht auf den Triumph der eigenen Sache mit einer gewissen Über¬
schwenglichkeit und in einer für die anderen Völker nicht immer schmeichelhaften
Form zum Ausdruck gekommen sind. Mit Zitaten wie dem Geibelschen "Und
es mag am deutschen Wesen noch einmal die Welt genesen", dem Fichteschen
"Charakter haben und deutsch sein ist ohne Zweifel gleichbedeutend", dem
Schillerschen "Jedes Volk hat seinen Tag in der Geschichte, aber der Tag des
Deutschen ist die Ernte der ganzen Zeit" ist einigermaßen willkürlich und alß-



') V/e must, novever, seriousl^ consicler Köw tuis persistent mahlt ol beliltling
ille ZnZIisK people nah Kant a stare in creatinZ tre arti-Lntisn temper in (Zermsn/.
I woulä not overestimate 1'reitsenlce's inkluenee in tuis rezzarä. 1'nere Kave been so
msnzs ineentives to frei-Lritisn keelinA in recent years in Oermsn/, that one neeä
not Zo hacke to lectures äelivereä in a universit^ kort^ ^ears a^o. Das stimmt!
Treitschke in englischer Beleuchtung

selber die Einsicht aufgeht, wie ungeheuer lächerlich er sich damit macht, auf
diese vor vierzig Jahren gehaltenen Universitätsvorlesungen den englanofeind-
lichen Geist des heutigen Deutschland zurückführen zu wollen, da doch in
jüngeren Jahren so viel andere Anlässe zur Erzeugung antibritischer Gefühle in
Deutschland vorhanden gewesen seien.") In der Tat: man braucht nur die
vergiftende Tätigkeit der Northclifse-Presse und die unverschämten Reden englischer
Lords of the Admiralty zu kennen, um zu verstehen, wessen man sich in
Deutschland seit langem von Albion versah, und wie man gefühlsmäßig darauf
reagierte. Die nur einem relativ kleinen Kreise von Gebildeten näher bekannten
Vorlesungen Treitschkes haben dazu nicht das Mindeste beigetragen.

b) Der Abschnitt „Verherrlichung Deutschlands" beginnt mit folgenden
Sätzen: „Das Hauptgefühl des deutschen Volkes ... ist die übertriebene
Meinung, die sie von der Stellung und Misston ihres Landes haben. Nichts
ist vielleicht abstoßender in der deutschen Presse unserer Tage als der Anspruch,
Gott wache mit besonderer Gunst über ihrem gewissenlosen Unternehmen und
der brutalen Art seiner Durchführung. Beständig lesen wir von ihrer Über¬
zeugung, daß die Besiegung eines anderen Landes nur eine peinliche Not¬
wendigkeit bedeute in der Erfüllung ihres Berufs, dasselbe zu höherer Zivilisation
emporzuheben. Zweifellos sind viele Deutsche von diesen Dingen ehrlich über¬
zeugt. Die exzentrischen Äußerungen des Kaisers sind bis zu einem gewissen
Grade vorweggenommen worden von gelehrten Professoren deutscher Uni¬
versitäten, und es ist vielleicht eines der überraschendsten Ergebnisse des Studiums
von Treitschkes Werken, zu sehen, daß er die stupide, mittelalterliche Idee, Gott
leite durch den Kaiser das deutsche Heer und Volk, völlig geteilt hat."

Von exzentrischen Äußerungen des Kaisers ist uns nichts bekannt. Richtig
ist an alledem nur, daß sowohl in der Tagespresse, wie in einer Reihe von
Aufsätzen und Flugschriften, von denen einige von namhaften Gelehrten her¬
rührten, die in einer so großen Zeit selbstverständlichen und durchaus berechtigten
Gefühle des nationalen Selbstbewußtseins und Selbstvertrauens, das Bewußtsein,
der Welt ideale und praktische Güter von hohem Werte bieten zu können, und
die Zuversicht auf den Triumph der eigenen Sache mit einer gewissen Über¬
schwenglichkeit und in einer für die anderen Völker nicht immer schmeichelhaften
Form zum Ausdruck gekommen sind. Mit Zitaten wie dem Geibelschen „Und
es mag am deutschen Wesen noch einmal die Welt genesen", dem Fichteschen
„Charakter haben und deutsch sein ist ohne Zweifel gleichbedeutend", dem
Schillerschen „Jedes Volk hat seinen Tag in der Geschichte, aber der Tag des
Deutschen ist die Ernte der ganzen Zeit" ist einigermaßen willkürlich und alß-



') V/e must, novever, seriousl^ consicler Köw tuis persistent mahlt ol beliltling
ille ZnZIisK people nah Kant a stare in creatinZ tre arti-Lntisn temper in (Zermsn/.
I woulä not overestimate 1'reitsenlce's inkluenee in tuis rezzarä. 1'nere Kave been so
msnzs ineentives to frei-Lritisn keelinA in recent years in Oermsn/, that one neeä
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[0154] Treitschke in englischer Beleuchtung selber die Einsicht aufgeht, wie ungeheuer lächerlich er sich damit macht, auf diese vor vierzig Jahren gehaltenen Universitätsvorlesungen den englanofeind- lichen Geist des heutigen Deutschland zurückführen zu wollen, da doch in jüngeren Jahren so viel andere Anlässe zur Erzeugung antibritischer Gefühle in Deutschland vorhanden gewesen seien.") In der Tat: man braucht nur die vergiftende Tätigkeit der Northclifse-Presse und die unverschämten Reden englischer Lords of the Admiralty zu kennen, um zu verstehen, wessen man sich in Deutschland seit langem von Albion versah, und wie man gefühlsmäßig darauf reagierte. Die nur einem relativ kleinen Kreise von Gebildeten näher bekannten Vorlesungen Treitschkes haben dazu nicht das Mindeste beigetragen. b) Der Abschnitt „Verherrlichung Deutschlands" beginnt mit folgenden Sätzen: „Das Hauptgefühl des deutschen Volkes ... ist die übertriebene Meinung, die sie von der Stellung und Misston ihres Landes haben. Nichts ist vielleicht abstoßender in der deutschen Presse unserer Tage als der Anspruch, Gott wache mit besonderer Gunst über ihrem gewissenlosen Unternehmen und der brutalen Art seiner Durchführung. Beständig lesen wir von ihrer Über¬ zeugung, daß die Besiegung eines anderen Landes nur eine peinliche Not¬ wendigkeit bedeute in der Erfüllung ihres Berufs, dasselbe zu höherer Zivilisation emporzuheben. Zweifellos sind viele Deutsche von diesen Dingen ehrlich über¬ zeugt. Die exzentrischen Äußerungen des Kaisers sind bis zu einem gewissen Grade vorweggenommen worden von gelehrten Professoren deutscher Uni¬ versitäten, und es ist vielleicht eines der überraschendsten Ergebnisse des Studiums von Treitschkes Werken, zu sehen, daß er die stupide, mittelalterliche Idee, Gott leite durch den Kaiser das deutsche Heer und Volk, völlig geteilt hat." Von exzentrischen Äußerungen des Kaisers ist uns nichts bekannt. Richtig ist an alledem nur, daß sowohl in der Tagespresse, wie in einer Reihe von Aufsätzen und Flugschriften, von denen einige von namhaften Gelehrten her¬ rührten, die in einer so großen Zeit selbstverständlichen und durchaus berechtigten Gefühle des nationalen Selbstbewußtseins und Selbstvertrauens, das Bewußtsein, der Welt ideale und praktische Güter von hohem Werte bieten zu können, und die Zuversicht auf den Triumph der eigenen Sache mit einer gewissen Über¬ schwenglichkeit und in einer für die anderen Völker nicht immer schmeichelhaften Form zum Ausdruck gekommen sind. Mit Zitaten wie dem Geibelschen „Und es mag am deutschen Wesen noch einmal die Welt genesen", dem Fichteschen „Charakter haben und deutsch sein ist ohne Zweifel gleichbedeutend", dem Schillerschen „Jedes Volk hat seinen Tag in der Geschichte, aber der Tag des Deutschen ist die Ernte der ganzen Zeit" ist einigermaßen willkürlich und alß- ') V/e must, novever, seriousl^ consicler Köw tuis persistent mahlt ol beliltling ille ZnZIisK people nah Kant a stare in creatinZ tre arti-Lntisn temper in (Zermsn/. I woulä not overestimate 1'reitsenlce's inkluenee in tuis rezzarä. 1'nere Kave been so msnzs ineentives to frei-Lritisn keelinA in recent years in Oermsn/, that one neeä not Zo hacke to lectures äelivereä in a universit^ kort^ ^ears a^o. Das stimmt!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/154>, abgerufen am 01.09.2024.