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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Die Reich5gründmig

merkwürdigerweise gerade die nationale Bedeutung des Zollvereins zu ver¬
kleinern bestrebt ist. Man darf ihm insofern beistimmen, als der Zollverein
von Preußen gewiß nicht geschaffen und lange Zeit erhalten worden ist in der
Absicht, auf nationale Bestrebungen einzugehen. Trotzdem liegt die große
nationale Beoeutung des Vereins auf der Hand. Er war der für jedes Auge
sinnfällige Prototyp des kleineren Deutschlands, dessen Denkbarkeit gerade an
ihm den Zeitgenossen deutlicher zu Gemüte geführt worden ist, wie an irgend
etwas anderem. Auch sind frühzeitig starke politische Hoffnungen an den Zoll¬
verein geknüpft worden, die z. B. in den Beschlüssen von Heppenheim 1847
Gestalt gewannen.

Innerhalb der achtundvierziger Bewegung muß man sich hüten, die gro߬
deutschen und kleindeutschen Bestrebungen allzu schroff zu scheiden. Im Oktober
1848 z. B. kam ein Vermittlungsantrag Heinrichs von Gagern vor die Pauls-
kirche, wonach die deutschen Staaten außer Österreich einen engeren Bund unter
sich bilden, dann aber mit Österreich einen weiteren gleichfalls unlösbaren Bund
schließen sollten. Der Antrag nimmt im Grunde schon das Problem des
heutigen Mitteleuropa und auch der Zweibundpolitik Bismarcks und Andrassys
nach der Entscheidung von 1866 vorweg. Er hatte keinen unmittelbaren Erfolg,
doch stand Gagern mir seinen Hoffnungen keineswegs allein. Auf ein ganz
ähnliches Ziel gingen in letzter Linie die deutschen Pläne Camphausens aus,
nur daß er sich weit stärker als Gagern auf Preußen stützen wollte und an der
preußischen Staatseinheit festhielt, die Gagern lieber gelockert hätte. Und ver¬
wandte Gedanken hegte endlich auch Radowitz, einer der nächsten persönlichen
Freunde Friedrich Wilhelms des Vierten. Camphausen und Radowitz waren
einflußreiche Leute: jener nach seinem Ministerium preußischer Vertreter in
Frankfurt, dieser der hymen8 rector der preußischen Unionspolitik. Sie sind
auch sicherlich die beiden Politiker auf preußischer Seite, die am meisten Bismarcks
spätere Bahnen geebnet haben.

Bismarcks deutsches Programm war: nicht anders als durch Gewalt ist
die deutsche Frage zu lösen, und nicht anders als nach Maßgabe der preußischen
Interessen darf sie gelöst werden. Bismarck hatte in der inneren wie in der
auswärtigen Politik keine anderen Grundsätze als das Interesse Preußens und
keine anderen ethischen Normen seines Handelns als seine Königstreue und sein
Standesbewußtsein. Er blieb zeitlebens ein echter Junker, nur daß er sehr
viel mehr gelernt hatte als die meisten seiner Standesgenossen und ein diplo¬
matisches Genie war. Die Darstellung der Persönlichkeit Bismarcks gehört zu
dem Besten in Brandenburgs Buche.

Vor dem Vorwurf eine brutale Politik betrieben zu haben, sollte Bismarck
freilich geschützt sein. Daß ihm nichts ferner lag, als Österreich oder die
deutschen Mittelstaaten brutal niederzuwerfen, hat er nach der Entscheidung von
1866 bewiesen, wo er um sofortige Heilung der Wunden mehr bemüht war,
als irgendein anderer unter den damaligen Leitern der deutschen Geschicke.


Die Reich5gründmig

merkwürdigerweise gerade die nationale Bedeutung des Zollvereins zu ver¬
kleinern bestrebt ist. Man darf ihm insofern beistimmen, als der Zollverein
von Preußen gewiß nicht geschaffen und lange Zeit erhalten worden ist in der
Absicht, auf nationale Bestrebungen einzugehen. Trotzdem liegt die große
nationale Beoeutung des Vereins auf der Hand. Er war der für jedes Auge
sinnfällige Prototyp des kleineren Deutschlands, dessen Denkbarkeit gerade an
ihm den Zeitgenossen deutlicher zu Gemüte geführt worden ist, wie an irgend
etwas anderem. Auch sind frühzeitig starke politische Hoffnungen an den Zoll¬
verein geknüpft worden, die z. B. in den Beschlüssen von Heppenheim 1847
Gestalt gewannen.

Innerhalb der achtundvierziger Bewegung muß man sich hüten, die gro߬
deutschen und kleindeutschen Bestrebungen allzu schroff zu scheiden. Im Oktober
1848 z. B. kam ein Vermittlungsantrag Heinrichs von Gagern vor die Pauls-
kirche, wonach die deutschen Staaten außer Österreich einen engeren Bund unter
sich bilden, dann aber mit Österreich einen weiteren gleichfalls unlösbaren Bund
schließen sollten. Der Antrag nimmt im Grunde schon das Problem des
heutigen Mitteleuropa und auch der Zweibundpolitik Bismarcks und Andrassys
nach der Entscheidung von 1866 vorweg. Er hatte keinen unmittelbaren Erfolg,
doch stand Gagern mir seinen Hoffnungen keineswegs allein. Auf ein ganz
ähnliches Ziel gingen in letzter Linie die deutschen Pläne Camphausens aus,
nur daß er sich weit stärker als Gagern auf Preußen stützen wollte und an der
preußischen Staatseinheit festhielt, die Gagern lieber gelockert hätte. Und ver¬
wandte Gedanken hegte endlich auch Radowitz, einer der nächsten persönlichen
Freunde Friedrich Wilhelms des Vierten. Camphausen und Radowitz waren
einflußreiche Leute: jener nach seinem Ministerium preußischer Vertreter in
Frankfurt, dieser der hymen8 rector der preußischen Unionspolitik. Sie sind
auch sicherlich die beiden Politiker auf preußischer Seite, die am meisten Bismarcks
spätere Bahnen geebnet haben.

Bismarcks deutsches Programm war: nicht anders als durch Gewalt ist
die deutsche Frage zu lösen, und nicht anders als nach Maßgabe der preußischen
Interessen darf sie gelöst werden. Bismarck hatte in der inneren wie in der
auswärtigen Politik keine anderen Grundsätze als das Interesse Preußens und
keine anderen ethischen Normen seines Handelns als seine Königstreue und sein
Standesbewußtsein. Er blieb zeitlebens ein echter Junker, nur daß er sehr
viel mehr gelernt hatte als die meisten seiner Standesgenossen und ein diplo¬
matisches Genie war. Die Darstellung der Persönlichkeit Bismarcks gehört zu
dem Besten in Brandenburgs Buche.

Vor dem Vorwurf eine brutale Politik betrieben zu haben, sollte Bismarck
freilich geschützt sein. Daß ihm nichts ferner lag, als Österreich oder die
deutschen Mittelstaaten brutal niederzuwerfen, hat er nach der Entscheidung von
1866 bewiesen, wo er um sofortige Heilung der Wunden mehr bemüht war,
als irgendein anderer unter den damaligen Leitern der deutschen Geschicke.


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[0115] Die Reich5gründmig merkwürdigerweise gerade die nationale Bedeutung des Zollvereins zu ver¬ kleinern bestrebt ist. Man darf ihm insofern beistimmen, als der Zollverein von Preußen gewiß nicht geschaffen und lange Zeit erhalten worden ist in der Absicht, auf nationale Bestrebungen einzugehen. Trotzdem liegt die große nationale Beoeutung des Vereins auf der Hand. Er war der für jedes Auge sinnfällige Prototyp des kleineren Deutschlands, dessen Denkbarkeit gerade an ihm den Zeitgenossen deutlicher zu Gemüte geführt worden ist, wie an irgend etwas anderem. Auch sind frühzeitig starke politische Hoffnungen an den Zoll¬ verein geknüpft worden, die z. B. in den Beschlüssen von Heppenheim 1847 Gestalt gewannen. Innerhalb der achtundvierziger Bewegung muß man sich hüten, die gro߬ deutschen und kleindeutschen Bestrebungen allzu schroff zu scheiden. Im Oktober 1848 z. B. kam ein Vermittlungsantrag Heinrichs von Gagern vor die Pauls- kirche, wonach die deutschen Staaten außer Österreich einen engeren Bund unter sich bilden, dann aber mit Österreich einen weiteren gleichfalls unlösbaren Bund schließen sollten. Der Antrag nimmt im Grunde schon das Problem des heutigen Mitteleuropa und auch der Zweibundpolitik Bismarcks und Andrassys nach der Entscheidung von 1866 vorweg. Er hatte keinen unmittelbaren Erfolg, doch stand Gagern mir seinen Hoffnungen keineswegs allein. Auf ein ganz ähnliches Ziel gingen in letzter Linie die deutschen Pläne Camphausens aus, nur daß er sich weit stärker als Gagern auf Preußen stützen wollte und an der preußischen Staatseinheit festhielt, die Gagern lieber gelockert hätte. Und ver¬ wandte Gedanken hegte endlich auch Radowitz, einer der nächsten persönlichen Freunde Friedrich Wilhelms des Vierten. Camphausen und Radowitz waren einflußreiche Leute: jener nach seinem Ministerium preußischer Vertreter in Frankfurt, dieser der hymen8 rector der preußischen Unionspolitik. Sie sind auch sicherlich die beiden Politiker auf preußischer Seite, die am meisten Bismarcks spätere Bahnen geebnet haben. Bismarcks deutsches Programm war: nicht anders als durch Gewalt ist die deutsche Frage zu lösen, und nicht anders als nach Maßgabe der preußischen Interessen darf sie gelöst werden. Bismarck hatte in der inneren wie in der auswärtigen Politik keine anderen Grundsätze als das Interesse Preußens und keine anderen ethischen Normen seines Handelns als seine Königstreue und sein Standesbewußtsein. Er blieb zeitlebens ein echter Junker, nur daß er sehr viel mehr gelernt hatte als die meisten seiner Standesgenossen und ein diplo¬ matisches Genie war. Die Darstellung der Persönlichkeit Bismarcks gehört zu dem Besten in Brandenburgs Buche. Vor dem Vorwurf eine brutale Politik betrieben zu haben, sollte Bismarck freilich geschützt sein. Daß ihm nichts ferner lag, als Österreich oder die deutschen Mittelstaaten brutal niederzuwerfen, hat er nach der Entscheidung von 1866 bewiesen, wo er um sofortige Heilung der Wunden mehr bemüht war, als irgendein anderer unter den damaligen Leitern der deutschen Geschicke.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/115>, abgerufen am 01.09.2024.