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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Albaniens Enttäuschung und Erwartung

kommandanten Major Sluys die Nachricht, Essad habe hundert Bewaffnete in
sein Haus bei der Zitadelle von Durazzo kommen lassen und plane für den
Morgen den Aufständischen die Staditore zu öffnen, um einen Handstreich gegen
das Palais zu unternehmen.

Ohne sich von der Nichtigkeit dieser Behauptungen irgendwie zu über¬
zeugen, ohne den Fürsten mit einem Bericht seiner Annahmen und Pläne zu
"beunruhigen", hat Sinns einige hundert Südalbaner "zum Schutze des Fürsten"
versammelt.

Gegen Morgen ließ er Essads Haus von diesen Südalbanern umzingeln,
und, als Essads Koch durch diesen scheinbar südalbanischen (toskischen) Überfall
auf seinen Herrn erschreckt, zum Fenster hinausschoß, ehe Essad noch zu der
Forderung, seine Leute auszuliefern und zu entwaffnen, in seiner Verblüffung,
aus tiefstem Schlaf erweckt, hatte Stellung nehmen können, mit Kanonen bom¬
bardieren! Das Holzhaus des Kriegsministers im Amt!!

Essad winke sofort mit weißen Tüchern und Sluys, überrascht, nirgends
etwas von den hundert Bewaffneten, wohl aber Essads Gattin zu sehen, ließ
das Feuer einstellen.

Bekanntlich wurde Essad unter österreichisch^italienischer Bedeckung zunächst
auf das österreichische Kriegsschiff gebracht, aber Italien, oder der wütend":
Aliotti, protestierte, und der Fürst gab leider nach.

Somit kam Essad nach Italien und der in dieser Form lächerliche, plumpe
und unrühmliche Handstreich hatte das Ergebnis, daß der ehrgeizige, rastlos
tatkräftige, aufs Höchste gereizte Essad nunmehr mit Hilfe Italiens den Aufstand
mit allen Mitteln zu schüren imstande war. Von dem Tage an stießen auch
alle Essad persönlich Ergebenen zu den Rebellen, deren Erhebung deshalb so
schwerwiegend war, weil sie, sonst unbedeutend, gerade vor den Toren der
Hauptstadt, den Fürsten gänzlich von seinem Lande abgeschnitten hat.

Unglaubliche Mißgriffe der militärischen Befehlshaber vergrößerten die
Gefahr.'

Österreich hatte schon Mitte Mai vorzügliche Skodakanonen zur Verfügung
gestellt. Gegen die begleitenden k. k. Artillerieoffiziere, an ihrer Spitze den
vortrefflichen Hauptmann Baron Kliugspor, beeilte sich aber Aliotti zu pro¬
testieren.

Der österreichische Gesandte, Herr von Löwenthal, gab wie immer nach
und die österreichischen Artillerieoffiziere mußten den Befehl über ihre Geschütze an
Albaner abgeben, die natürlich von den Holländern abhängig waren.

Am 23. Mai, vier Tage nach Essads Sturz, beschloß der Holländer¬
general de Veer trotz Thomsons Widerspruch, die Aufständischen anzugreifen.
Zu diesem Zweck entsandte er nachts von Durazzo 80 Gendarmen und fremde
Freiwillige unter zwei Holländern mit zwei Kanonen und zwei Maschinen¬
gewehren, dazu 100 an diesem Tage zum persönlichen Schutz des Fürsten aus
dem Norden eingetroffene katholische Malcoren.


Albaniens Enttäuschung und Erwartung

kommandanten Major Sluys die Nachricht, Essad habe hundert Bewaffnete in
sein Haus bei der Zitadelle von Durazzo kommen lassen und plane für den
Morgen den Aufständischen die Staditore zu öffnen, um einen Handstreich gegen
das Palais zu unternehmen.

Ohne sich von der Nichtigkeit dieser Behauptungen irgendwie zu über¬
zeugen, ohne den Fürsten mit einem Bericht seiner Annahmen und Pläne zu
„beunruhigen", hat Sinns einige hundert Südalbaner „zum Schutze des Fürsten"
versammelt.

Gegen Morgen ließ er Essads Haus von diesen Südalbanern umzingeln,
und, als Essads Koch durch diesen scheinbar südalbanischen (toskischen) Überfall
auf seinen Herrn erschreckt, zum Fenster hinausschoß, ehe Essad noch zu der
Forderung, seine Leute auszuliefern und zu entwaffnen, in seiner Verblüffung,
aus tiefstem Schlaf erweckt, hatte Stellung nehmen können, mit Kanonen bom¬
bardieren! Das Holzhaus des Kriegsministers im Amt!!

Essad winke sofort mit weißen Tüchern und Sluys, überrascht, nirgends
etwas von den hundert Bewaffneten, wohl aber Essads Gattin zu sehen, ließ
das Feuer einstellen.

Bekanntlich wurde Essad unter österreichisch^italienischer Bedeckung zunächst
auf das österreichische Kriegsschiff gebracht, aber Italien, oder der wütend«:
Aliotti, protestierte, und der Fürst gab leider nach.

Somit kam Essad nach Italien und der in dieser Form lächerliche, plumpe
und unrühmliche Handstreich hatte das Ergebnis, daß der ehrgeizige, rastlos
tatkräftige, aufs Höchste gereizte Essad nunmehr mit Hilfe Italiens den Aufstand
mit allen Mitteln zu schüren imstande war. Von dem Tage an stießen auch
alle Essad persönlich Ergebenen zu den Rebellen, deren Erhebung deshalb so
schwerwiegend war, weil sie, sonst unbedeutend, gerade vor den Toren der
Hauptstadt, den Fürsten gänzlich von seinem Lande abgeschnitten hat.

Unglaubliche Mißgriffe der militärischen Befehlshaber vergrößerten die
Gefahr.'

Österreich hatte schon Mitte Mai vorzügliche Skodakanonen zur Verfügung
gestellt. Gegen die begleitenden k. k. Artillerieoffiziere, an ihrer Spitze den
vortrefflichen Hauptmann Baron Kliugspor, beeilte sich aber Aliotti zu pro¬
testieren.

Der österreichische Gesandte, Herr von Löwenthal, gab wie immer nach
und die österreichischen Artillerieoffiziere mußten den Befehl über ihre Geschütze an
Albaner abgeben, die natürlich von den Holländern abhängig waren.

Am 23. Mai, vier Tage nach Essads Sturz, beschloß der Holländer¬
general de Veer trotz Thomsons Widerspruch, die Aufständischen anzugreifen.
Zu diesem Zweck entsandte er nachts von Durazzo 80 Gendarmen und fremde
Freiwillige unter zwei Holländern mit zwei Kanonen und zwei Maschinen¬
gewehren, dazu 100 an diesem Tage zum persönlichen Schutz des Fürsten aus
dem Norden eingetroffene katholische Malcoren.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/122>, abgerufen am 01.09.2024.