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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Treitschke in englischer Beleuchtung

denn zweifellos ist Treitschkes Ansicht über England allmählich immer ungünstiger
geworden. Dieses Material hat sich der Brite vollständig entgehen lassen, sei
es aus Oberflächlichkeit, sei es, weil die Anklagen des deutschen Historikers
allzu gut begründet sind. Wieder benutzt er einzig und allein die "Politik",
um zu beweisen, daß Treitschke England verunglimpft habe. Dabei ist er
unwissend oder gewissenlos genug, dem unentwegter Vorkämpfer des kon¬
stitutionellen (anfangs sogar des parlamentarischen) Königtums glühende Ver¬
ehrung für die absolute Monarchie anzudichten, weil dies die preußische Staats¬
form sei/") Man brauchte einen Schriftsteller, der solchen Unsinn vorträgt, nich-
ernst zu nehmen, wüßte man nicht, daß er in England, wo man von Deutsch¬
lands Verfassung die tollsten Vorstellungen hat, sicher ernst genommen wird.
Die lange Stelle aus der "Politik" (II 132--136), die er zitiert, widerlegt ihn
bereits, denn schon aus ihr geht hervor, daß Treitschke nur die Parlament
karische Regierungsform Englands mit ihrem Scheinkönigtum verwirft, die
deutsche Art des Konstitutionalismus aber sehr wohl zu schätzen weiß. Was
er darin vom englischen Königtum sagt, ist nicht vollständig irrtumsfrei, aber
weder absolute!^ riäiculou8 noch entirel^ misrepreZenteä, sondern in den
Grundzügen durchaus korrekt. McCabe hat die Dreistigkeit zu behaupten,
Treitschke übertrage in unzulässiger Weise ältere Zustände auf die Gegen¬
wart (S. 122); in Wirklichkeit spricht er an der betreffenden Stelle (II 137)
vom achtzehnten Jahrhundert -- schon die Anwendung des Imperfekts:
ernannte, saßen, hatte usw., widerlegt jene britische Verdrehung -- und schildert
er im folgenden die seit 1832 eingetretene Umbildung des Unterhauses zu einer
wirklichen Volksvertretung. McCabes Verfahren charakterisiert sich also als eine
klare Fälschung. In dem ganzen Passus betont Treitschke übrigens immer nur
die Unübertragbarkeit der englischen Verhältnisse und ihre Ungeeignetheit
für Deutschland, es fällt ihm garnicht ein, sie als an und für sich minder¬
wertig hinzustellen; sagt er doch sogar von der englischen Verfassung des acht¬
zehnten Jahrhunderts, es sei in der Tat eine bewunderungswürdige Staats¬
bildung gewesen. McCabe aber nennt seine Ausführungen elk8 aeterne
ok elle Pru88lau 8Mem ol autocrac^ (S. 127). Er zitiert dann eine lange
Stelle, in der sich Treitschke gegen die geheime Stimmabgabe wendet, als "ein
Beispiel für die Art, in der in Berlin deutsche Stuoentm in die Grmidzüge
englischen Lebens eingeführt wurden". In Wahrheit hat die ganze Polemik
Treitschkes gar keine Beziehung auf England, das darin weder direkt noch
indirekt erwähnt wird, sondern er wendet sich gegen eine auch bei uns in
Deutschland bestehende Einrichtung, die er mißbilligte.

Es ist spaßhaft zu sehen, wie dem Pamphletisten gegen Schluß des Kapitels



*) Absolute monsrLb^ is to Jlia the perkect korn ok Stets, because absolute
wonsrcli^ is tke prussian korn (S. 111). ^ IZnZlglilt being a consütutional monarcl^,
A"6 tkerewre opposeä to Kis von icleal. (S. 113.)
Treitschke in englischer Beleuchtung

denn zweifellos ist Treitschkes Ansicht über England allmählich immer ungünstiger
geworden. Dieses Material hat sich der Brite vollständig entgehen lassen, sei
es aus Oberflächlichkeit, sei es, weil die Anklagen des deutschen Historikers
allzu gut begründet sind. Wieder benutzt er einzig und allein die „Politik",
um zu beweisen, daß Treitschke England verunglimpft habe. Dabei ist er
unwissend oder gewissenlos genug, dem unentwegter Vorkämpfer des kon¬
stitutionellen (anfangs sogar des parlamentarischen) Königtums glühende Ver¬
ehrung für die absolute Monarchie anzudichten, weil dies die preußische Staats¬
form sei/") Man brauchte einen Schriftsteller, der solchen Unsinn vorträgt, nich-
ernst zu nehmen, wüßte man nicht, daß er in England, wo man von Deutsch¬
lands Verfassung die tollsten Vorstellungen hat, sicher ernst genommen wird.
Die lange Stelle aus der „Politik" (II 132—136), die er zitiert, widerlegt ihn
bereits, denn schon aus ihr geht hervor, daß Treitschke nur die Parlament
karische Regierungsform Englands mit ihrem Scheinkönigtum verwirft, die
deutsche Art des Konstitutionalismus aber sehr wohl zu schätzen weiß. Was
er darin vom englischen Königtum sagt, ist nicht vollständig irrtumsfrei, aber
weder absolute!^ riäiculou8 noch entirel^ misrepreZenteä, sondern in den
Grundzügen durchaus korrekt. McCabe hat die Dreistigkeit zu behaupten,
Treitschke übertrage in unzulässiger Weise ältere Zustände auf die Gegen¬
wart (S. 122); in Wirklichkeit spricht er an der betreffenden Stelle (II 137)
vom achtzehnten Jahrhundert — schon die Anwendung des Imperfekts:
ernannte, saßen, hatte usw., widerlegt jene britische Verdrehung — und schildert
er im folgenden die seit 1832 eingetretene Umbildung des Unterhauses zu einer
wirklichen Volksvertretung. McCabes Verfahren charakterisiert sich also als eine
klare Fälschung. In dem ganzen Passus betont Treitschke übrigens immer nur
die Unübertragbarkeit der englischen Verhältnisse und ihre Ungeeignetheit
für Deutschland, es fällt ihm garnicht ein, sie als an und für sich minder¬
wertig hinzustellen; sagt er doch sogar von der englischen Verfassung des acht¬
zehnten Jahrhunderts, es sei in der Tat eine bewunderungswürdige Staats¬
bildung gewesen. McCabe aber nennt seine Ausführungen elk8 aeterne
ok elle Pru88lau 8Mem ol autocrac^ (S. 127). Er zitiert dann eine lange
Stelle, in der sich Treitschke gegen die geheime Stimmabgabe wendet, als „ein
Beispiel für die Art, in der in Berlin deutsche Stuoentm in die Grmidzüge
englischen Lebens eingeführt wurden". In Wahrheit hat die ganze Polemik
Treitschkes gar keine Beziehung auf England, das darin weder direkt noch
indirekt erwähnt wird, sondern er wendet sich gegen eine auch bei uns in
Deutschland bestehende Einrichtung, die er mißbilligte.

Es ist spaßhaft zu sehen, wie dem Pamphletisten gegen Schluß des Kapitels



*) Absolute monsrLb^ is to Jlia the perkect korn ok Stets, because absolute
wonsrcli^ is tke prussian korn (S. 111). ^ IZnZlglilt being a consütutional monarcl^,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/153>, abgerufen am 01.09.2024.