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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Li" Besuch auf dem Lande

Amerika ist ein schwieriges Kapitel. Dies Gemisch von Idealismus, Gottes¬
furcht und Geschäftspolitik kann einen traurig machen. Wie die Schaukel
schließlich schaukeln wird, ob das Geschäftsinteresse oder die Gottesfurcht oben
bleiben wird, wer will es wissen? Zedlitz hat neulich von der weißen Weste
gesprochen. Ist es nicht besser, wir behalten sie? Und ist uns Bethmann
dabei nicht eine große Stütze und muß uns sein ruhig zielbewußtes und
würdiges Auftreten nicht mit einer kolossalen Ruhe erfüllen? --

-- Ja, für Sie da draußen in der Stadt liegt alles leichter. Wir
denken länger über die Sachen nach, haben Zeit dazu auf unseren langen
Gängen durch Wald und Feld. Können schwerer umlernen als Ihr, die Ihr
jeder Gedankenbiegung mit begeistertem Verstehen folgt. Und uns fällt es
schwer, das alte auf einmal so ganz über Bord zu werfen. Aber ganz im
Geheimen will ich es Ihnen anvertrauen. Auch wir hier finden allmählich
Gefallen an diesem Manne, den man mit dem Titel Bürokrat in unseren
Kreisen bedacht hatte. Ich habe neulich seine großen Reden, die er im Reichs¬
tage gehalten hat, hintereinander gelesen. Die schöne Ausgabe haben Sie
natürlich in den Ämtern verbrochen, um für den Mann Reklame zu machen?
Na, schadet nichts, mir kommt es so vor, als ob echter Preußenstil in diesen
Sätzen drin wäre, den uns niemand nachmacht. Und wenn wir so etwas
merken, Sie wissen, dann ist der betreffende unser Mann. Im Grunde ist
das doch ein anderer Schmiß als in dem Phrasengedresche eines Poincarö, oder
der Hysterie eines Ssasonow oder dem faulen Heuchlertum der Grey und
Genossen. Wissen Sie, wir sagen hier draußen immer "Grey", wenn wir
auch Asquith oder die anderen meinen. Ich weiß schon, Sie werden mir
schnell aus Ihrer Personenkenntnis heraus eine Charakteristik dieser Leute geben,
werden mir ihre Redereien psychologisch verstündlich machen, mir sagen, daß
die Sache nicht so tragisch zu nehmen ist usw. Na. mögen die Kerls im
einzelnen ganz anständig als Privatpersonen sein -- ich glaube doch, daß wir
hier draußen, im allgemeinen die Sorte, die Spezies, wenn ich mich so aus¬
drücken darf, richtiger abschätzen als Sie. -- Und eins hat mich, um wieder
auf Bethmann zurückzukommen, auch für ihn eingenommen: die Disziplin¬
losigkeit seiner Gegner. Wissen Sie, Professoren -- ü w douleur, habe nichts
gegen die Gelehrsamkeit. Aber wir kennen manche von ihnen, die wir hier
so früher als Hauslehrer bei unseren Kindern erlebt haben, auch ganz gut --
und sind nicht so ganz abergläubisch der Kaste gegenüber. Man kann doch
schließlich die Politik nicht profefsorenmäßig behandeln -- und wenn ich die
langen Abhandlungen in Blättern lese, die ich ja sonst sehr billige, so kommt mich
wenigstens das Gähnen an. Etwas kürzer, Herr Professor. Kürze ist Würze.
Wenn Sie einmal frondieren wollen, dann noch offener, Msier herunter und
ohne den ganzen historischen Krimskrams, der uns nur kopfverdreht macht.
Meinen Sie, wir könnten all die gelehrten Ausführungen behalten? Lassen
Sie uns nach vorwärts sehen und nicht zurück.


Li» Besuch auf dem Lande

Amerika ist ein schwieriges Kapitel. Dies Gemisch von Idealismus, Gottes¬
furcht und Geschäftspolitik kann einen traurig machen. Wie die Schaukel
schließlich schaukeln wird, ob das Geschäftsinteresse oder die Gottesfurcht oben
bleiben wird, wer will es wissen? Zedlitz hat neulich von der weißen Weste
gesprochen. Ist es nicht besser, wir behalten sie? Und ist uns Bethmann
dabei nicht eine große Stütze und muß uns sein ruhig zielbewußtes und
würdiges Auftreten nicht mit einer kolossalen Ruhe erfüllen? —

— Ja, für Sie da draußen in der Stadt liegt alles leichter. Wir
denken länger über die Sachen nach, haben Zeit dazu auf unseren langen
Gängen durch Wald und Feld. Können schwerer umlernen als Ihr, die Ihr
jeder Gedankenbiegung mit begeistertem Verstehen folgt. Und uns fällt es
schwer, das alte auf einmal so ganz über Bord zu werfen. Aber ganz im
Geheimen will ich es Ihnen anvertrauen. Auch wir hier finden allmählich
Gefallen an diesem Manne, den man mit dem Titel Bürokrat in unseren
Kreisen bedacht hatte. Ich habe neulich seine großen Reden, die er im Reichs¬
tage gehalten hat, hintereinander gelesen. Die schöne Ausgabe haben Sie
natürlich in den Ämtern verbrochen, um für den Mann Reklame zu machen?
Na, schadet nichts, mir kommt es so vor, als ob echter Preußenstil in diesen
Sätzen drin wäre, den uns niemand nachmacht. Und wenn wir so etwas
merken, Sie wissen, dann ist der betreffende unser Mann. Im Grunde ist
das doch ein anderer Schmiß als in dem Phrasengedresche eines Poincarö, oder
der Hysterie eines Ssasonow oder dem faulen Heuchlertum der Grey und
Genossen. Wissen Sie, wir sagen hier draußen immer „Grey", wenn wir
auch Asquith oder die anderen meinen. Ich weiß schon, Sie werden mir
schnell aus Ihrer Personenkenntnis heraus eine Charakteristik dieser Leute geben,
werden mir ihre Redereien psychologisch verstündlich machen, mir sagen, daß
die Sache nicht so tragisch zu nehmen ist usw. Na. mögen die Kerls im
einzelnen ganz anständig als Privatpersonen sein — ich glaube doch, daß wir
hier draußen, im allgemeinen die Sorte, die Spezies, wenn ich mich so aus¬
drücken darf, richtiger abschätzen als Sie. — Und eins hat mich, um wieder
auf Bethmann zurückzukommen, auch für ihn eingenommen: die Disziplin¬
losigkeit seiner Gegner. Wissen Sie, Professoren — ü w douleur, habe nichts
gegen die Gelehrsamkeit. Aber wir kennen manche von ihnen, die wir hier
so früher als Hauslehrer bei unseren Kindern erlebt haben, auch ganz gut —
und sind nicht so ganz abergläubisch der Kaste gegenüber. Man kann doch
schließlich die Politik nicht profefsorenmäßig behandeln — und wenn ich die
langen Abhandlungen in Blättern lese, die ich ja sonst sehr billige, so kommt mich
wenigstens das Gähnen an. Etwas kürzer, Herr Professor. Kürze ist Würze.
Wenn Sie einmal frondieren wollen, dann noch offener, Msier herunter und
ohne den ganzen historischen Krimskrams, der uns nur kopfverdreht macht.
Meinen Sie, wir könnten all die gelehrten Ausführungen behalten? Lassen
Sie uns nach vorwärts sehen und nicht zurück.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/129>, abgerufen am 01.09.2024.