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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Die Reichsgrimdung

nicht in gleicher Weise möglich war wie die Österreichs. Man hätte halb
Deutschland ausgeschaltet. Österreich sei aber an sich ungeeignet gewesen, erstens
weil es ein zu wenig deutscher Staat sei, und die Verbindung der nichtdeutschen
Teile mit dem Deutschen Reich ein unlösbares Problem sei. Demgegenüber
wäre zu sagen, daß man um die Lösung eben dieses angeblich unlösbaren
Problems zurzeit gerade eifrig bemüht ist. Es ist ja nichts anderes als das
"mitteleuropäische" Problem, wie es Friedrich Naumann genannt hat. Zweitens
sei Österreich ungeeignet gewesen, weil seine wirtschaftlichen und politischen Interessen
nach dem Balkan und nach Italien wiesen, und Deutschland so von seinen eigenen
Interessen abgezogen worden wäre. Diese Behauptung beruht auf einer nicht
ohne weiteres berechtigten Anwendung des Satzes der Identität: Aus der durch
die folgende Entwicklung geschaffenen Identität der preußischen und deutschen
Wirtschaftsinteressen, wird eine Identität "schon für die Zeit vor dem Zollverein
vorausgesetzt. Wahrscheinlich hätten die Wirtschaftsinteressen Deutschlands auch
im österreichischen Sinne entwickelt werden können. Ist doch eine den öster¬
reichischen parallele Entwicklung unserer Orientinteressen nachträglich auch noch
eingetreten. Die erhoffte Zukunft unseres Bündnisses mit Bulgarien und der
Türkei, die kürzlich auch vom Reichskanzler in Aussicht gestellte Ausdehnung
unserer politischen Einflußsphäre über die bisherigen russischen Westprovinzen
und die damit vermutlich verbundene Wiederaufnahme der alten ostdeutschen
Kolonisation wendet das Gesicht unserer ökonomischen Expansion von der Nordsee
ab nach Süden und Osten. Und da die bisherigen atlantischen Interessen weiter
bestehen werden, so wird wahrscheinlich ein Januskopf entstehen, der am besten
beweist, daß von Hause aus beide Möglichkeiten denkbar waren. Drittens war,
nach Brandenburg, Österreich nicht in der Lage, die deutsche Vormacht zu werden,
weil es katholisch war und damit unfähig, den Bedürfnissen der modernen
Kultur und Bildung Rechnung zu tragen. Das ist zum wenigsten eine ganz
einseitig protestantische Anschauung, die man unmöglich zugeben darf! Das
deutsche Volk ist ebensogut katholisch wie evangelisch, und man darf nicht die
Kulturbedürfnisse der einen Hülste ohne weiteres nicht gelten lassen. Wir
müssen uns untereinander vertragen, und wir Protestanten dürfen uns nicht
einbilden, Reichsgesinnung und nationale Kultur in Erbpacht zu haben. Und
endlich sei viertens noch Österreich ungeeignet gewesen, weil es wegen seiner
schwierigen Nationalitätenverhältnisse der Vorkämpfer des Absolutismus hätte
sein müssen, die Lösung der deutschen Frage aber nicht möglich gewesen sei
ohne Zugeständnisse an den Konstitutionalismus. Dagegen wäre einzuwenden,
daß das Österreich Metternichs doch nicht das einzig mögliche Österreich war und
ist. Auch die Donaumonarchie hat sich mit dem Konstitutionalismus abgefunden.

So sehr von vornherein ausgemacht war also die Notwendigkeit der
preußischen Hegemonie nicht, wie es Brandenburg meint. Einen großen Schritt
vorwärts auf dem Wege zu ihr bedeutet die Entwicklung der Wirtschafts-
interessen in der Richtung des preußischen Zollvereins, obwohl Brandenburg


Die Reichsgrimdung

nicht in gleicher Weise möglich war wie die Österreichs. Man hätte halb
Deutschland ausgeschaltet. Österreich sei aber an sich ungeeignet gewesen, erstens
weil es ein zu wenig deutscher Staat sei, und die Verbindung der nichtdeutschen
Teile mit dem Deutschen Reich ein unlösbares Problem sei. Demgegenüber
wäre zu sagen, daß man um die Lösung eben dieses angeblich unlösbaren
Problems zurzeit gerade eifrig bemüht ist. Es ist ja nichts anderes als das
„mitteleuropäische" Problem, wie es Friedrich Naumann genannt hat. Zweitens
sei Österreich ungeeignet gewesen, weil seine wirtschaftlichen und politischen Interessen
nach dem Balkan und nach Italien wiesen, und Deutschland so von seinen eigenen
Interessen abgezogen worden wäre. Diese Behauptung beruht auf einer nicht
ohne weiteres berechtigten Anwendung des Satzes der Identität: Aus der durch
die folgende Entwicklung geschaffenen Identität der preußischen und deutschen
Wirtschaftsinteressen, wird eine Identität «schon für die Zeit vor dem Zollverein
vorausgesetzt. Wahrscheinlich hätten die Wirtschaftsinteressen Deutschlands auch
im österreichischen Sinne entwickelt werden können. Ist doch eine den öster¬
reichischen parallele Entwicklung unserer Orientinteressen nachträglich auch noch
eingetreten. Die erhoffte Zukunft unseres Bündnisses mit Bulgarien und der
Türkei, die kürzlich auch vom Reichskanzler in Aussicht gestellte Ausdehnung
unserer politischen Einflußsphäre über die bisherigen russischen Westprovinzen
und die damit vermutlich verbundene Wiederaufnahme der alten ostdeutschen
Kolonisation wendet das Gesicht unserer ökonomischen Expansion von der Nordsee
ab nach Süden und Osten. Und da die bisherigen atlantischen Interessen weiter
bestehen werden, so wird wahrscheinlich ein Januskopf entstehen, der am besten
beweist, daß von Hause aus beide Möglichkeiten denkbar waren. Drittens war,
nach Brandenburg, Österreich nicht in der Lage, die deutsche Vormacht zu werden,
weil es katholisch war und damit unfähig, den Bedürfnissen der modernen
Kultur und Bildung Rechnung zu tragen. Das ist zum wenigsten eine ganz
einseitig protestantische Anschauung, die man unmöglich zugeben darf! Das
deutsche Volk ist ebensogut katholisch wie evangelisch, und man darf nicht die
Kulturbedürfnisse der einen Hülste ohne weiteres nicht gelten lassen. Wir
müssen uns untereinander vertragen, und wir Protestanten dürfen uns nicht
einbilden, Reichsgesinnung und nationale Kultur in Erbpacht zu haben. Und
endlich sei viertens noch Österreich ungeeignet gewesen, weil es wegen seiner
schwierigen Nationalitätenverhältnisse der Vorkämpfer des Absolutismus hätte
sein müssen, die Lösung der deutschen Frage aber nicht möglich gewesen sei
ohne Zugeständnisse an den Konstitutionalismus. Dagegen wäre einzuwenden,
daß das Österreich Metternichs doch nicht das einzig mögliche Österreich war und
ist. Auch die Donaumonarchie hat sich mit dem Konstitutionalismus abgefunden.

So sehr von vornherein ausgemacht war also die Notwendigkeit der
preußischen Hegemonie nicht, wie es Brandenburg meint. Einen großen Schritt
vorwärts auf dem Wege zu ihr bedeutet die Entwicklung der Wirtschafts-
interessen in der Richtung des preußischen Zollvereins, obwohl Brandenburg


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[0114] Die Reichsgrimdung nicht in gleicher Weise möglich war wie die Österreichs. Man hätte halb Deutschland ausgeschaltet. Österreich sei aber an sich ungeeignet gewesen, erstens weil es ein zu wenig deutscher Staat sei, und die Verbindung der nichtdeutschen Teile mit dem Deutschen Reich ein unlösbares Problem sei. Demgegenüber wäre zu sagen, daß man um die Lösung eben dieses angeblich unlösbaren Problems zurzeit gerade eifrig bemüht ist. Es ist ja nichts anderes als das „mitteleuropäische" Problem, wie es Friedrich Naumann genannt hat. Zweitens sei Österreich ungeeignet gewesen, weil seine wirtschaftlichen und politischen Interessen nach dem Balkan und nach Italien wiesen, und Deutschland so von seinen eigenen Interessen abgezogen worden wäre. Diese Behauptung beruht auf einer nicht ohne weiteres berechtigten Anwendung des Satzes der Identität: Aus der durch die folgende Entwicklung geschaffenen Identität der preußischen und deutschen Wirtschaftsinteressen, wird eine Identität «schon für die Zeit vor dem Zollverein vorausgesetzt. Wahrscheinlich hätten die Wirtschaftsinteressen Deutschlands auch im österreichischen Sinne entwickelt werden können. Ist doch eine den öster¬ reichischen parallele Entwicklung unserer Orientinteressen nachträglich auch noch eingetreten. Die erhoffte Zukunft unseres Bündnisses mit Bulgarien und der Türkei, die kürzlich auch vom Reichskanzler in Aussicht gestellte Ausdehnung unserer politischen Einflußsphäre über die bisherigen russischen Westprovinzen und die damit vermutlich verbundene Wiederaufnahme der alten ostdeutschen Kolonisation wendet das Gesicht unserer ökonomischen Expansion von der Nordsee ab nach Süden und Osten. Und da die bisherigen atlantischen Interessen weiter bestehen werden, so wird wahrscheinlich ein Januskopf entstehen, der am besten beweist, daß von Hause aus beide Möglichkeiten denkbar waren. Drittens war, nach Brandenburg, Österreich nicht in der Lage, die deutsche Vormacht zu werden, weil es katholisch war und damit unfähig, den Bedürfnissen der modernen Kultur und Bildung Rechnung zu tragen. Das ist zum wenigsten eine ganz einseitig protestantische Anschauung, die man unmöglich zugeben darf! Das deutsche Volk ist ebensogut katholisch wie evangelisch, und man darf nicht die Kulturbedürfnisse der einen Hülste ohne weiteres nicht gelten lassen. Wir müssen uns untereinander vertragen, und wir Protestanten dürfen uns nicht einbilden, Reichsgesinnung und nationale Kultur in Erbpacht zu haben. Und endlich sei viertens noch Österreich ungeeignet gewesen, weil es wegen seiner schwierigen Nationalitätenverhältnisse der Vorkämpfer des Absolutismus hätte sein müssen, die Lösung der deutschen Frage aber nicht möglich gewesen sei ohne Zugeständnisse an den Konstitutionalismus. Dagegen wäre einzuwenden, daß das Österreich Metternichs doch nicht das einzig mögliche Österreich war und ist. Auch die Donaumonarchie hat sich mit dem Konstitutionalismus abgefunden. So sehr von vornherein ausgemacht war also die Notwendigkeit der preußischen Hegemonie nicht, wie es Brandenburg meint. Einen großen Schritt vorwärts auf dem Wege zu ihr bedeutet die Entwicklung der Wirtschafts- interessen in der Richtung des preußischen Zollvereins, obwohl Brandenburg

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/114>, abgerufen am 23.12.2024.