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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Zum Kriegsausbruch

Die Sicherheit der englischen Mithilfe hat auch Rußlands Kriegswillen
bestimmt. Zwar hatte Ssasonow bereits einen großen Rückhalt in der Ver¬
sicherung unbedingten Mitgehens, die ihm, wie wir bestimmt annehmen dürfen,
Poincarö und Viviani bei ihrem Petersburger Aufenthalt gegeben hatten. Das
schimmert deutlich durch die Erklärungen durch, die der französische Bot¬
schafter in Petersburg, Herr Palöologue schon am 24. Juli 1914 dem
britischen Botschafter Buchanan gab*). Endgültig bestimmt in ihren Entschlüssen
aber wurden die leitenden russischen Kreise durch die Versprechungen der
englischen Hilfe.

Dafür hat uns eine zweite Veröffentlichung ganz unverdächtige Belege
gebracht, sofern solche überhaupt noch nötig waren. Es ist dies ein Aufsatz
von Professor Zorn in der norwegischen Zeitung "Titus Tegn". Zorn druckt
dort, soviel ich sehen kann, zum ersten Male die Depeschen ab, die der
Korrespondent des Reuterbüros in Petersburg in den kritischen Tagen nach
London geschickt hat. Das sind Beweise aus dem Munde unserer Feinde selbst,
um die man nicht herumkommt. Der Bericht des belgischen Geschäftsträgers
de l'Escaille, in dem es heißt:


"heute ist man in Petersburg fest überzeugt, ja man hat sogar dahin¬
gehende Versicherungen empfangen, daß England Frankreich beistehen wird.
Dieser Beistand ist von entscheidender Bedeutung und hat zum Siege
der (russischen) Kriegspartei wesentlich beigetragen", --

dieser Bericht datiert vom 30. Juli. Die Reuterberichte, die Zorn zitiert, stammen
schon vom 29., der zweite vom 30. Juli. Sie sind wert, nochmals hier wieder¬
holt zu werden. Einer von ihnen ist auch in der "Norddeutschen Zeitung"
abgedruckt. Am 29. Juli berichtet der Reuter-Korrespondent:


"In den Augen Rußlands ist der Würfel gefallen und nur ein
politisches Wunder kann den Krieg verhüten.

Eine Teilmobilmachung ist angeordnet und alles deutet daraufhin,
daß der ganze gewaltige Heeresapparat bald in Bewegung gesetzt wird.
Ein kaiserliches Dekret wird heute erwartet. Im Vertrauen auf Englands
Unterstützung, worüber Zweifel so gut wie verschwunden find, ist das
russische Publikum bereit, den Krieg anzunehmen".


Und einen Tag später:


"Die Ausreise der englischen Flotte von Portland hat einen un¬
geheueren Eindruck gemacht und in Verbindung mit Japans friedlichen
Versicherungen, Rußlands Entschluß, es auf die kriegerische Entscheidung
ankommen zu lassen, mehr als bekräftigt". --

Das, was am 29. Juli zwischen unsern Gegnern unterhandelt wurde, war also
entscheidend. Am 29. Juli hat auch die berühmte Unterhaltung zwischen Grey
und dem Fürsten Lichnowsky stattgefunden, die unter Ur. 89 des englischen



*) Engl. Blaubuch Ur. 6.
Zum Kriegsausbruch

Die Sicherheit der englischen Mithilfe hat auch Rußlands Kriegswillen
bestimmt. Zwar hatte Ssasonow bereits einen großen Rückhalt in der Ver¬
sicherung unbedingten Mitgehens, die ihm, wie wir bestimmt annehmen dürfen,
Poincarö und Viviani bei ihrem Petersburger Aufenthalt gegeben hatten. Das
schimmert deutlich durch die Erklärungen durch, die der französische Bot¬
schafter in Petersburg, Herr Palöologue schon am 24. Juli 1914 dem
britischen Botschafter Buchanan gab*). Endgültig bestimmt in ihren Entschlüssen
aber wurden die leitenden russischen Kreise durch die Versprechungen der
englischen Hilfe.

Dafür hat uns eine zweite Veröffentlichung ganz unverdächtige Belege
gebracht, sofern solche überhaupt noch nötig waren. Es ist dies ein Aufsatz
von Professor Zorn in der norwegischen Zeitung „Titus Tegn". Zorn druckt
dort, soviel ich sehen kann, zum ersten Male die Depeschen ab, die der
Korrespondent des Reuterbüros in Petersburg in den kritischen Tagen nach
London geschickt hat. Das sind Beweise aus dem Munde unserer Feinde selbst,
um die man nicht herumkommt. Der Bericht des belgischen Geschäftsträgers
de l'Escaille, in dem es heißt:


„heute ist man in Petersburg fest überzeugt, ja man hat sogar dahin¬
gehende Versicherungen empfangen, daß England Frankreich beistehen wird.
Dieser Beistand ist von entscheidender Bedeutung und hat zum Siege
der (russischen) Kriegspartei wesentlich beigetragen", —

dieser Bericht datiert vom 30. Juli. Die Reuterberichte, die Zorn zitiert, stammen
schon vom 29., der zweite vom 30. Juli. Sie sind wert, nochmals hier wieder¬
holt zu werden. Einer von ihnen ist auch in der „Norddeutschen Zeitung"
abgedruckt. Am 29. Juli berichtet der Reuter-Korrespondent:


„In den Augen Rußlands ist der Würfel gefallen und nur ein
politisches Wunder kann den Krieg verhüten.

Eine Teilmobilmachung ist angeordnet und alles deutet daraufhin,
daß der ganze gewaltige Heeresapparat bald in Bewegung gesetzt wird.
Ein kaiserliches Dekret wird heute erwartet. Im Vertrauen auf Englands
Unterstützung, worüber Zweifel so gut wie verschwunden find, ist das
russische Publikum bereit, den Krieg anzunehmen".


Und einen Tag später:


„Die Ausreise der englischen Flotte von Portland hat einen un¬
geheueren Eindruck gemacht und in Verbindung mit Japans friedlichen
Versicherungen, Rußlands Entschluß, es auf die kriegerische Entscheidung
ankommen zu lassen, mehr als bekräftigt". —

Das, was am 29. Juli zwischen unsern Gegnern unterhandelt wurde, war also
entscheidend. Am 29. Juli hat auch die berühmte Unterhaltung zwischen Grey
und dem Fürsten Lichnowsky stattgefunden, die unter Ur. 89 des englischen



*) Engl. Blaubuch Ur. 6.
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[0014] Zum Kriegsausbruch Die Sicherheit der englischen Mithilfe hat auch Rußlands Kriegswillen bestimmt. Zwar hatte Ssasonow bereits einen großen Rückhalt in der Ver¬ sicherung unbedingten Mitgehens, die ihm, wie wir bestimmt annehmen dürfen, Poincarö und Viviani bei ihrem Petersburger Aufenthalt gegeben hatten. Das schimmert deutlich durch die Erklärungen durch, die der französische Bot¬ schafter in Petersburg, Herr Palöologue schon am 24. Juli 1914 dem britischen Botschafter Buchanan gab*). Endgültig bestimmt in ihren Entschlüssen aber wurden die leitenden russischen Kreise durch die Versprechungen der englischen Hilfe. Dafür hat uns eine zweite Veröffentlichung ganz unverdächtige Belege gebracht, sofern solche überhaupt noch nötig waren. Es ist dies ein Aufsatz von Professor Zorn in der norwegischen Zeitung „Titus Tegn". Zorn druckt dort, soviel ich sehen kann, zum ersten Male die Depeschen ab, die der Korrespondent des Reuterbüros in Petersburg in den kritischen Tagen nach London geschickt hat. Das sind Beweise aus dem Munde unserer Feinde selbst, um die man nicht herumkommt. Der Bericht des belgischen Geschäftsträgers de l'Escaille, in dem es heißt: „heute ist man in Petersburg fest überzeugt, ja man hat sogar dahin¬ gehende Versicherungen empfangen, daß England Frankreich beistehen wird. Dieser Beistand ist von entscheidender Bedeutung und hat zum Siege der (russischen) Kriegspartei wesentlich beigetragen", — dieser Bericht datiert vom 30. Juli. Die Reuterberichte, die Zorn zitiert, stammen schon vom 29., der zweite vom 30. Juli. Sie sind wert, nochmals hier wieder¬ holt zu werden. Einer von ihnen ist auch in der „Norddeutschen Zeitung" abgedruckt. Am 29. Juli berichtet der Reuter-Korrespondent: „In den Augen Rußlands ist der Würfel gefallen und nur ein politisches Wunder kann den Krieg verhüten. Eine Teilmobilmachung ist angeordnet und alles deutet daraufhin, daß der ganze gewaltige Heeresapparat bald in Bewegung gesetzt wird. Ein kaiserliches Dekret wird heute erwartet. Im Vertrauen auf Englands Unterstützung, worüber Zweifel so gut wie verschwunden find, ist das russische Publikum bereit, den Krieg anzunehmen". Und einen Tag später: „Die Ausreise der englischen Flotte von Portland hat einen un¬ geheueren Eindruck gemacht und in Verbindung mit Japans friedlichen Versicherungen, Rußlands Entschluß, es auf die kriegerische Entscheidung ankommen zu lassen, mehr als bekräftigt". — Das, was am 29. Juli zwischen unsern Gegnern unterhandelt wurde, war also entscheidend. Am 29. Juli hat auch die berühmte Unterhaltung zwischen Grey und dem Fürsten Lichnowsky stattgefunden, die unter Ur. 89 des englischen *) Engl. Blaubuch Ur. 6.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/14>, abgerufen am 01.09.2024.