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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Lin Besuch auf dem Lande

gegen Tirpitz gehen sollte, den wir doch als ganzen Mann schätzten. Und
dann, nehmen Sie mir es nicht übel: die Verbindung der Gegenseite mit den
Kreisen, von denen wir im Grunde früher niemals viel Gutes gesehen hatten,
hat uns stutzig gemacht. Wir können uns eben nicht so schnell an den Ge¬
danken gewöhnen, daß andere -- patriotischer sein sollen als wir. Aber dann
fiel mir eins auf -- und das habe ich auch versucht, allen meinen Freunden
zu sagen, -- überall war es wieder Gefühlspolitik, ich habe keine Tatsachen ge¬
sehen, nichts als Worte, nur Worte, immer wieder Worte. Und das war für mich
entscheidend. Ich wollte meinen Bekannten zurufen: Offenes Visier, wollt ihr ihn
weghaben, dann geht offen vor und verschanzt Euch nicht hinter einem Karten¬
haus von Gefühlen und Redereien, die der rauhe Wind einer einzigen Tat¬
sache umwerfen kann! Das kommt mir immer genau so vor, wie wenn der
Berliner Bürgermeister anfängt, von der Kartoffelpolitik der Agrarier zu reden.
Das mußte ja umfallen, wenn da mal die Laterne hineinleuchtete!

Und es ist auch wirklich so gekommen und ich habe das Gefühl und kann
es nicht loswerden, daß sich des Kanzlers Gegner gründlich dabei blamiert haben.
Und das sollten sie eben nicht. Ich finde, daß das politisch nicht klug war. Mi߬
erfolge schaden immer. Man hätte beidrehen sollen, als man sah, daß es so
nicht weiter ging. Pater peccavi sagen, war ja garnicht nötig. Man hätte
rüberschreiben können: "Nonny 8vit qui mal penso". So bleibt den
Leuten nur das eine fadenscheinige Argument: Wir haben zwar alles gehört,
glauben es aber doch nicht, unsere Überzeugungen sind nach wie vor nicht er¬
schüttert, aber -- im Interesse der Einheit des Vaterlandes usw. usw. Mir
tut das ganze Schauspiel in der Seele weh -- denn glauben Sie mir -- ich
bin ein ehrlicher und überzeugter Konservativer. Ihr in der Stadt könnt ja
doch keine sein. Euch fehlt die tägliche Probe auf das Exempel.

Und wer sind schließlich dabei die Dummen? Wir hier draußen, die von
allen vertraulichen und geheimen Besprechungen im Reichstag und Kanzlerpalast
nur die Tatsache wissen, daß sie stattgefunden haben. Wir müssen es nun doch
blind glauben, daß das, was der Kanzler gewollt und gewußt hat, das Richtige
gewesen ist. Sind die Mitglieder des Reichstages soviel schlauer und klüger
und wissensberechtigter und einsichtsvoller als wir? Ein Gren hätte seinen Leuten
wahrscheinlich ganz kurz gesagt, ich bin nicht in der Lage, leider nicht in der
Lage, zu meinem großen Bedauern nicht in der Lage, etwas über den Gang
der politischen Entschlüsse und Verhandlungen zu sagen. Eine Eröffnung darüber
würde störend auf unsere politische Lage einwirken. -- Der Kanzler hätte sich die
Parteiführer, die zu ihm standen, allein hinkommen lassen und ihnen sagen können:
steht zu mir. Wir wollen die Kraftprobe machen und ich werde den anderen ein
,.quo8 eZo" zurufen. Daß er das nicht getan hat, daß er nicht britische Par¬
lamentssitten nach Deutschland verpflanzt hat, das war eigentlich sehr anständig.

Und gerade die Offenheit, mit der der Kanzler vorgegangen ist, hat uns
verblüfft und mit verdammter Hochachtung vor seinen, politischen Können und


Lin Besuch auf dem Lande

gegen Tirpitz gehen sollte, den wir doch als ganzen Mann schätzten. Und
dann, nehmen Sie mir es nicht übel: die Verbindung der Gegenseite mit den
Kreisen, von denen wir im Grunde früher niemals viel Gutes gesehen hatten,
hat uns stutzig gemacht. Wir können uns eben nicht so schnell an den Ge¬
danken gewöhnen, daß andere — patriotischer sein sollen als wir. Aber dann
fiel mir eins auf — und das habe ich auch versucht, allen meinen Freunden
zu sagen, — überall war es wieder Gefühlspolitik, ich habe keine Tatsachen ge¬
sehen, nichts als Worte, nur Worte, immer wieder Worte. Und das war für mich
entscheidend. Ich wollte meinen Bekannten zurufen: Offenes Visier, wollt ihr ihn
weghaben, dann geht offen vor und verschanzt Euch nicht hinter einem Karten¬
haus von Gefühlen und Redereien, die der rauhe Wind einer einzigen Tat¬
sache umwerfen kann! Das kommt mir immer genau so vor, wie wenn der
Berliner Bürgermeister anfängt, von der Kartoffelpolitik der Agrarier zu reden.
Das mußte ja umfallen, wenn da mal die Laterne hineinleuchtete!

Und es ist auch wirklich so gekommen und ich habe das Gefühl und kann
es nicht loswerden, daß sich des Kanzlers Gegner gründlich dabei blamiert haben.
Und das sollten sie eben nicht. Ich finde, daß das politisch nicht klug war. Mi߬
erfolge schaden immer. Man hätte beidrehen sollen, als man sah, daß es so
nicht weiter ging. Pater peccavi sagen, war ja garnicht nötig. Man hätte
rüberschreiben können: „Nonny 8vit qui mal penso". So bleibt den
Leuten nur das eine fadenscheinige Argument: Wir haben zwar alles gehört,
glauben es aber doch nicht, unsere Überzeugungen sind nach wie vor nicht er¬
schüttert, aber — im Interesse der Einheit des Vaterlandes usw. usw. Mir
tut das ganze Schauspiel in der Seele weh — denn glauben Sie mir — ich
bin ein ehrlicher und überzeugter Konservativer. Ihr in der Stadt könnt ja
doch keine sein. Euch fehlt die tägliche Probe auf das Exempel.

Und wer sind schließlich dabei die Dummen? Wir hier draußen, die von
allen vertraulichen und geheimen Besprechungen im Reichstag und Kanzlerpalast
nur die Tatsache wissen, daß sie stattgefunden haben. Wir müssen es nun doch
blind glauben, daß das, was der Kanzler gewollt und gewußt hat, das Richtige
gewesen ist. Sind die Mitglieder des Reichstages soviel schlauer und klüger
und wissensberechtigter und einsichtsvoller als wir? Ein Gren hätte seinen Leuten
wahrscheinlich ganz kurz gesagt, ich bin nicht in der Lage, leider nicht in der
Lage, zu meinem großen Bedauern nicht in der Lage, etwas über den Gang
der politischen Entschlüsse und Verhandlungen zu sagen. Eine Eröffnung darüber
würde störend auf unsere politische Lage einwirken. — Der Kanzler hätte sich die
Parteiführer, die zu ihm standen, allein hinkommen lassen und ihnen sagen können:
steht zu mir. Wir wollen die Kraftprobe machen und ich werde den anderen ein
,.quo8 eZo" zurufen. Daß er das nicht getan hat, daß er nicht britische Par¬
lamentssitten nach Deutschland verpflanzt hat, das war eigentlich sehr anständig.

Und gerade die Offenheit, mit der der Kanzler vorgegangen ist, hat uns
verblüfft und mit verdammter Hochachtung vor seinen, politischen Können und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/131>, abgerufen am 01.09.2024.