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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Zum Kriegsausbruch

Blaubuches abgedruckt ist, worin der englische Minister den deutschen Botschafter
warnte, sich nicht durch den freundschaftlichen Ton seiner Gespräche zu der
irrigen Annahme verleiten zu lassen, daß England auf jeden Fall ruhig bei¬
seite stehen bleiben werde.


"Wir wüßten ganz genau, daß wenn der Streit so wird, daß
Englands Interessen unser Einschreiten fordern, wir sofort einschreiten
müssen, und daß der Entschluß ein sehr rascher sein müsse."

Helfferich hat bereits in seiner Broschüre über "die Entstehung des Weltkrieges"
darauf hingewiesen, daß der 29. Juli der kritische Tag gewesen sei. Er ist
der Meinung, daß gerade die Erklärung Sir Edward Greys an Lichnowsky.
die sofort dem französischen Botschafter Cambon mitgeteilt wurde und von dort
über Paris den Weg nach Petersburg gefunden habe, Rußland und Frankreich
die Gewißheit der englischen Waffenhilfe und damit den Willen zum Kriege
gegeben haben. Denn noch am selben Abend beauftragte Ssasonow den
russischen Botschafter in Paris, der französischen Regierung den aufrichtigen
Dank für ihre Erklärung auszusprechen, daß sie den Bundesgenossen unterstützen
werde. Frankreich hat -- der englischen Unterstützung sicher -- an diesem
Tage den Mut und den Entschluß gefunden, jetzt auch offiziell durch den Mund
seines Botschafters in Petersburg das wiederholen und ganz formell zusichern
zu lassen, was der Staatschef und Ministerpräsident bereits am Vorabend der
kritischen Ereignisse in Petersburg -- allerdings ohne Befragung des franzö¬
sischen Kabinetts -- hatten durchblicken lassen. Die Würfel über den allgemei¬
nen europäischen Krieg waren also am 29. Juli geworfen worden und sie
hatten für Krieg entschieden. Zorn bereichert unsere bisherige Kenntnis von der
Sachlage in den kritischen Tagen noch durch Anführung eines Zitats aus der
russischen Zeitung "Rjetsch" vom 1. August 1914. deren Herausgeber bekanntlich
Ssasonow besonders nahesteht. Die "Rjetsch" meldete unter diesem Datum:


"Die Mächte des Dreibundes waren am 30. Juli vollständig dar¬
über informiert, daß die britische Regierung sich endgültig oafür ent¬
schieden hatte, im Falle eines Konflikts zwischen den Mächten des Drei¬
bundes und Rußland und Frankreich sich von vornherein aktiv an die
letztgenannten Mächte anzuschließen und gleich am Anfang aktiv militärische
Maßnahmen zu unternehmen. Die Erklärung Englands in diesem Sinne
hat eine außergewöhnliche Erleichterung in Petersburg und Paris ge¬
schaffen."

Die "außergewöhnliche Erleichterung" erlaubte die russische Mobilmachung und
diese wiederum machte alle Friedensbemühungen zunichte.

Für die Rolle, die die englische Politik während der Verhandlungen ge¬
spielt hat, haben wir eine neue sehr verdienstvolle Arbeit von hervorragender
neutraler Seite. Dr. Jakob Rüchel von der Universität Bern hat es unter¬
nommen, an der Hand der amtlichen Akten der Großbritannischer Regierung
die Geschichte des Kriegsausbruches zu schreiben. Seine kurze Schrift, die von


1*
Zum Kriegsausbruch

Blaubuches abgedruckt ist, worin der englische Minister den deutschen Botschafter
warnte, sich nicht durch den freundschaftlichen Ton seiner Gespräche zu der
irrigen Annahme verleiten zu lassen, daß England auf jeden Fall ruhig bei¬
seite stehen bleiben werde.


„Wir wüßten ganz genau, daß wenn der Streit so wird, daß
Englands Interessen unser Einschreiten fordern, wir sofort einschreiten
müssen, und daß der Entschluß ein sehr rascher sein müsse."

Helfferich hat bereits in seiner Broschüre über „die Entstehung des Weltkrieges"
darauf hingewiesen, daß der 29. Juli der kritische Tag gewesen sei. Er ist
der Meinung, daß gerade die Erklärung Sir Edward Greys an Lichnowsky.
die sofort dem französischen Botschafter Cambon mitgeteilt wurde und von dort
über Paris den Weg nach Petersburg gefunden habe, Rußland und Frankreich
die Gewißheit der englischen Waffenhilfe und damit den Willen zum Kriege
gegeben haben. Denn noch am selben Abend beauftragte Ssasonow den
russischen Botschafter in Paris, der französischen Regierung den aufrichtigen
Dank für ihre Erklärung auszusprechen, daß sie den Bundesgenossen unterstützen
werde. Frankreich hat — der englischen Unterstützung sicher — an diesem
Tage den Mut und den Entschluß gefunden, jetzt auch offiziell durch den Mund
seines Botschafters in Petersburg das wiederholen und ganz formell zusichern
zu lassen, was der Staatschef und Ministerpräsident bereits am Vorabend der
kritischen Ereignisse in Petersburg — allerdings ohne Befragung des franzö¬
sischen Kabinetts — hatten durchblicken lassen. Die Würfel über den allgemei¬
nen europäischen Krieg waren also am 29. Juli geworfen worden und sie
hatten für Krieg entschieden. Zorn bereichert unsere bisherige Kenntnis von der
Sachlage in den kritischen Tagen noch durch Anführung eines Zitats aus der
russischen Zeitung „Rjetsch" vom 1. August 1914. deren Herausgeber bekanntlich
Ssasonow besonders nahesteht. Die „Rjetsch" meldete unter diesem Datum:


„Die Mächte des Dreibundes waren am 30. Juli vollständig dar¬
über informiert, daß die britische Regierung sich endgültig oafür ent¬
schieden hatte, im Falle eines Konflikts zwischen den Mächten des Drei¬
bundes und Rußland und Frankreich sich von vornherein aktiv an die
letztgenannten Mächte anzuschließen und gleich am Anfang aktiv militärische
Maßnahmen zu unternehmen. Die Erklärung Englands in diesem Sinne
hat eine außergewöhnliche Erleichterung in Petersburg und Paris ge¬
schaffen."

Die „außergewöhnliche Erleichterung" erlaubte die russische Mobilmachung und
diese wiederum machte alle Friedensbemühungen zunichte.

Für die Rolle, die die englische Politik während der Verhandlungen ge¬
spielt hat, haben wir eine neue sehr verdienstvolle Arbeit von hervorragender
neutraler Seite. Dr. Jakob Rüchel von der Universität Bern hat es unter¬
nommen, an der Hand der amtlichen Akten der Großbritannischer Regierung
die Geschichte des Kriegsausbruches zu schreiben. Seine kurze Schrift, die von


1*
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/15>, abgerufen am 01.09.2024.