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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Albaniens Enttäuschung und Erwartung

Panik, die sich denken läßt. Durch alle Straßen liefen Leute und schrieen: "der
Feind kommt!" Alles wollte sich einschiffen.

Der italienische Gesandte Baron Aliotti rief: "4000 Aufständische sind auf
dem Wege in die Stadt!" Fast alle glaubten ihm, doch Hütte sich jeder, der
nicht gerade im Gewirr der Gassen wohnte, durch einen Blick aus dem
Fenster davon überzeugen können, daß auch nicht ein Aufständischer im Anzug
war. Nachdem er so die Fremden in Entsetzen versetzt hatte, ging der italienische
Gesandte ins Palais und drang in den Fürsten, sich und seine Familie ein¬
zuschiffen. Der Fürst weigerte sich zunächst entschieden, als aber Aliotti ihn
bat, doch nicht die italienischen Marinesoldaten, welche das Palais bewachten,
durch dies "Wagnis ohne Zweck" zu gefährden, gab er endlich sehr wider¬
willig nach.

Kaum hatte Fürst Wilhelm das Boot betreten, um sich an Bord des
italienischen Kriegsschiffes zu begeben, so raste sein italienischer Geheimsekretär
Castoldi, die Daumen in den Armausschnitten seiner Weste, durch die Haupt¬
straße und schrie: "Der König ist fort, rette sich wer kann!"

Ein italienischer Soldat holte sofort die Standarte des Fürsten vom
Palais, und das Kriegsschiff mit dem Fürsten dampfte weiter vom Lande ab,
"um den Fürsten vor verirrten Kugeln zu schützen", ohne daß überhaupt ein
Schuß fiel, außer von den Verteidigungskanonen der Stadt selbst.

Der Eindruck dieser Fürstenflucht auf die Albaner war niederschmetternd.
Obwohl der Fürst eigentlich unschuldig daran war, hat er ihn nie mehr ganz
wettmachen können. Damit hatte Aliotti sein Ziel erreicht.

Kaum 20 Minuten war Fürst Wilhelm an Bord, als er sich überzeugte,
daß nirgends der Feind im Vormarsch war. Er ließ sich infolgedessen sofort
wieder ausschiffen.

Von der Stunde an hatte er Aliottis Charakter begriffen, seinen Zweck
durchschaut, der bis dahin so einflußreiche Mann hatte fortan bei Fürst Wilhelm
gänzlich ausgespielt.

Zu spät. -

Der Aufstand griff, da nun die Aufständischen auch noch das Prestige des
Sieges für sich hatten, jetzt auch auf das Gebiet von Kavaja und Elbassan
über. Die Kontrollkommission erlangte von den Führern der Leute von schlät
zwar die Auslieferung sämtlicher Gefangenen, denen, wie stets in Albanien,
kein Haar gekrümmt worden war, aber eine Verständigung erreichte sie nicht.
Unter dem Druck der dem deutschen Fürsten und der albanischen Einheit über¬
haupt feindlichen fremden Agitatoren, blieben die Aufständischen auf ihrem Ver¬
langen, der Abdankung Fürst Wilhelms, bestehen.

Indeß schlugen alle Angriffe der Aufständischen auf Dmazzo, deren erstem
allerdings der treffliche Thomson zum Opfer fiel, fehl. Es gelang andererseits
nicht, die fürstentreuen Elemente, im ganzen Lande noch immer in Überzahl,


Albaniens Enttäuschung und Erwartung

Panik, die sich denken läßt. Durch alle Straßen liefen Leute und schrieen: „der
Feind kommt!" Alles wollte sich einschiffen.

Der italienische Gesandte Baron Aliotti rief: „4000 Aufständische sind auf
dem Wege in die Stadt!" Fast alle glaubten ihm, doch Hütte sich jeder, der
nicht gerade im Gewirr der Gassen wohnte, durch einen Blick aus dem
Fenster davon überzeugen können, daß auch nicht ein Aufständischer im Anzug
war. Nachdem er so die Fremden in Entsetzen versetzt hatte, ging der italienische
Gesandte ins Palais und drang in den Fürsten, sich und seine Familie ein¬
zuschiffen. Der Fürst weigerte sich zunächst entschieden, als aber Aliotti ihn
bat, doch nicht die italienischen Marinesoldaten, welche das Palais bewachten,
durch dies „Wagnis ohne Zweck" zu gefährden, gab er endlich sehr wider¬
willig nach.

Kaum hatte Fürst Wilhelm das Boot betreten, um sich an Bord des
italienischen Kriegsschiffes zu begeben, so raste sein italienischer Geheimsekretär
Castoldi, die Daumen in den Armausschnitten seiner Weste, durch die Haupt¬
straße und schrie: „Der König ist fort, rette sich wer kann!"

Ein italienischer Soldat holte sofort die Standarte des Fürsten vom
Palais, und das Kriegsschiff mit dem Fürsten dampfte weiter vom Lande ab,
„um den Fürsten vor verirrten Kugeln zu schützen", ohne daß überhaupt ein
Schuß fiel, außer von den Verteidigungskanonen der Stadt selbst.

Der Eindruck dieser Fürstenflucht auf die Albaner war niederschmetternd.
Obwohl der Fürst eigentlich unschuldig daran war, hat er ihn nie mehr ganz
wettmachen können. Damit hatte Aliotti sein Ziel erreicht.

Kaum 20 Minuten war Fürst Wilhelm an Bord, als er sich überzeugte,
daß nirgends der Feind im Vormarsch war. Er ließ sich infolgedessen sofort
wieder ausschiffen.

Von der Stunde an hatte er Aliottis Charakter begriffen, seinen Zweck
durchschaut, der bis dahin so einflußreiche Mann hatte fortan bei Fürst Wilhelm
gänzlich ausgespielt.

Zu spät. -

Der Aufstand griff, da nun die Aufständischen auch noch das Prestige des
Sieges für sich hatten, jetzt auch auf das Gebiet von Kavaja und Elbassan
über. Die Kontrollkommission erlangte von den Führern der Leute von schlät
zwar die Auslieferung sämtlicher Gefangenen, denen, wie stets in Albanien,
kein Haar gekrümmt worden war, aber eine Verständigung erreichte sie nicht.
Unter dem Druck der dem deutschen Fürsten und der albanischen Einheit über¬
haupt feindlichen fremden Agitatoren, blieben die Aufständischen auf ihrem Ver¬
langen, der Abdankung Fürst Wilhelms, bestehen.

Indeß schlugen alle Angriffe der Aufständischen auf Dmazzo, deren erstem
allerdings der treffliche Thomson zum Opfer fiel, fehl. Es gelang andererseits
nicht, die fürstentreuen Elemente, im ganzen Lande noch immer in Überzahl,


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[0124] Albaniens Enttäuschung und Erwartung Panik, die sich denken läßt. Durch alle Straßen liefen Leute und schrieen: „der Feind kommt!" Alles wollte sich einschiffen. Der italienische Gesandte Baron Aliotti rief: „4000 Aufständische sind auf dem Wege in die Stadt!" Fast alle glaubten ihm, doch Hütte sich jeder, der nicht gerade im Gewirr der Gassen wohnte, durch einen Blick aus dem Fenster davon überzeugen können, daß auch nicht ein Aufständischer im Anzug war. Nachdem er so die Fremden in Entsetzen versetzt hatte, ging der italienische Gesandte ins Palais und drang in den Fürsten, sich und seine Familie ein¬ zuschiffen. Der Fürst weigerte sich zunächst entschieden, als aber Aliotti ihn bat, doch nicht die italienischen Marinesoldaten, welche das Palais bewachten, durch dies „Wagnis ohne Zweck" zu gefährden, gab er endlich sehr wider¬ willig nach. Kaum hatte Fürst Wilhelm das Boot betreten, um sich an Bord des italienischen Kriegsschiffes zu begeben, so raste sein italienischer Geheimsekretär Castoldi, die Daumen in den Armausschnitten seiner Weste, durch die Haupt¬ straße und schrie: „Der König ist fort, rette sich wer kann!" Ein italienischer Soldat holte sofort die Standarte des Fürsten vom Palais, und das Kriegsschiff mit dem Fürsten dampfte weiter vom Lande ab, „um den Fürsten vor verirrten Kugeln zu schützen", ohne daß überhaupt ein Schuß fiel, außer von den Verteidigungskanonen der Stadt selbst. Der Eindruck dieser Fürstenflucht auf die Albaner war niederschmetternd. Obwohl der Fürst eigentlich unschuldig daran war, hat er ihn nie mehr ganz wettmachen können. Damit hatte Aliotti sein Ziel erreicht. Kaum 20 Minuten war Fürst Wilhelm an Bord, als er sich überzeugte, daß nirgends der Feind im Vormarsch war. Er ließ sich infolgedessen sofort wieder ausschiffen. Von der Stunde an hatte er Aliottis Charakter begriffen, seinen Zweck durchschaut, der bis dahin so einflußreiche Mann hatte fortan bei Fürst Wilhelm gänzlich ausgespielt. Zu spät. - Der Aufstand griff, da nun die Aufständischen auch noch das Prestige des Sieges für sich hatten, jetzt auch auf das Gebiet von Kavaja und Elbassan über. Die Kontrollkommission erlangte von den Führern der Leute von schlät zwar die Auslieferung sämtlicher Gefangenen, denen, wie stets in Albanien, kein Haar gekrümmt worden war, aber eine Verständigung erreichte sie nicht. Unter dem Druck der dem deutschen Fürsten und der albanischen Einheit über¬ haupt feindlichen fremden Agitatoren, blieben die Aufständischen auf ihrem Ver¬ langen, der Abdankung Fürst Wilhelms, bestehen. Indeß schlugen alle Angriffe der Aufständischen auf Dmazzo, deren erstem allerdings der treffliche Thomson zum Opfer fiel, fehl. Es gelang andererseits nicht, die fürstentreuen Elemente, im ganzen Lande noch immer in Überzahl,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/124>, abgerufen am 01.09.2024.