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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Gin Besuch auf dem Lande

Das Russenproblem interessiert uns natürlich auch mehr als Sie denken.
Kenne die Leute gut, besser als vielleicht mancher gelehrte Professor in der
Stadt, der seinen Tolstoi im Original liest. Vom einfachen Volk, das wir so
gut bei der Gefangenenarbeit beobachten können, darf man doch auf die ganze
Sippschaft schließen? Nun, ich sage Ihnen, mit niemand ist besser fertigzu-
werden als mit dem Russen, ^ortiter in ro, 8uaviter in moclo. Damit
habe ich gute Erfolge gehabt und die Leute waren zufrieden. Zunächst, als
sie zu mir kamen, kannten sie nur zwei deutsche Worte, die sie im Gefangenen¬
lager gelernt hatten: "nicht gut". Auf alles, was sie hier kriegten, wiesen sie
vorwurfsvoll mit den Fingern und, traurig mit dem Kopfe nickend, wieder¬
holten sie -- auf ihre Tische, ihre Stühle, ihre Lagerstelle zeigend --: "nicht
gut, nicht gut." Mein Kannitverstan und die im Grunde gleichmäßige und
ordentliche Behandlung, die sie schließlich hier haben, hat sie zur Vernunft ge¬
bracht. Jetzt sind sie dankbar für alles Gute, nehmen Lehre an und möchten
am liebsten hier bleiben. Blicken Sie mal zurück auf den japanisch-russischen
Krieg. Damals hat Nußland in der Klemme ganz erhebliche Landabtretungen
machen müssen -- und wie leicht hat es sie verschmerzt. Jetzt sind es die
dicksten Freunde oder tun wenigstens, als ob sie es wären. Denn ich glaube
schon, daß es schwer ist, mit den Leuten von der aufgehenden Sonne als
Freunden politische Geschäfte zu machen. -- Rauft diesem dicken Körper an der
Peripherie ein paar Haare aus, hackt ihm selbst ein Fingerchen ab, er wird es
verschmerzen und es schließlich dem Arzte auch nicht nachtragen. -- Ich bin
immer gegen Schlagworte gewesen: Orientierung nach links oder rechts. Die
Leute werden sich schließlich dahin orientieren, wohin wir sie haben wollen und
da scheint mir der Plan des Kanzlers, so wie er ihn in seiner letzten Rede
skizziert hat, nicht so übel. Hauen wir erst ordentlich einmal demjenigen
unserer Gegner, der am schwächsten ist, auf den Kopf, bis er merkt, daß er
sich nach uns orientieren muß oder bis er zusammenbricht, dann ist es gut --
und so habe ich garnichts dagegen, daß der Kanzler zunächst einmal einen ordent¬
lichen Wasserstrahl nach Osten gespritzt hat. Bloß keine politischen Phrasen von Vor¬
wegnehmen unserer zukünftigen Politik im Friedenstraktate, den wir notsbens,
noch nicht haben. Schneiden wir in unserem Kriege militärisch so ab, wie wir
wollen, wünschen, und werden, dann wollen wir die Zukunft der Zukunft überlassen.

Und jetzt sollten wir zunächst einmal Disziplin beweisen -- Disziplin im
besten, im militärischen Sinne.

Es ist zu merkwürdig. In militärischen Dingen würde sich gewiß jeder
General aufs schärfste verbitten, wenn ihm ein x-beliebiger Zivilist -- und
das sind manchmal sogar die besten Militärschriftsteller -- ins Konzept spucken
würde. Politisch darf aber jeder mitreden. Wenn die Leute wenigstens Tat¬
sachen an der Hand hätten, aber wo sollen sie sie hernehmen?

Den U-Bootrummel habe ich zunächst nicht richtig kapiert, wir alle hier
auf dem Lande nicht. Uns war die Idee schmerzlich und unfaßbar, daß es


Gin Besuch auf dem Lande

Das Russenproblem interessiert uns natürlich auch mehr als Sie denken.
Kenne die Leute gut, besser als vielleicht mancher gelehrte Professor in der
Stadt, der seinen Tolstoi im Original liest. Vom einfachen Volk, das wir so
gut bei der Gefangenenarbeit beobachten können, darf man doch auf die ganze
Sippschaft schließen? Nun, ich sage Ihnen, mit niemand ist besser fertigzu-
werden als mit dem Russen, ^ortiter in ro, 8uaviter in moclo. Damit
habe ich gute Erfolge gehabt und die Leute waren zufrieden. Zunächst, als
sie zu mir kamen, kannten sie nur zwei deutsche Worte, die sie im Gefangenen¬
lager gelernt hatten: „nicht gut". Auf alles, was sie hier kriegten, wiesen sie
vorwurfsvoll mit den Fingern und, traurig mit dem Kopfe nickend, wieder¬
holten sie — auf ihre Tische, ihre Stühle, ihre Lagerstelle zeigend —: „nicht
gut, nicht gut." Mein Kannitverstan und die im Grunde gleichmäßige und
ordentliche Behandlung, die sie schließlich hier haben, hat sie zur Vernunft ge¬
bracht. Jetzt sind sie dankbar für alles Gute, nehmen Lehre an und möchten
am liebsten hier bleiben. Blicken Sie mal zurück auf den japanisch-russischen
Krieg. Damals hat Nußland in der Klemme ganz erhebliche Landabtretungen
machen müssen — und wie leicht hat es sie verschmerzt. Jetzt sind es die
dicksten Freunde oder tun wenigstens, als ob sie es wären. Denn ich glaube
schon, daß es schwer ist, mit den Leuten von der aufgehenden Sonne als
Freunden politische Geschäfte zu machen. — Rauft diesem dicken Körper an der
Peripherie ein paar Haare aus, hackt ihm selbst ein Fingerchen ab, er wird es
verschmerzen und es schließlich dem Arzte auch nicht nachtragen. — Ich bin
immer gegen Schlagworte gewesen: Orientierung nach links oder rechts. Die
Leute werden sich schließlich dahin orientieren, wohin wir sie haben wollen und
da scheint mir der Plan des Kanzlers, so wie er ihn in seiner letzten Rede
skizziert hat, nicht so übel. Hauen wir erst ordentlich einmal demjenigen
unserer Gegner, der am schwächsten ist, auf den Kopf, bis er merkt, daß er
sich nach uns orientieren muß oder bis er zusammenbricht, dann ist es gut —
und so habe ich garnichts dagegen, daß der Kanzler zunächst einmal einen ordent¬
lichen Wasserstrahl nach Osten gespritzt hat. Bloß keine politischen Phrasen von Vor¬
wegnehmen unserer zukünftigen Politik im Friedenstraktate, den wir notsbens,
noch nicht haben. Schneiden wir in unserem Kriege militärisch so ab, wie wir
wollen, wünschen, und werden, dann wollen wir die Zukunft der Zukunft überlassen.

Und jetzt sollten wir zunächst einmal Disziplin beweisen — Disziplin im
besten, im militärischen Sinne.

Es ist zu merkwürdig. In militärischen Dingen würde sich gewiß jeder
General aufs schärfste verbitten, wenn ihm ein x-beliebiger Zivilist — und
das sind manchmal sogar die besten Militärschriftsteller — ins Konzept spucken
würde. Politisch darf aber jeder mitreden. Wenn die Leute wenigstens Tat¬
sachen an der Hand hätten, aber wo sollen sie sie hernehmen?

Den U-Bootrummel habe ich zunächst nicht richtig kapiert, wir alle hier
auf dem Lande nicht. Uns war die Idee schmerzlich und unfaßbar, daß es


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[0130] Gin Besuch auf dem Lande Das Russenproblem interessiert uns natürlich auch mehr als Sie denken. Kenne die Leute gut, besser als vielleicht mancher gelehrte Professor in der Stadt, der seinen Tolstoi im Original liest. Vom einfachen Volk, das wir so gut bei der Gefangenenarbeit beobachten können, darf man doch auf die ganze Sippschaft schließen? Nun, ich sage Ihnen, mit niemand ist besser fertigzu- werden als mit dem Russen, ^ortiter in ro, 8uaviter in moclo. Damit habe ich gute Erfolge gehabt und die Leute waren zufrieden. Zunächst, als sie zu mir kamen, kannten sie nur zwei deutsche Worte, die sie im Gefangenen¬ lager gelernt hatten: „nicht gut". Auf alles, was sie hier kriegten, wiesen sie vorwurfsvoll mit den Fingern und, traurig mit dem Kopfe nickend, wieder¬ holten sie — auf ihre Tische, ihre Stühle, ihre Lagerstelle zeigend —: „nicht gut, nicht gut." Mein Kannitverstan und die im Grunde gleichmäßige und ordentliche Behandlung, die sie schließlich hier haben, hat sie zur Vernunft ge¬ bracht. Jetzt sind sie dankbar für alles Gute, nehmen Lehre an und möchten am liebsten hier bleiben. Blicken Sie mal zurück auf den japanisch-russischen Krieg. Damals hat Nußland in der Klemme ganz erhebliche Landabtretungen machen müssen — und wie leicht hat es sie verschmerzt. Jetzt sind es die dicksten Freunde oder tun wenigstens, als ob sie es wären. Denn ich glaube schon, daß es schwer ist, mit den Leuten von der aufgehenden Sonne als Freunden politische Geschäfte zu machen. — Rauft diesem dicken Körper an der Peripherie ein paar Haare aus, hackt ihm selbst ein Fingerchen ab, er wird es verschmerzen und es schließlich dem Arzte auch nicht nachtragen. — Ich bin immer gegen Schlagworte gewesen: Orientierung nach links oder rechts. Die Leute werden sich schließlich dahin orientieren, wohin wir sie haben wollen und da scheint mir der Plan des Kanzlers, so wie er ihn in seiner letzten Rede skizziert hat, nicht so übel. Hauen wir erst ordentlich einmal demjenigen unserer Gegner, der am schwächsten ist, auf den Kopf, bis er merkt, daß er sich nach uns orientieren muß oder bis er zusammenbricht, dann ist es gut — und so habe ich garnichts dagegen, daß der Kanzler zunächst einmal einen ordent¬ lichen Wasserstrahl nach Osten gespritzt hat. Bloß keine politischen Phrasen von Vor¬ wegnehmen unserer zukünftigen Politik im Friedenstraktate, den wir notsbens, noch nicht haben. Schneiden wir in unserem Kriege militärisch so ab, wie wir wollen, wünschen, und werden, dann wollen wir die Zukunft der Zukunft überlassen. Und jetzt sollten wir zunächst einmal Disziplin beweisen — Disziplin im besten, im militärischen Sinne. Es ist zu merkwürdig. In militärischen Dingen würde sich gewiß jeder General aufs schärfste verbitten, wenn ihm ein x-beliebiger Zivilist — und das sind manchmal sogar die besten Militärschriftsteller — ins Konzept spucken würde. Politisch darf aber jeder mitreden. Wenn die Leute wenigstens Tat¬ sachen an der Hand hätten, aber wo sollen sie sie hernehmen? Den U-Bootrummel habe ich zunächst nicht richtig kapiert, wir alle hier auf dem Lande nicht. Uns war die Idee schmerzlich und unfaßbar, daß es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/130>, abgerufen am 01.09.2024.