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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Gin Besuch auf dem Lande

prächtig, wie Sie sehen und das Stückchen wird mir wohl meine 200 Zentner
herausgeben. Aber sehen Sie die kolossalen Ahornbäume an der Chaussee?
In der Entfernung von 10 Metern gedeiht dort nichts. Sie saugen mir den
Boden aus. Bei der heutigen Holznot müßten sie längst gefallen und durch
Apfelbäume oder süße Kirschen ersetzt sein. Aber was verstehen Ihre Regie¬
rungsräte von solchen Dingen? Ich war im vorigen Jahre im Bade und
sprach mit einem Stellmacher über seine Armeclieferungen. Er hatte kleine
Bagagewagen zu liefern. 50 Stück, das Stück zu je 1300 Mark. Natürlich
sehr schön grau gestrichen -- das haben wir Landwirte uns früher selbst ge¬
macht -- und dann prima Holz. Wissen Sie, was wir früher für solchen
Kasten bezahlt haben? 180 Mark. Wenn wir alle unnützen großen Bäume
abschlagen könnten, die Sie hier sehen! Es wäre manchem geholfen! ^ propos
Raps. Wie bei der Kleie, so könne-, wir Landwirte auch hier nicht begreifen,
daß wir die Schalen von unserem Raps, den wir geliefert haben, nicht zurück¬
bekommen. Die Händler verstehen die Situation gut zu nutzen und alles das
ist dann auf einmal "ausländische Ware" und kostet das dreifache. Wir sind
da immer die Dummen. Daß die Bauern, denen so etwas nicht in den Schädel
geht, da manchmal versuchen, praetsr oder sogar contra leZem zu wirtschaften,
können Sie es ihnen so übel nehmen? Es geht eben nicht in ihren Schädel
rein -- notabene auch in meinen nicht -- aber man schickt sich eben darein,
das Räsonnieren gewöhnt man sich allmählich ab. Donnerwetter, was haben
wir alles an Verordnungen und Bestimmungen kennen gelernt. Ich kriege
jeden Tag 10 Briefe Minimum von Behörden und die Leute sind aufgeklärt,
daß es seine Art hat. Ich bin jetzt Amtsvorsteher und Gutsvorsteher und Für¬
sorgestelle für Kriegsbeschädigte und vereine mindestens ein Dutzend andere
Kompetenzen in meiner armen alten Person. Hilft nichts. Müssen wir auch
durchmachen. Wenn nur die Winkeladvokaten nicht wären, die das Volk ver¬
rückt machen. Es fließt ein Strom von Geld aufs Land jetzt. Sehen Sie
mal z. B. meine Schweizerfrau. Sie hat eine ganze Menge Kinder, ihr Mann
ist eingezogen. Bekommt ihre 60 Mark Kriegsbeihilfe. Natürlich gehen daneben
die alten Bezüge vollkommen weiter, denn sie hat die Arbeit des Mannes
übernommen. Die Kinder werden natürlich zu Hause lieber Plinzen backen als
auf die Arbeit kommen.

Nachher muß ich Ihnen übrigens einen kuriosen Brief zeigen, den mir
heute früh eine Schankwirtsfrau geschrieben hat. "Da mein Schwein in der
Nacht plötzlich lahm geworden ist, bin ich gezwungen, zu einer Notschlachtung
Zu greifen, was ich hiermit anzeige." Habe ihr zurückgeschrieben: "Da für
den ganzen Kreis nur 20 Hausschlachtungen pro Monat gestattet sind und
diese Zahl überschritten ist, wird die Genehmigung verweigert." Die Schweine
werden jetzt plötzlich alle lahm werden oder die Pocken oder sonst etwas kriegen.
Da müssen wir aufpassen. Es wird eine schlimme Übergangszeit werden mit
den Fleischkarten. In den Städten bekommen wir Landwirte kein Fleisch mehr,


Gin Besuch auf dem Lande

prächtig, wie Sie sehen und das Stückchen wird mir wohl meine 200 Zentner
herausgeben. Aber sehen Sie die kolossalen Ahornbäume an der Chaussee?
In der Entfernung von 10 Metern gedeiht dort nichts. Sie saugen mir den
Boden aus. Bei der heutigen Holznot müßten sie längst gefallen und durch
Apfelbäume oder süße Kirschen ersetzt sein. Aber was verstehen Ihre Regie¬
rungsräte von solchen Dingen? Ich war im vorigen Jahre im Bade und
sprach mit einem Stellmacher über seine Armeclieferungen. Er hatte kleine
Bagagewagen zu liefern. 50 Stück, das Stück zu je 1300 Mark. Natürlich
sehr schön grau gestrichen — das haben wir Landwirte uns früher selbst ge¬
macht — und dann prima Holz. Wissen Sie, was wir früher für solchen
Kasten bezahlt haben? 180 Mark. Wenn wir alle unnützen großen Bäume
abschlagen könnten, die Sie hier sehen! Es wäre manchem geholfen! ^ propos
Raps. Wie bei der Kleie, so könne-, wir Landwirte auch hier nicht begreifen,
daß wir die Schalen von unserem Raps, den wir geliefert haben, nicht zurück¬
bekommen. Die Händler verstehen die Situation gut zu nutzen und alles das
ist dann auf einmal „ausländische Ware" und kostet das dreifache. Wir sind
da immer die Dummen. Daß die Bauern, denen so etwas nicht in den Schädel
geht, da manchmal versuchen, praetsr oder sogar contra leZem zu wirtschaften,
können Sie es ihnen so übel nehmen? Es geht eben nicht in ihren Schädel
rein — notabene auch in meinen nicht — aber man schickt sich eben darein,
das Räsonnieren gewöhnt man sich allmählich ab. Donnerwetter, was haben
wir alles an Verordnungen und Bestimmungen kennen gelernt. Ich kriege
jeden Tag 10 Briefe Minimum von Behörden und die Leute sind aufgeklärt,
daß es seine Art hat. Ich bin jetzt Amtsvorsteher und Gutsvorsteher und Für¬
sorgestelle für Kriegsbeschädigte und vereine mindestens ein Dutzend andere
Kompetenzen in meiner armen alten Person. Hilft nichts. Müssen wir auch
durchmachen. Wenn nur die Winkeladvokaten nicht wären, die das Volk ver¬
rückt machen. Es fließt ein Strom von Geld aufs Land jetzt. Sehen Sie
mal z. B. meine Schweizerfrau. Sie hat eine ganze Menge Kinder, ihr Mann
ist eingezogen. Bekommt ihre 60 Mark Kriegsbeihilfe. Natürlich gehen daneben
die alten Bezüge vollkommen weiter, denn sie hat die Arbeit des Mannes
übernommen. Die Kinder werden natürlich zu Hause lieber Plinzen backen als
auf die Arbeit kommen.

Nachher muß ich Ihnen übrigens einen kuriosen Brief zeigen, den mir
heute früh eine Schankwirtsfrau geschrieben hat. „Da mein Schwein in der
Nacht plötzlich lahm geworden ist, bin ich gezwungen, zu einer Notschlachtung
Zu greifen, was ich hiermit anzeige." Habe ihr zurückgeschrieben: „Da für
den ganzen Kreis nur 20 Hausschlachtungen pro Monat gestattet sind und
diese Zahl überschritten ist, wird die Genehmigung verweigert." Die Schweine
werden jetzt plötzlich alle lahm werden oder die Pocken oder sonst etwas kriegen.
Da müssen wir aufpassen. Es wird eine schlimme Übergangszeit werden mit
den Fleischkarten. In den Städten bekommen wir Landwirte kein Fleisch mehr,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/135>, abgerufen am 01.09.2024.